CS Global CIO Note: Führt die Kakofonie des Populismus zu einer stärkeren politischen Mitte?

Michael Strobaek

Von Michael Strobaek, Global Chief Investment Officer Credit Suisse.

Zürich – Die Wahlergebnisse der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass die Populisten des rechten und linken Spektrums weniger Zuspruch erhalten als befürchtet und sich die «vernünftige Mitte» politisch wieder stärker behaupten kann. Zwar könnten dadurch die politischen Risiken für die Finanzmärkte abnehmen. Eine Welle liberaler Reformen scheint aber eher unwahrscheinlich.

Zum Ende des Kalten Krieges 1989 veröffentlichte Francis Fukuyama seinen viel zitierten Essay (und später sein Buch), in dem er das «Ende der Geschichte» bzw. expliziter den «klaren Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus» proklamierte. Im darauf folgenden Jahrzehnt schien sich diese These zu erhärten, denn in Osteuropa und Russland fand ein friedlicher Übergang zu westlichen Formen der Demokratie statt, wurde China Teil des Freihandelssystems und vertiefte sich die finanzielle Liberalisierung. Die Globalisierung schien einen wahrlichen Siegeszug angetreten zu haben.

Wie wir heute wissen, wurde dieser zunächst unaufhaltsam scheinende Prozess schon bald von Rückschlägen erschüttert. Lange unterdrückte religiöse Kräfte kamen im Mittleren Osten an die Oberfläche, stellten den Westen vor Herausforderungen und stürzten sich gegenseitig in blutige religiöse und ethnische Konflikte, die noch immer nicht überstanden sind. Die Übertreibungen des finanziellen Booms – die wohl auch durch einen zu grossen Glauben an die Selbstkorrekturmechanismen der freien Märkte ausgelöst wurden – mündeten in der tiefsten Finanzkrise und Rezession der Nachkriegszeit. Im Zuge dessen führte das, was zunächst eine zutiefst vereinigende und wachstumsfördernde Veränderung im europäischen monetären Regime zu sein schien, bis an den Rand eines Kollapses mit dem Risiko eines Auseinanderbrechens der Europäischen Union (EU) und ihrer Gemeinschaftswährung. Zwischenzeitlich wurde die aufgeklärte liberale Demokratie in Russland und Mitteleuropa von verschiedenen Kräften herausgefordert, wodurch sich die Spannungen innerhalb der EU und mit dem grossen Nachbarn im Osten noch weiter verschärften.

Unzufriedene Gesellschaften
Die Welle an Flüchtlingen, die aufgrund der Kriege in Syrien und Afghanistan sowie der Not in Teilen Afrikas ihre Heimat verlassen, hat zu grösseren politischen Spannungen in und zwischen den europäischen Ländern geführt und – vermutlich – auch den Brexit-Schock mit ausgelöst. Die Angst vor «Massenimmigration» war mitverantwortlich für die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sowie für ein Votum in der Schweiz, deren offene Grenzen mit der EU dadurch gefährdet wurden. Der von Fukuyama beschriebene klare Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus drohte, sich ins Gegenteil zu wenden. Stattdessen wurden die «unzufriedenen Gesellschaften» – einer der Supertrends, die wir kürzlich ausgemacht haben – zu einer weitaus präziseren Beschreibung der gegenwärtigen politischen Treiber im Westen. Es lässt sich tatsächlich nur schwer leugnen, dass der politische Diskurs – sofern er denn überhaupt geführt wird – grösstenteils durch Unzufriedenheit und Wut charakterisiert ist, mit möglicherweise schädlichen wirtschaftspolitischen Konsequenzen.

Erneuerung und Fortschritt
Man würde erwarten, dass Wut zu Irrationalität, Radikalismus und politischer sowie wirtschaftlicher Instabilität führt. Dies ist aber nicht zwangsläufig der Fall. Wut – oder weniger dramatisch formuliert, Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation – kann auch in Erneuerung und Fortschritt münden. Tatsächlich zeigen die Wahlen in Europa in diesem Jahr, dass die Wähler eher in diese Richtung tendieren. Sie sind auf der Suche nach Reformen, aber auch grösserer Stabilität und und lehnen einen aggressiven Populismus ab, der für die grossen Probleme unserer Zeit ohnehin keine nachhaltigen Lösungen bieten kann. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die radikale Rechte in Österreich, den Niederlanden und Frankreich eine deutliche Niederlage erlitt, und die AfD in Deutschland rapide an Zuspruch verliert. In Finnland hat sich die radikale Rechte gerade in zwei Flügel, Pragmatiker und «Puristen», aufgespalten. In Italien sprechen die jüngsten Kommunalwahlen ebenfalls dafür, dass populistische Versprechungen alleine die Wähler nicht überzeugen. Auch die Rückschläge der Tories bei den Wahlen in Grossbritannien können zum Teil als Ablehnung vereinfachter chauvinistischer Parolen gewertet werden.

Niedergang des linken Populismus?
Gleichzeitig gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die radikale Linke von diesem Trend profitiert. Wer glaubt, dass die Gewinne der Labour Party in Grossbritannien – unter Führung eines eher dogmatischen Sozialisten alter Schule – darauf hindeuten, dass linke Populisten eine gute Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben, wird vermutlich enttäuscht werden. Selbst in Ländern, die eine schwere Krise durchlaufen, wie zum Beispiel Spanien und Griechenland, stehen die Wähler deren Rezepten inzwischen desillusioniert gegenüber. Bernie Sanders hätte unserer Einschätzung nach die US-Wahlen nicht gewonnen, wenn er der demokratische Gegner Donald Trumps gewesen wäre. Ein weiterer Aspekt der britischen Wahlen stimmt optimistisch: Das sehr gute Ergebnis von Ruth Davidson, der Vorsitzenden der Conservative Party in Schottland, einer erklärten EU-Befürworterin und Gegnerin der Scottish National Party, deutet darauf hin, dass auch der Stern des Separatismus, einer anderen Ausdrucksform von «Wut», sinkt. Das katalanische Referendum im Herbst wird, sofern es denn stattfindet, diese These ebenfalls auf die Probe stellen. Blicken wir abschliessend über die Grenzen Europas hinaus, so verdeutlichen auch die jüngsten politischen Veränderungen in Argentinien und die Turbulenzen in Brasilien, dass der linke Populismus im Niedergang begriffen ist. Es bleibt zu hoffen, dass Venezuela sich schon bald selbst von einer extremeren Form befreien kann.

Rückkehr zur Mitte
Zusammengenommen führen mich diese Beobachtungen zum Schluss, dass tatsächlich wieder eine Wählerbewegung weg von den Extremen hin zur Mitte eingesetzt hat. Emmanuel Macron hat die Wahlen in Frankreich über eine offene zentristische Plattform gewonnen. Die Landtagswahlen in Deutschland haben zuletzt der in der Mitte angesiedelten CDU von Angela Merkel einen Schub verliehen, und selbst wenn Martin Schulz (SPD) im September gewinnen sollte, wäre dies kein Indiz für eine Bewegung der Wählerschaft in eine radikale Richtung. Die Wähler scheinen Politiker zu bevorzugen, die pragmatische Lösungen für die komplexen Probleme unserer Zeit und nicht nur vereinfachte Rezepte zu bieten haben. Und ich wage zu behaupten, dass der nächste US-Präsident ebenfalls ein erklärter Zentrist sein wird. Möglicherweise wird die Ernüchterung in Bezug auf Radikalismus – der in diesem Fall brutale Formen angenommen hat – sogar dazu führen, dass die Kräfte im Mittleren Osten irgendwann zu Kompromissen bereit sein werden.

Alles in allem scheinen somit Ängste vor einer ausgeprägten politischen Destabilisierung und systemischen Verwerfungen übertrieben, was vielleicht einer der Gründe ist, warum die Märkte, und dabei vor allem die Aktienmärkte, bis vor Kurzem derart stabil und ruhig geblieben sind, obwohl die Bewertungen recht überzogen erscheinen. Bedeutet dies, das wir schliesslich und endlich doch noch den klaren Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus erleben, den Francis Fukuyama proklamiert hatte? Ich halte dies aus drei Gründen nach wie vor für eher unwahrscheinlich: Erstens bedeutet die multipolare Welt, in der wir leben, dass nationalen und regionalen Interessen tendenziell Vorrang vor Bestrebungen gegeben wird, die freie Märkte und eine ungehemmte Globalisierung befürworten. Zweitens ist das Misstrauen gegenüber Marktlösungen noch immer nicht überwunden, nicht zuletzt aufgrund der «Verfehlungen» während der Finanzkrise.

Drittens werden sich die immer älter werdenden Gesellschaften (Stichwort: «Silver Economy») wohl nicht zuletzt deshalb nicht für tiefgreifende Liberalisierung und Reformen aussprechen, weil viele der grossen wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit eine Umverteilung der Ressourcen zwischen den älteren und den jüngeren Generationen erfordern. Bei den politischen Modellen der Zukunft wird es sich somit wohl eher um liberal-soziale Demokratien verschiedener Ausprägungen handeln. Aus Anlegersicht sind diese natürlich rechten oder linken Formen eines radikalen Populismus vorzuziehen. Hoffnungen auf tief greifende liberalisierende Reformen dürften sich allerdings nicht bestätigen. (Credit Suisse/mc/ps)

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