Dübendorf – Ob beim Sport, bei der Arbeit oder im Wohnzimmer – je nach Tätigkeit und Umgebung haben wir unterschiedliche Ansprüche an unsere Kleidung. Empa-Forschende haben ein Modell entwickelt, das voraussagen kann, wie gut uns ein Kleidungsstück wärmt. Dabei kommt es vor allem auf die Luftpolster zwischen Körper und äusserster Kleidungsschicht an.
Im Winter kann es draussen noch so sonnig und warm aussehen. Sobald wir dem Wind ausgesetzt sind, frieren wir. Wenn die Kleidung den Bedingungen nicht angepasst ist, fühlt sich das schnell unangenehm an. Die Entwickler von Kleidungsstücken wiederum wollen ihre Produkte möglichst genau den Ansprüchen ihrer Kunden anpassen. Um zu sehen, ob T-Shirts, Jacken oder Schuhe halten, was sie versprechen, waren bis jetzt Tests mit Prototypen nötig. Empa-Forschende haben nun ein Computerprogramm entwickelt, das berechnen kann, wie warm einem Menschen beim Tragen eines Kleidungsstückes wird.
Wie warm sich beispielsweise eine Winterjacke anfühlt, bestimmt nicht in erster Linie der Stoff. «Viel wichtiger sind die Luftschichten zwischen dem Körper und den Stofflagen», erklärt Empa-Forscherin Agnes Psikuta. «Diese bestimmt mehr als 70% der Eigenschaften eines Bekleidungsstücks.» Denn Luft sei ein hervorragender Isolator. Deshalb isoliert Kleidung dann besonders gut, wenn viel Luft zwischen dem Körper und der äussersten Kleidungsschicht ist. Entweicht diese Luft, verliert man Wärme und fängt an zu frieren.
Von der Modebranche abgeschaut
Bis anhin haben sich die meisten wissenschaftlichen Berechnungsmodelle für die Prognose des Wärmeverlusts allein an den Stoffen orientiert. Stoffe fallen aber unterschiedlich, wenn sich ein Körper bewegt. Dadurch verändern sich auch die isolierenden Luftschichten; aber nur eine Schicht, die permanent da ist, isoliert auch gut. Deshalb haben die Forschenden nach Lösungen gesucht, um die Veränderung während der Bewegung zu berechnen. «Wir haben als Grundlage Programme genutzt, die für die Modeindustrie entwickelt wurden. Diese Programme simulieren die Situation auf dem Laufsteg. Designer können so ein virtuelles Model laufen lassen und sehen, wie ihre neu entworfenen Kleider an einem Menschen in Bewegung wirken.» Psikuta und ihr Team stellten fest, dass diese Programme sehr genau vorhersagen können, wie sich Kleidungsstücke am Körper verhalten.
Das Programm, das die Empa-Forschenden entwickelt haben, vereint verschiedene Berechnungsmodelle, die miteinander interagieren. Neben Luftschichten prognostiziert das Programm den thermischen Komfort, den Einfluss von Schwitzen oder bestimmter Bewegungen auf das Kleidungsstück. Aus einem Schnittmuster entsteht schliesslich ein virtuelles Kleidungsstück, das einem Avatar angezogen werden kann.
Das Programm kann beispielsweise aber auch helfen, ein optimales Outfit für das Lauftraining im Herbst zu entwickeln. «Schon bevor Textilien oder Design klar sind, berechnet unser Programm dann, wie entsprechende Kleidung geschnitten sein sollte», erklärt Psikuta. Und all das nicht nur für Normgrössen. «Unser Programm kann die Avatare nach verschiedenen Körpertypen und -grössen formen. Wenn etwas beispielsweise für besonders muskulöse, kurvige oder schmale Menschen entwickelt werden soll, können wir das im Programm entsprechend anpassen und schauen, wie das wirkt.»
Entwicklungszeit um 90 Prozent verkürzt
Im Endeffekt hilf das Programm, unzählige Prototypen für die Entwicklung neuer Kleidungsstücke zu ersetzen. Weil so auch keine aufwändigen Probandentests mehr nötig sind, verkürzt sich die Entwicklungszeit um bis zu 90 Prozent. «Wie viel Zeit wir damit tatsächlich sparen können, hängt aber stark vom jeweiligen Produkt und dessen Komplexität ab», so Psikuta. «Ein Anzug für die Feuerwehr – von dessen Qualität Gesundheit und Menschenleben abhängig sein können – ist beispielsweise sehr komplex aufgebaut, ein Sport-T-Shirt dagegen erheblich einfacher.»
Die Bedienung des Programms ist allerdings knifflig. Um die Forschungsergebnisse in der Praxis zu testen, arbeitet die Empa mit Industriepartnern zusammen, die beispielsweise Wintersportbekleidung herstellen. «Sie bringen uns ihre Ideen, und wir liefern ihnen die Technologie und helfen ihnen, die Kleider innerhalb kürzester Zeit zu entwickeln», so Psikuta. Zudem präsentieren sie und ihr Team die Software an wissenschaftlichen Konferenzen, um sie gemeinsam mit Forschungspartnern weiterzuentwickeln und dann möglichst vielen Nutzern zugänglich machen zu können. (Empa/mc/pg)