Von Christian Moins, Country Manager Switzerland und Julie Soum, Marketing and Communications Manager Switzerland
Diese Analyse wurde von den hauseigenen Ökonomen von Coface erstellt. Coface, ein globaler Akteur im Bereich des Handelsrisikomanagements, unterstützt seit 1995 Schweizer Unternehmen bei ihrer internationalen Entwicklung. Mehrmals im Jahr teilt Coface Schweiz Analysen zur Entwicklung der Weltwirtschaft, um wichtige Trends hervorzuheben und deren lokale Auswirkungen zu erläutern.
Mit dem Ende des Jahres 2024 befindet sich Europa inmitten einer komplexen wirtschaftlichen Landschaft, geprägt von Stagnation, geopolitischen Unsicherheiten und strukturellen Herausforderungen. Auch wenn der Kontinent grössere Schocks vermeiden konnte, zeichnet sich ein ernüchterndes Bild von schleppendem Wachstum ab – eine Herausforderung, der sich sowohl politische Entscheidungsträger als auch Unternehmen stellen müssen.
Wirtschaftswachstum: Im Leerlauf festgefahren
Im Jahr 2024 entsprach das BIP-Wachstum Europas weitgehend dem verhaltenen Tempo von 2023. Die Eurozone wird voraussichtlich ein mageres Wachstum von 0,7 % verzeichnen, während Frankreich mit über 1 % leicht besser abschneidet. Spanien hebt sich unter den grossen Volkswirtschaften hervor und kann ein solides Wachstum von knapp 3 % vorweisen. Im Gegensatz dazu hat Deutschland das zweite Jahr in Folge einen Rückgang zu verzeichnen, mit einem BIP-Rückgang von 0,2 %.
Der anfängliche Optimismus zu Beginn des Jahres 2024 wich im Laufe des Jahres zunehmend einer ernüchternden Realität. Indikatoren für das Vertrauen von Haushalten und Unternehmen brachen ein, was auf einen stagnierenden oder gar rezessiven Start ins Jahr 2025 hindeutet. Die Risiken für das Wachstum bleiben nach unten gerichtet, verschärft durch geopolitische Spannungen, Haushaltsbeschränkungen und zögerliche private Investitionen. Eine leichte Beschleunigung für 2025, wie sie von vielen Prognosen erwartet wird, erscheint unter den aktuellen Bedingungen zu optimistisch.
Geldpolitik: Divergierende Wege voraus
Die geldpolitischen Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der US-Notenbank (Fed) könnten sich 2025 deutlich unterscheiden. Während sinkende Inflationsraten und steigende Arbeitslosenzahlen in Europa auf eine lockerere Geldpolitik der EZB hindeuten, dürfte die Fed angesichts der robusten US-Wirtschaft und anhaltender Inflationsrisiken weiterhin vorsichtig agieren.
Die Märkte rechnen derzeit mit einem Zinssenkungsspielraum von 50 Basispunkten bei der Fed und 100 Basispunkten bei der EZB bis Ende 2025. Unerwartete Inflationsschübe oder ein stärkeres Wachstum in den USA könnten jedoch diese Prognosen stören und für Volatilität an den globalen Finanzmärkten sorgen.
Die anhaltenden Herausforderungen Europas angehen
Das Jahr 2024 rückte Europas strukturelle Herausforderungen erneut ins Rampenlicht, wie in Berichten hochkarätiger Experten wie Draghi, Noyer und Letta hervorgehoben wurde. Diese Berichte betonen den „langen Niedergang“ des Kontinents und die dringende Notwendigkeit entschlossener Massnahmen. Zwei zentrale Handlungsfelder stehen dabei im Fokus:
- Marktintegration: Der Abschluss des Binnenmarkts für Kapital und Energie bleibt essenziell, um Europas Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
- Ressourcenmobilisierung: Ein einheitlicher Ansatz für Investitionen in Innovation und Infrastruktur könnte den notwendigen Impuls liefern, um den externen Druck aus den USA und China auszugleichen.
- Politische Trägheit behindert jedoch weiterhin den Fortschritt, wodurch Europa anfällig für wirtschaftliche Stagnation und einen Rückgang seines globalen Einflusses bleibt.
Chinas Probleme und globale Auswirkungen
Chinas wirtschaftliche Schwierigkeiten setzten sich 2024 fort, geprägt von einer sich verschärfenden Immobilienkrise und schwachem Kreditwachstum im privaten Sektor. Massnahmen wie niedrigere Hypothekenzinsen und begrenzte fiskalische Programme brachten nur kurzfristige Entlastung und konnten die zugrunde liegenden strukturellen Probleme nicht lösen. Für 2025 sind umfangreichere Stimulusmassnahmen zu erwarten, deren Wirkung jedoch durch Probleme bei Umfang und Umsetzung begrenzt sein dürfte.
Für Europa bieten Chinas Schwierigkeiten sowohl Risiken als auch Chancen. Ein Rückgang der chinesischen Nachfrage könnte europäische Exporte belasten, während Störungen in den Lieferketten europäische Unternehmen dazu veranlassen könnten, ihre Bezugsquellen zu diversifizieren. Gleichzeitig könnten sich neue Investitionsmöglichkeiten in Infrastruktur und erneuerbaren Energien eröffnen, da China verstärkt auf externe Partnerschaften setzt.
Finanzstabilität: Ein heikles Gleichgewicht
Die globale Finanzstabilität steht vor zahlreichen Bedrohungen auf dem Weg ins Jahr 2025. Hohe Schuldenstände, überbewertete Vermögenswerte und mögliche Überraschungen bei der Inflation könnten die Märkte destabilisieren. Die Lockerung der Geldpolitik durch grosse Zentralbanken hat kurzfristige Druckpunkte entschärft, aber langfristige Risiken bestehen weiterhin – insbesondere durch die steigende Staatsverschuldung der USA unter der neuen Trump-Administration.
In Europa scheint das Risiko einer Staatsverschuldungskrise vorerst eingedämmt, dank institutioneller Sicherungsmechanismen wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Dennoch könnten steigende Renditen in den USA auf die europäischen Anleihemärkte überschwappen, was die Finanzierungskosten erhöhen und das Haushaltsmanagement für hochverschuldete Länder erschweren würde.
2025: Ein unsicherer Kurs
Europa steht 2025 vor einem schwierigen wirtschaftlichen Ausblick, überschattet von einer Vielzahl an Unsicherheiten. Geopolitische Spannungen, vom Konflikt in der Ukraine bis zu den möglichen Auswirkungen einer neuen Trump-Administration, dürften das Vertrauen von Unternehmen und Investoren dämpfen. Gleichzeitig könnten die Bundestagswahlen in Deutschland zusätzliche Unwägbarkeiten mit sich bringen, mit erheblichen Auswirkungen auf die EU-Politik.
Angesichts stagnierender Wachstumsraten, anhaltender geopolitischer Risiken und struktureller Ineffizienzen steht Europa am Scheideweg. Ohne mutige und koordinierte Massnahmen könnte sich die wirtschaftliche Stagnation vertiefen und die globale Bedeutung des Kontinents weiter abnehmen.
2025 bringt sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich. Der Erfolg wird davon abhängen, ob Europa bereit ist, seine wirtschaftlichen Probleme entschlossen anzugehen und die notwendigen Veränderungen umzusetzen, um nachhaltiges Wachstum für die kommenden Jahre zu sichern. (Coface/mc/ps)