Brexit Plan B: Machtkampf in London, Ratlosigkeit in Brüssel
London / Brüssel – Im Brexit-Streit versuchen Abgeordnete im britischen Parlament der Regierung die Kontrolle zu entreissen und selbst einen Ausweg aus der völlig verfahrenen Lage zu weisen. Eine fraktionsübergreifende Gruppe legte dazu in der Nacht zum Dienstag mehrere Anträge vor. Denn der sogenannte Plan B von Premierministerin Theresa May hat keine Klarheit geschaffen, wie ein EU-Austritt ohne Vertrag am 29. März zu vermeiden ist. Auch die EU-Kommission sieht in Mays Äusserungen nichts Neues und verlangte rasche Klärung.
May hatte über Monate mit der Europäischen Union ein Austrittsabkommen ausgehandelt, das aber vorige Woche im Unterhaus mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde. Sie kündigte trotzdem am Montag im Parlament keine neuen Optionen an, sondern bekräftigte ihren Kurs: Sie wolle Einigungschancen in Parlament ausloten und dann erneut mit der EU reden. Dabei geht es vor allem um die in London kritisierte Garantie für eine offene Grenze in Irland, den sogenannten Backstop.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reichen Mays Ankündigungen offenbar nicht. «Die Bundesregierung erwartet, dass die britische Regierung sich bald auf Vorschläge einigt, die von einer Mehrheit des Unterhauses unterstützt werden», erklärte ein Regierungssprecher.
Brüssel reagiert kühl
Auch die EU-Kommission, die für alle 27 bleibenden EU-Länder verhandelt, reagierte am Dienstag kühl und machte keine neuen Angebote. «Derzeit haben wir nichts Neues aus Brüssel zu sagen, weil es nichts Neues aus London gibt», sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas und forderte ebenfalls Klarheit über die Absichten Grossbritanniens. Nachverhandlungen über das Austrittsabkommen – und damit auch über den Backstop – schloss er abermals aus.
Allerdings räumte Schinas erstmals öffentlich ein, dass ein Brexit ohne Vertrag unweigerlich sofort dazu führen würde, was der Backstop verhindern soll: zu einer festen Grenze mit Kontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. «Es ist ziemlich offensichtlich: Man bekommt eine harte Grenze», sagte Schinas. Wie die EU für diesen Fall vorsorgt, liess er offen.
Furcht vor Wiederaufflammen des Nordirlandkonflikts
Grenzkontrollen wollen alle Seiten aus Angst vor einem Wiederaufflammen des blutigen Konflikts in der ehemaligen Bürgerkriegsregion verhindern. Der Backstop sieht vor, dass Grossbritannien solange als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner fürchten, dass Grossbritannien damit auf Dauer eng an die EU gebunden würde.
Die Pläne im britischen Unterhaus, an denen die Opposition und EU-freundliche Abgeordnete aus Mays konservativer Partei gemeinsam arbeiten, sollen ein «No-Deal-Szenario» abwenden. Dabei handelt es sich um Änderungsanträge zu einer Beschlussvorlage der Regierung, über die kommenden Dienstag abgestimmt werden soll.
Die Labour-Opposition will über eine Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion und über ein zweites Referendum befinden lassen. Eine Gruppe von Hinterbänklern will die Regierung verpflichten, das Austrittsdatum am 29. März zu verschieben, sollte bis 26. Februar kein Brexit-Deal verabschiedet sein. Eine weitere Gruppe will mehrere Abstimmungen über Alternativen zum Brexit-Deal der Regierung abhalten.
Die Klärung der Positionen wäre ein Zwischenschritt auf der Suche nach einer in Grossbritannien mehrheitsfähigen Lösung. Sobald diese in London vorliegt, dürften Gespräche mit der EU folgen.
Deutsche Politiker zunehmend entnervt
Deutsche Politiker zeigen sich über das politische Wirrwarr in London zunehmend entnervt. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte das Parlament in London auf, endlich zu einer klaren Haltung zu kommen. Eine Verschiebung des Brexit-Datums «macht ja nur dann Sinn, wenn vorher klar ist, über was nochmal gesprochen wird».
Der SPD-Europapolitiker Udo Bullmann sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Ich glaube, die Situation ist vernagelt nach allen Richtungen.» Der einzige Ausweg sei wohl, das britische Volk noch einmal zu fragen. Die Grünen-Brexit-Expertin Terry Reintke äusserte sich ähnlich. (awp/mc/ps)