Britisches Finanzministerium warnt vor Brexit-Verlusten
London – Das britische Finanzministerium hat vor erheblichen Kosten gewarnt, sollte Grossbritannien infolge des Brexit-Votums aus dem Europäischen Binnenmarkt ausscheiden. Das geht aus einem internen Papier hervor, das der britischen Tageszeitung «The Times» vorliegt. Demnach könnte das Bruttoinlandsprodukt des Landes innerhalb der kommenden 15 Jahre um bis zu 9,5 Prozent schrumpfen. Das entspräche dem Papier zufolge einem Rückgang von Steuereinnahmen in Höhe von 66 Milliarden Pfund (73 Milliarden Euro) pro Jahr.
Das Finanzministerium wolle mit dem Papier Kabinettsmitglieder von dem potenziellen Schaden überzeugen, den ein «harter Brexit» mit sich bringe, berichtet die «Times» am Dienstag. Die Zahlen basierten auf einem Bericht, der bereits vor dem Brexit-Votum veröffentlicht wurde und damals von Befürwortern eines EU-Austritts als «Panikmache» abgetan wurde. Dass das Finanzministerium den Bericht nun wieder hervorholt, könnte ein Zeichen dafür sein, wie zerstritten das Kabinett in der Frage ist, ob das Land den Europäischen Binnenmarkt den Rücken kehren sollte.
Wachsende Spannungen im Parlament
Die Warnungen kommen inmitten wachsender Spannungen im britischen Parlament. Mehrere prominente Politiker verschiedener Parteien hatten eine Abstimmung über die Brexit-Strategie der Regierung gefordert. Ex-Labourchef Ed Miliband sagte der BBC am Montag, die Regierung solle ihre Verhandlungsstrategie mit einem Papier vorstellen, über das im Parlament abgestimmt werden könne. Auch Abgeordnete aus der Regierungspartei stellten sich hinter die Forderung. Der konservative Abgeordnete Stephen Phillips bezichtigte die Regierung dem «Guardian» zufolge der «Tyrannei». Er habe für den Brexit gestimmt, um die Souveränität des britischen Parlaments wieder herzustellen. Nun wolle die Regierung die Wünsche der Volksvertreter in der wichtigsten Angelegenheit für das Land ignorieren, sagte Phillips.
Premierministerin Theresa May hatte eine Parlamentsabstimmung über die Brexit-Strategie der Regierung zuvor mehrfach ausgeschlossen. Grund für die wachsende Unruhe im Parlament sind Äusserungen Mays beim Parteitag der Konservativen in Birmingham Anfang des Monats. Dort hatte sie den Eindruck erweckt, Grossbritannien steuere auf einen «harten Brexit» zu. Grossbritannien werde sich nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen, hatte May gesagt und der ungehinderte Zuzug von EU-Migranten solle eingeschränkt werden. Der Kurs des Britischen Pfunds stürzte daraufhin auf ein historisches Tief.
Besonders in der wichtigen Branche der Finanzdienstleister wird ein Austritt aus dem Binnenmarkt mit Sorge betrachtet. Die Unternehmen könnten dann das Recht verlieren, ihre Finanzprodukte auf dem europäischen Markt ohne Weiteres anzubieten. Daher geht bereits die Angst vor einem Exodus ausländischer Investmentbanken um. Wie die «Financial Times» am Dienstag berichtete, kündigte mit der staatlichen russischen VTB Bank erstmals ein Geldhaus an, seinen europäischen Sitz aus London an eine anderen europäischen Standort zu verlegen. (awp/mc/ps)