London – Die britische Premierministerin Theresa May hält trotz mehrerer Rücktritte aus ihrem Kabinett an dem umstrittenen Brexit-Abkommen mit der EU fest. Für eine Mehrheit im Parlament hofft sie auf Unterstützung aus der Opposition. «Jeder einzelne Abgeordnete wird entscheiden müssen, wie er abstimmt, ob er von der DUP ist, den Konservativen, Labour, allen Parteien im Unterhaus», sagte May am Freitag im Interview des Rundfunksenders LBC.
Etwas aufatmen dürfte May über Berichte, dass Umweltminister Michael Gove wohl nicht zurücktreten wird. Zuvor war viel spekuliert worden, Gove könne das nächste Kabinettsmitglied sein, das sein Amt niederlegt. Für May wäre ein Rücktritt Goves nur schwer zu verkraften gewesen. Bereits am Donnerstag hatten Brexit-Minister Dominic Raab und Arbeitsministerin Esther McVey sowie mehrere Abgeordnete im Streit um Mays Brexit-Abkommen mit Brüssel ihre Ämter in der Regierung und der Konservativen Partei niedergelegt.
Kommt Misstrauensabstimmung zustande?
Ganz gebannt ist die Gefahr für die Premierministerin dennoch nicht. Berichten zufolge könnte eine Misstrauensabstimmung in ihrer Fraktion unmittelbar bevorstehen, nachdem der Tory-Abgeordnete und einflussreiche Erz-Brexiteer Jacob Rees-Mogg am Donnerstag der Premierministerin sein Vertrauen entzogen hatte. Notwendig für den Misstrauensantrag sind 48 Stimmen. Es ist nicht bekannt, ob diese Zahl bereits erreicht wurde.
Unklar ist auch, ob die Rebellen May wirklich stürzen können. Sie brauchen dafür eine Mehrheit der 315 konservativen Abgeordneten. Eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal pro Jahr stattfinden. Sollte May als Siegerin hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt.
Stephen Barclay neuer Brexit-Minister
Am Freitagnachmittag hat Theresa May den Abgeordneten Stephen Barclay zum neuen Brexit-Minister ernannt. Barclay war zuvor Staatssekretär im Gesundheitsministerium. Er hatte bei dem Referendum 2016 für den Brexit gestimmt. Jetzt solle er sich darum kümmern, den Ausstiegsvertrag durchs Londoner Parlament zu bringen. An die Stelle der ebenfalls zurückgetretenen Arbeitsministerin Esther McVey tritt die frühere Innenministerin Amber Rudd.
Kritik von allen Seiten
Bei der Vorstellung des Abkommens im Parlament war May am Donnerstag heftiger Widerstand entgegengeschlagen. Von allen Seiten hagelte es Kritik. Nicht nur die Opposition will den Kompromiss ablehnen, sondern auch die nordirische DUP, auf die Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, sowie grosse Teile ihrer eigenen Fraktion. Das Unterhaus wird aber wohl erst im Dezember über das Abkommen abstimmen. May warnte, ein Nein würde bedeuten, «einen Weg tiefer und schwerwiegender Unsicherheit einzuschlagen».
Sondergipfel am 25. November
EU-Ratspräsident Donald Tusk berief einen Sondergipfel ein, um den Austrittsvertrag unter Dach und Fach zu bringen. Das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs soll am 25. November in Brüssel stattfinden.
Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft rief die Abgeordneten des britischen Parlamentes auf, den auf dem Tisch liegenden Vorschlag für das Brexit-Abkommen anzunehmen. «Es ist ein guter Deal für beide Seiten. Niemand ist über den Tisch gezogen worden», sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag am Rande von Gesprächen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Chefverhandler Michel Barnier in Brüssel. «Wir wünschen uns eine gute Kooperation – politisch, wirtschaftlich, militärisch, kulturell und menschlich – und dafür ist dieses Abkommen ein erster wichtiger Schritt», sagte Kurz. Ein ungeregelter Brexit würde Grossbritannien zudem «wesentlich härter»» treffen als die EU.
Für Unmut bei manchen EU-Staaten sorgt, dass über den geplanten Austrittsvertrag mit den Briten nicht geregelt wird, ob und wenn ja wie europäische Fischer künftig Zugang zu den britischen Fischereigebieten haben werden. Diplomaten betonen allerdings, dass deswegen vermutlich niemand ein offizielles Veto einlegen werde. «Der Deal wird nicht am Fisch scheitern. Am Ende wird sich die Vernunft durchsetzen», heisst es aus EU-Kreisen zum Unmut von Ländern wie Frankreich, Dänemark oder Schweden.
Ähnliches gilt für Bedenken, dass Grossbritannien durch einen möglichen vorübergehenden Verbleib in der Zollunion wirtschaftliche Vorteile geniessen könnte. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn die britische Regierung britischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile einräumen würde, die nicht für EU-Unternehmen gelten. (awp/mc/pg)