Von Thomas Gassenbauer, Head of Banking & Insurance Central Europe sowie Country Manager Switzerland, Board of Directors bei Cognizant
Traditionelle Banken haben es derzeit nicht leicht: Auf der einen Seite verschärfen innovative – und vor allem bei jüngeren Konsumentinnen und Konsumenten beliebte – FinTech-Unternehmen den Wettbewerb. Diese bieten neben Finanzprodukten und -beratung, also dem klassischen Bankgeschäft, auch Dienstleistungen für weitergehende Finanzbedürfnisse an. Das wiederum kurbelt den Umsatz an und schafft entscheidende Wettbewerbsvorteile. Auf der anderen Seite setzen regulatorische Anforderungen die Finanzinstitute zunehmend unter Druck, der aktuelle Konjunkturabschwung verschärft die Situation zusätzlich. Kein Wunder, dass immer mehr Banken Filialen schliessen und den Gürtel enger schnallen.
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Banken die Bedürfnisse und Anforderungen ihrer Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt stellen – das bedeutet eine neue Art der Kundenansprache, -beratung und -erfahrung, aber auch neue, kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen. Darüber hinaus müssen sie flexibler und agiler werden und ihre Geschäftsprozesse überdenken. Die Krux: Viele Finanzinstitute arbeiten noch mit veralteten IT-Infrastrukturen und stossen damit in einer zunehmend digitalisierten Welt schnell an ihre Grenzen.
Die folgenden Trends unterstützen die Finanzinstitute bei der Bewältigung dieses Wandels:
- Modernisieren vs. Altlasten sanieren
Traditionelle Banken stehen unter Druck und stellen ihre Investitionen in Technologie und Innovation auf den Prüfstand. Doch anstatt ihre in die Jahre gekommenen Kernsysteme zu transformieren, setzen viele Banken auf die Einführung digitaler Engagementlösungen. Das hilft jedoch nur kurzfristig. Um langfristig erfolgreich zu sein und mit der digitalen Gesellschaft und Wirtschaft Schritt zu halten, ist eine Modernisierung der Legacy-Systeme unumgänglich. Denn: Wird deren Aktualisierung – und damit die Modernisierung des Kerngeschäfts – vernachlässigt, verlieren Banken schnell Wettbewerbsvorteile und Marktanteile an agilere Wettbewerber. Banken müssen daher eine gesunde Balance zwischen Modernisierung und Sanierung finden und die Digitalisierung weiter vorantreiben. Nur so können sie die Potenziale der Technologie in den kommenden Jahren voll ausschöpfen – und damit ihre Erträge steigern und Innovationen fördern.
- Zukunftsfähige Skillsets
Laut der Future of Jobs-Studie des Weltwirtschaftsforums werden bis 2025 rund 85 Millionen Arbeitsplätze wegfallen, vor allem aufgrund des technologischen Fortschritts. Auf der anderen Seite könnten rund 97 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Die entstehende Lücke wird also nicht nur geschlossen, es werden sogar mehr Arbeitsplätze erwartet. Dieser Trend wirkt sich auch auf die Finanzdienstleistungsbranche und insbesondere auf den Bankensektor aus – entsprechend verändern sich auch die Qualifikationsanforderungen an die Fachkräfte in der Branche. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen Banken schnell reagieren und Massnahmen ergreifen, um sowohl aktuelle als auch potenzielle Qualifikationslücken zu schliessen. Hybride Kompetenzzentren, die unter anderem Fachkompetenz, DevOps, Data Scientists, Digital Engineers und Programmierer vereinen, sind beispielsweise ein wirksamer Lösungsansatz. Sie ermöglichen agile Betriebsabläufe, treiben Innovationen voran und ermöglichen die Digitalisierung in grossem Massstab. - Das Back Office ist das neue Front Office
Banken haben bei der Modernisierung ihrer kundenorientierten Front-Office-Systeme bereits grosse Fortschritte gemacht, aber viele Finanzinstitute haben Schwierigkeiten, ihre Front- und Back-Office-Systeme aufeinander abzustimmen. Dadurch bleiben viele Potenziale ungenutzt – und sowohl Anwender als auch Kunden unzufrieden. Um dem entgegenzuwirken, muss sich das Back Office als neues Front Office verstehen. Veraltete Infrastrukturen, technische Altlasten und komplexe Prozesse behindern jedoch die Reaktionsfähigkeit auf Kundenanforderungen. Die Lösung: Investitionen in die Front-to-Back-Modernisierung, unterstützt durch Cloud-Migration und Robotic Process Automation (RPA), ermöglichen die Vernetzung des kundenorientierten Geschäfts mit Backend-Services und reduzieren Ineffizienzen. Im digitalen Zeitalter ist das Datenmanagement entscheidend für den Geschäftserfolg. Daher ist es unerlässlich, dass Banken ihre Back-Office-Prozesse mit den notwendigen Informationen und Ressourcen ausstatten, um ihre Strategie voranzutreiben und die Zukunft des Unternehmens mitzugestalten. - Dezentrales Finanzwesen fördern
Dezentrales Finanzwesen (DeFi) ist untrennbar mit Kryptowährungen und der Distributed-Ledger-Technologie verbunden. Die Pleite der Kryptobörse FTX ist daher einer der Gründe, warum dieses Konzept der Blockchain-basierten Finanzierung derzeit ins Stocken geraten ist. Dies könnte sich jedoch als verpasste Chance erweisen: DeFi und Krypto sollten vielmehr getrennt analysiert werden. Denn in ersterem steckt viel Potenzial. DeFi nutzt neue Technologien von Drittanbietern, um Finanzdienstleistungen anzubieten, die traditionelle zentrale Intermediäre überflüssig machen. Es fördert die Zusammenarbeit über traditionelle Bankgrenzen hinweg und ermöglicht ein demokratischeres Finanzsystem. Open Finance wird bereits in den Bereichen Hypotheken, Vermögensverwaltung, Versicherungen, Sparen und Kapitalmärkte eingesetzt. Diese Anwendungsfälle führen zu Konzepten wie Embedded Finance, Buy-now-pay-later und Super-Apps, die es den Banken ermöglichen, hochgradig personalisierte Produkte anzubieten und die Kundinnen und Kunden stärker in den Mittelpunkt zu stellen. - Mehrgenerationengesellschaft bedienen
Digital Natives erwarten ein völlig anderes Erlebnis als ihre Eltern und Grosseltern. Doch welche Möglichkeiten hat der Bankensektor, um mehrere Generationen anzusprechen? Zum Beispiel ist es möglich, Bankfilialen so umzugestalten, dass sie den Bedürfnissen der umliegenden Gemeinschaft besser entsprechen. So könnte eine Filiale ihren Schwerpunkt vom reinen Verkauf von Finanzdienstleistungsprodukten auf Produkte und Dienstleistungen verlagern, die das Wohlbefinden, die wirtschaftliche Stärkung und die Bildung insbesondere einkommensschwacher Kunden fördern – und damit ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal schaffen. Unabhängig davon, ob Retailbanken an ihren Filialen festhalten oder nicht, ist die Richtung klar: Mehrere Banken kooperieren beispielsweise und betreiben gemeinsame Bankenzentren. Diese sollen helfen, Filialschliessungen zu kompensieren, die Erreichbarkeit zu verbessern und mehrere Generationen zu bedienen. Denn: In Zukunft wird es entscheidend sein, die Kundinnen und Kunden dort zu treffen, wo sie sich am wohlsten fühlen, ob online oder offline. - Potenziale des Metaversums nutzen
Das Metaverse steht noch am Anfang seiner Reife und Reise. Die Potenziale für Unternehmen werden noch heftig diskutiert. Einige grosse Banken haben sich jedoch bereits auf das Experiment eingelassen: So investierte JPMorgan im Februar als erste globale Bank in eine populäre Metaverse-Plattform und richtete eine Präsenz im Decentraland ein. HSBC folgte kurz darauf mit dem Kauf eines Grundstücks auf der Gaming-Plattform Sandbox. Wichtig ist jedoch, dass Banken in diesem digitalen Umfeld nicht einfach ihre bestehenden Geschäftsmodelle abbilden, etwa durch virtuelle Filialen, sondern innovative digitale Mehrwerte schaffen. Die Nutzung des Metaversums birgt derzeit allerdings noch eine grosse Hürde: Die Interoperabilität der hier von den Banken angebotenen Produkte und Dienstleistungen mit der für das Metaverse generell notwendigen Hardware ist bisher unzureichend. Diese ist jedoch unabdingbar, um das Metaverse sowohl für die breite Masse der Konsumentinnen und Konsumenten nutzbar zu machen als auch die notwendigen Innovationen in den Bereichen Identität, Verifikation und Bezahlung in diesem Umfeld voranzutreiben. Eine spannende Aufgabe für Technologieunternehmen und Hardwareanbieter.
(Cognizant/mc/ps)