Ende der Brexit-Übergangsphase: Grossbritannien bricht mit der EU
London / Brüssel – Der Brexit ist Realität: Grossbritannien hat am Donnerstag um Mitternacht seinen Austritt aus der Europäischen Union endgültig abgeschlossen. Damit endete nach einer elfmonatigen Übergangsphase seit dem EU-Austritt auch die Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Zum Jahreswechsel wurde damit die wirtschaftliche Scheidung vollzogen. Auf den letzten Drücker gab es an Silvester noch eine Einigung für das britische Überseegebiet Gibraltar.
«Das Schicksal dieses grossartigen Landes liegt jetzt fest in unseren Händen», sagte Premierminister Boris Johnson. «Am 31. Dezember um 23.00 Uhr (Ortszeit) beginnt ein neuer Anfang in der Geschichte unseres Landes und eine neue Beziehung mit der EU als deren engster Verbündeter. Endlich ist dieser Moment gekommen, und jetzt ist die Zeit, ihn zu nutzen», sagte Johnson, der die historische Stunde mit seiner Familie in seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street verbringen wollte.
Ratifizierungsgesetz an einem Tag durchgewinkt
Das britische Parlament hatte das von Johnson vorgelegte Ratifizierungsgesetz kurz vor dem Jahreswechsel binnen weniger Stunden durchgewunken. Staatsoberhaupt Königin Elizabeth II stimmte dem Gesetz mit ihrem «Royal Assent» in der Nacht zum Donnerstag zu. An Silvester wurde das Vertragswerk dann auch offiziell im Gesetzblatt der EU veröffentlicht. Damit könne es wie geplant vorläufig ab 1. Januar 2021 angewendet werden, teilte ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit. «Ein No Deal wurde abgewendet, gerade noch rechtzeitig», schrieb er auf Twitter. Auf EU-Seite reichte die Zeit zur Ratifizierung im Europaparlament nicht. Die soll erst im Frühjahr folgen.
Grossbritannien war nach 47 Jahren Mitgliedschaft bereits Ende Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Das in letzter Minute mit der EU ausgehandelte Handels- und Partnerschaftsabkommen soll nun einen harten Bruch vermeiden. Wichtigster Punkt ist, dass im Warenhandel auch künftig keine Zölle und Mengenbeschränkungen gelten. Zudem regelt der knapp 1250 Seiten starke Vertrag viele weitere Themen, darunter Fischfang und Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei.
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber betrachtet den Brexit als «Lehrstück für das Scheitern der Populisten». Das Jahr 2016 sei mit dem Brexit-Referendum und der Wahl von US-Präsident Donald Trump «der Höhepunkt des Twitter-Populismus» gewesen, sagte Weber der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. «Die Menschen spüren im Jahr 2020 und ’21, dass diese Art von Politik nicht zu guten Ergebnissen führt.» Dennoch seien EU-Staaten auch künftig nicht immun gegen Spaltungstendenzen, sagte Weber, der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament ist. «Ich glaube auch, dass der Schock des Brexits jetzt tief sitzt und dass viele auch gelernt haben, wie wir mit Europa umgehen müssen, wie wir miteinander umgehen müssen.»
Gibraltar tritt Schengen-Raum bei
Bei einem besonders schwierigen Punkt gab es an Silvester noch eine Einigung: Spanien und Grossbritannien haben sich darauf verständigt, dass das britische Überseegebiet Gibraltar dem in der Regel grenzkontrollfreien Schengen-Raum beitritt. Damit werde vermieden, dass die Grenze zwischen Spanien und Gibraltar am Südzipfel der Iberischen Halbinsel ab dem 1. Januar 2021 zu einer undurchlässigen EU-Aussengrenze werde, sagte Spaniens Aussenministerin Arancha Gonzalez Laya in Madrid.
Für Gibraltar gilt der allgemeine Post-Brexit-Handelspakt nicht. Stattdessen wird sich Gibraltar nun als überraschende Folge des Brexits enger an Spanien und die EU binden. Beim Brexit-Referendum 2016 hatten 96 Prozent der 33 000 Einwohner Gibraltars für den Verbleib in der EU gestimmt.
Künftig Grenzkontrollen
Trotz des Post-Brexit-Handelspakts gibt es auf beiden Seiten grosse Änderungen zum Jahreswechsel. Für Bürger ist die Möglichkeit des einfachen Umzugs vorbei. Auch die Visafreiheit bei Reisen ist künftig zeitlich begrenzt. So werden an den Grenzen künftig Kontrollen nötig, weil Standards überprüft werden müssen, unter anderem bei Agrarprodukten.
Am Ärmelkanal rechnet man nach dem endgültigen Vollzug des Brexits nicht damit, dass es bereits in den ersten Januartagen erneut zu einem Verkehrschaos kommen wird. «Ich bin zuversichtlich, dass am 1. Januar alles gut klappen wird, sagte John Keefe, der Chef von Getlink, einem der im Eurotunnel zwischen Grossbritannien und Frankreich aktiven Zugbetreibers, nach Angaben des Senders BBC. «Ich denke nicht, dass sich der Verkehr vor der ersten oder zweiten Januarwoche stauen wird. Diese ruhige Anfangsphase ermöglicht es allen, sich vorzubereiten.»
Vorerst ruhige Verkehrslage am Ärmelkanal erwartet
Auch aus Regierungskreisen hiess es, man rechne zunächst mit ruhigem Verkehr. Da nach dem Neujahrs-Feiertag direkt das Wochenende ansteht, könnten sich die befürchteten Warteschlangen erst danach aufbauen. Erste Logistikunternehmen gaben an, ihre Fahrten zu verzögern und zunächst die Lage zu beobachten.
Eine Wiederholung des Chaos, wie es vor und an Weihnachten in der Grenzregion Kent zu beobachten war, soll unbedingt vermieden werden. Tausende von Fernfahren hatten tagelang in ihren Lastwagen ausharren müssen, weil Frankreich die Grenze überraschend geschlossen und von allen Einreisenden einen negativen Corona-Test verlangt hatte. Grund war das Auftreten einer neuen und womöglich hochansteckenden Coronavirus-Variante, die im Süden von England entdeckt worden war. (awp/mc/ps)