Credit Suisse – Naht das Ende der Globalisierung?
Vollzieht sich ein Wandel weg von der Globalisierung hin zu einer multipolaren Welt?
Zürich – Das Credit Suisse Research Institute hat am Donnerstag den Bericht «The End of Globalization or a More Multipolar World» (Das Ende der Globalisierung oder eine verstärkt multipolare Welt) veröffentlicht, in dem drei Szenarien präsentiert werden: «erfolgreiche Fortsetzung der Globalisierung», «Entwicklung einer multipolaren Welt auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene» und, wesentlich dramatischer, «das Ende der Globalisierung». Neuesten Forschungsergebnissen zufolge könnte sich ein Wandel weg von der Globalisierung hin zu einer multipolaren Welt vollziehen.
Michael O’Sullivan, Chief Investment Officer für Grossbritannien und die Region EEMEA im Private Banking & Wealth Management der Credit Suisse, erklärt: «Die Globalisierung war in den vergangenen 20 Jahren die stärkste wirtschaftliche Kraft. Im Zuge dieser Entwicklung bildeten sich Weltstädte heraus, kleinere Staaten verzeichneten Erfolge, und der Wohlstand in den Schwellenländern nahm zu. Die Fortsetzung dieser Entwicklung ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Die Frage, in welche Richtung der Trend gehen wird, gehört zu den wichtigsten makroökonomischen Themen der nächsten zehn Jahre.»
Den Bericht des Credit Suisse Research Institute mit dem Titel «The End of Globalization or a More Multipolar World» erhalten Sie hier.
Einige wichtige Aspekte des Berichts «The End of Globalization or a More Multipolar World»
Dieser Bericht verfolgt das Ziel, die Globalisierung mit all ihren Facetten zu messen und quantitativ zu bestimmen sowie darüber hinaus «Multipolarität» zu quantifizieren.
Globalisierungsuhr
Die Credit Suisse hat anhand vieler Indikatoren und Daten, die dem Bericht zugrunde liegen, eine «Globalisierungsuhr» entwickelt, die die Entwicklung von Globalisierung und Multipolarität im Vergleich zu ihrem jeweiligen langfristigen Durchschnitt darstellt. Die untenstehende Grafik veranschaulicht, dass die Globalisierung zu Beginn der 1990er-Jahre von den USA und den europäischen Ländern dominiert wurde, gefolgt von einer Phase der geringeren Globalisierung und einer schwach ausgeprägten Multipolarität von 2000 bis 2005. Wichtige Faktoren dieser Entwicklung waren das Wachstum im Bereich der Informationstechnologie und die Konsolidierung der militärischen Macht in wichtigen Industriestaaten während der Kriege im Irak und in Afghanistan. Inzwischen ist die Welt in das erste Viertel dieser Uhr vorgerückt – eine ideale Position. Sie wird gleichzeitig globalisierter und multipolarer, und diese Entwicklung wird durch die Konjunkturschwäche der Industrieländer und den Aufstieg der Schwellenländer noch verstärkt.
Die Zukunft der Globalisierung – drei Szenarien
In diesem Bericht werden drei Szenarien präsentiert: «erfolgreiche Fortsetzung der Globalisierung», «Entwicklung einer multipolaren Welt auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene» und, wesentlich dramatischer, «das Ende der Globalisierung».
Szenario 1: Fortsetzung der Globalisierung:
Im ersten Szenario schreitet die Globalisierung weiter voran. Das bedeutet, dass der US-Dollar seine Stellung als Erster unter Gleichen in der Welt der Devisen behauptet. Im Allgemeinen dominieren westliche Grosskonzerne die globale Unternehmenslandschaft und internationale Gesetze und Einrichtungen sind weiterhin «westlich» geprägt. Betrachtet man das Szenario aus der volkswirtschaftlichen Perspektive, so herrscht eine hohe makroökonomische Volatilität, der Handel wächst und wird nur geringfügig durch protektionistische Massnahmen belastet und die Internetwirtschaft expandiert länderübergreifend. Auf gesellschaftspolitischer Ebene ist die Herausbildung von «offeneren Gesellschaften» aufgrund eines höheren Entwicklungsstands eine wichtige Entwicklung.
Szenario 2: Eine multipolare Welt:
Dieses zweite Szenario geht von dem Aufstieg Asiens und einer Stabilisierung der Eurozone aus, sodass die Weltwirtschaft – grob skizziert – auf drei Säulen ruht: Nord- und Südamerika, Europa und Asien (mit China an der Spitze). Im Einzelnen rechnen wir mit der Entwicklung neuer internationaler Einrichtungen, die gegenüber Institutionen wie der Weltbank stärker an Bedeutung gewinnen, dem Aufstieg einer «gelenkten Demokratie» und einer stärker regional basierten Rechtsstaatlichkeit. Auch die Migration findet eher regional und vom Land in die Stadt als über Landesgrenzen hinweg statt, regionale Finanzzentren bilden sich heraus, und der Banken- und Finanzsektor erlebt einen Wandel.
Auf Unternehmensebene findet ein deutlicher Wandel statt: Im Zuge des Aufstiegs führender Unternehmen auf regionaler Ebene werden globale Grosskonzerne in diesem Szenario vielfach verdrängt. Darüber hinaus rechnen wir mit ungleichmässigen Verbesserungen in puncto Entwicklungsstand. Die Folge: Mehr Stabilität und Wohlstand für die lokale Wirtschaft vor dem Hintergrund einer Fortsetzung des Konsumtrends in den Schwellenländern. In Europa stoppt die EU ihren Expansionskurs. Nachdem die Umstrukturierung von Banken und Unternehmen eine Verschlankung der Wirtschaft mit sich bringt, erlebt die EU einen Aufschwung.
Szenario 3: Das Ende der Globalisierung:
Unser drittes Szenario ist pessimistischer, es besteht jedoch eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich eintreten wird. Es erinnert an den Zusammenbruch der Globalisierung 1913 und den darauffolgenden Ersten Weltkrieg. Obwohl die Welt in den letzten Jahren von der globalen Finanzkrise und Terroranschlägen betroffen war, haben diese Entwicklungen die internationale Zusammenarbeit eher gestärkt als geschwächt. Dennoch ist die Globalisierung nach wie vor mit Risiken verbunden, die wir in diesem Bericht in Form einer Risiko-Scorecard präsentieren.
Zu den Trends und Entwicklungen, auf die wir achten, gehören ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum und ein rückläufiger Handel, verbunden mit dem zusätzlichen Risiko eines makroökonomischen Schocks (durch Verschuldung, Ungleichheit und Immigration), ein verstärkter Protektionismus, ein geopolitischer/militärischer Konflikt zwischen den «Grossmächten», Währungskriege, Klimakatastrophe(n), der Aufstieg breiter politischer Antiglobalisierungsbewegungen und Protestbewegungen gegen internationale Konzerne oder eine Abkehr von Demokratisierungstendenzen.
Wohin entwickelt sich die Globalisierung?
In Bezug auf das globale BIP ist eine Verlagerung nach Osten zu beobachten. So werden beispielsweise Delhi, Schanghai, Mumbai und Peking künftig zu den Top 50 der Städte gehören.
Globalisierungsindex der Credit Suisse
Der Globalisierungsindex der Credit Suisse berücksichtigt ökonomische, soziale und technologische Faktoren. An der Spitze des Index stehen die europäischen Länder, während die Globalisierung in den afrikanischen Staaten in der Regel am wenigsten fortgeschritten ist. Einige kleine Länder, die als Handels- oder Finanzplatz fungieren, beispielsweise Luxemburg, weisen im Verhältnis zu ihrem BIP ausgesprochen hohe Finanz- und Handelsströme aus. Damit gelten sie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten als stark globalisiert.
Globalisierungstrends
Am stärksten multipolar geprägt ist die Welt im Hinblick auf Handelsströme und Wirtschaftstätigkeit. Der Handel findet zunehmend auf regionaler Ebene statt, auch wenn sich die Hinweise auf mögliche neue Handelsbarrieren verdichten.
Finanztechnisch ist die Welt stark globalisiert und weniger multipolar. Die USA bilden weiterhin das Zentrum der Finanzwelt, wenn man berücksichtigt, welchen Einfluss die US-Märkte auf andere Länder haben und welche Rolle der Dollar im Vergleich zum Euro oder dem Renminbi spielt.
Unsere Analyse der Investitionen von Unternehmen und des Ertragswachstums hat ergeben, dass die Globalisierung in Bezug auf Konsum- und Marketingtrends intakt bleibt. Grenzübergreifende Unternehmensinvestitionen scheinen hingegen rückläufig zu sein. Neben dem Aufstieg der Unternehmen aus den Schwellenländern – im Hinblick auf Umsatz und Investitionen – deuten diese Ergebnisse unserer Ansicht nach auf eine stärker multipolar geprägte Welt hin, in der Unternehmen weiterhin grenzübergreifend handeln, bei grenzüberschreitenden Investitionen jedoch zurückhaltender agieren.
Im Hinblick auf die Governance scheint die Dynamik, die im Zuge der Globalisierung eine Ausbreitung der Demokratie begünstigte, ihre Grenze erreicht zu haben. Weniger demokratische Regierungen geniessen den Ruf, für wirtschaftlichen Erfolg zu sorgen, und neue regionale Einrichtungen übernehmen die Tätigkeitsbereiche globaler Einrichtungen. Neue Einrichtungen – wie Staatsfonds und Finanzräte – gehören diesbezüglich zu den auffälligeren Beispielen. (Credit Suisse/mc/ps)