London – Die Frage nach dem künftigen Zugang britischer Finanzdienstleister zu den EU-Märkten hat am Donnerstag für erhebliche Verwirrung gesorgt. Während die britische Tageszeitung «The Times» über eine Einigung zwischen Grossbritannien und der EU schrieb, sprach EU-Verhandlungsführer Michel Barnier von «irreführenden» Berichten. Die EU-Kommission und das britische Brexit-Ministerium äusserten sich zurückhaltend. An den Finanzmärkten profitierte das britische Pfund dennoch.
Die britische Zeitung «The Times» berichtete am Donnerstag, Unterhändler von Grossbritannien und der Europäischen Union hätten eine vorläufige Vereinbarung für alle Aspekte einer zukünftigen Partnerschaft bei Dienstleistungen sowie beim Datenaustausch erzielt. Das Blatt berief sich auf Regierungskreise. Die Regulierung der Finanzbranche müsse sich dabei an EU-Vorgaben orientieren.
EU-Chefunterhändler Barnier bezeichnete Berichte über eine Einigung auf dem Nachrichtendienst Twitter als «irreführend». Die EU-Kommission bestätigte die Darstellung der «Times» am Donnerstag ebenfalls nicht: «Diese Geschichte ist nicht fundiert», sagte ein Sprecher. Die künftigen Beziehungen zu Grossbritannien würden verhandelt, nachdem ein Austrittsvertrag zustande gekommen sei.
Misleading press articles today on #Brexit & financial services. Reminder: EU may grant and withdraw equivalence in some financial services autonomously. As with other 3rd countries, EU ready to have close regulatory dialogue with UK in full respect for autonomy of both parties.
— Michel Barnier (@MichelBarnier) 1. November 2018
«Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist»
Das britische Brexit-Ministerium sprach in einer Stellungnahme am Donnerstag lediglich von Fortschritten in diesem Bereich: «Während wir weiterhin gute Fortschritte bei der Vereinbarung neuer Regelungen für Finanzdienstleistungen machen, gehen die Verhandlungen weiter und nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist.» Damit sind das Abkommen über den EU-Austritt und eine politische Erklärung für die künftigen Beziehungen zwischen Brüssel und London gemeint.
Die Kontakte zwischen Grossbritannien und der EU liefen derzeit auf technischer Ebene, sagte der Sprecher der EU-Kommission. «Wir wollen mit Grossbritannien einen geordneten Austritt aus der EU erreichen.» Wann das nächste Treffen zwischen dem britischen Brexit-Minister Dominic Raab und EU-Chefunterhändler Michel Barnier sein werde, könne noch nicht gesagt werden. Grossbritannien verlässt Ende März 2019 die EU.
Abstimmung über Haushaltspläne
Am Abend wollte das Parlament in London über die Haushaltspläne der Regierung abstimmen. Schatzkanzler Philip Hammond hatte zu Beginn der Woche ein Ende der Sparpolitik, grosszügige Steuerentlastungen und Finanzspritzen unter anderem für den notorisch unterfinanzierten nationalen Gesundheitsdienst NHS angekündigt. Es gab kaum Zweifel daran, dass die Abgeordneten die Pläne der Regierung absegnen werden.
Zuvor hatte die nordirisch-protestantische DUP damit gedroht, den Haushalt durchfallen zu lassen, sollte May auf Kompromisse mit der EU in der heiklen Irland-Frage eingehen. Die Regierungschefin ist mit ihrer konservativen Minderheitsregierung auf die Unterstützung der DUP-Abgeordneten angewiesen. Sie liessen sich jedoch mit einem kräftigen Geldsegen für ihre Region zunächst besänftigen.
Abkommen bis zum 21. November?
Brexit-Minister Raab geht davon aus, dass ein Abkommen mit Brüssel über den EU-Austritt Grossbritanniens bis zum 21. November in trockenen Tücher sein kann. Das geht aus einem Schreiben Raabs an den Brexit-Ausschuss hervor. Nach Angaben seines Ministeriums gibt es aber noch keinen festen Termin für den Abschluss der Verhandlungen.
Sollte der Deal tatsächlich noch im November stehen, könnte es noch vor Weihnachten zu einer Abstimmung darüber im Parlament kommen. Die Brexit-Verhandlungen befinden sich vor allem mit Blick auf die Irland-Frage in einer Sackgasse. London und Brüssel konnten sich bislang nicht darauf einigen, wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland verhindert werden können. Befürchtet wird, dass eine feste Grenze wieder Unruhen in der fragilen Ex-Bürgerkriegsregion auslösen könnte.
Brüssel hat einen Notfallplan (Backstop) für die Irland-Frage zur Bedingung für ein Austrittsabkommen und die etwa zweijährige Übergangsphase gemacht, in der sich so gut wie nichts ändern soll.
Den Vorschlag Brüssels, dass im Notfall nur Nordirland eng an die EU gebunden bleiben soll, trifft besonders bei der DUP auf grossen Widerstand. Ein Kompromiss könnte sein, dass ganz Grossbritannien so lange im EU-Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion bleibt, bis das Problem im Rahmen eines Handelsabkommens geklärt ist. Darauf habe man sich mit Brüssel prinzipiell geeinigt, so Raab. «Eine Einigung über die Details des Backstops sollte möglich sein.» Voraussetzung sei aber, dass das Land nicht unbegrenzt an die EU gebunden bleibe. (awp/mc/pg)