Demokratietest Griechenland
Die Griechen haben sich klar gegen ein eigentlich nicht mehr existierendes Angebot der Troika entschieden. Nicht klar ist, wofür sie sie gestimmt haben. Der Nachgang wird ein Lackmustest für die Zukunft der EU: Wird sie zu einer Wertegemeinschaft oder einer Finanzholding?
Kommentar von Helmuth Fuchs
Die Abstimmung in Griechenland ist vor allem ein Ringen um zwei unterschiedliche Vorstellungen, was Europa in Zukunft sein soll. Auf der einen Seite die Troika und Länder unter der Führung des grössten Nettozahlers Deutschland, die sich auf bestehende Veträge und den Sparkurs als einzigem Weg aus der Misere berufen, auf der anderen Seite Griechenland, das eine Entschuldung und einen unbelasteten Neuanfang will, mit moderaten Reformen. Die Hartnäckigkeit und die aus Sicht der Diskussionspartner an Unverschämtheit grenzende Nichteinhaltung von Verhandlungs- und Verhaltensregeln der griechischen Regierung führt zunehmend zu einer Grundsatzdiskussion über die Zukunft der EU.
Regeln, die für alle gelten?
Dabei werden die Risse, welche durch die Ungleichbehandlung von grossen und kleinen, armen und reichen Ländern entstanden, deutlich sichtbar. Weshalb soll sich Griechenland den Forderungen der Troika beugen, wenn Frankreich seit Jahren seine Verschuldungsziele ohne Eingriffe in seine Souveränität verpasst und aufweicht? Weshalb sollte eine demokratisch legitimierte Regierung mit eigenem Programm sich einem demokratisch nicht gestützten Gremium sowohl Strategie als auch operative Umsetzung vorschreiben lassen? Das immer wieder erwähnte Demokratie-Defizit der EU wird im Fall Griechenland unübersehbar.
Fehlende Prozesse für fundamentale Entscheidungen
Ebenso unübersehbar werden die fehlenden Prozesse, Gremien und Entscheidungswege für so fundamentale Entscheidungen wie die Entschuldung oder den Austritt eines Mitgliedes. Bei der schnell steigenden Anzahl der Mitglieder wurde offenbar nie damit gerechnet, dass ein Land in die Situation kommen könnte, seine Schulden nicht mehr begleichen zu können, dies, obschon immer mehr wirtschaftlich sehr schwache Länder aufgenommen wurden. Angeführt von Deutschland wurde den Bürgern der einzelnen Ländern immer versichert, dass es selbstverständlich keine Transferunion sei, in der ihr Land für die Fehler eines anderen Landes haften und bezahlen müsste. Genau das wurde aber über die Hintertüre der EZB eingeführt. Die privaten Investoren wurden aus der Verantwortung entlassen (einmal mehr) und die Kosten eines Konkurses in Griechenland tragen mittlerweile die Steuerzahler der EU-Länder und die Beitragszahler des IWFs (somit auch die Schweiz).
Solidarische Plattform oder reine Umverteilungs-Institution
Was immer mit Griechenland geschieht, die EU wird sich entscheiden müssen, was sie in Zukunft sein will und dem entsprechende Prozesse definieren und vor allem gefasste Beschlüsse auch umsetzen müssen. Ansonsten verkommt sie zu einer schlecht funktionierenden Umverteilungs-Institution von Geldern und Risiken für die “happy few”. Von der Vision eines ernst zu nehmenden, geeinten Europas, welches seinen Mitgliedern eine von Solidarität geprägte Plattform für die Lösung der grossen Probleme (Migration, Arbeitslosigkeit, Perspektiven für die Jugend und die Alten, Umweltzerstörung, Wettbewerbsfähigkeit…) bietet, ist aktuell nicht viel übrig. Im besten Fall haben die Griechen zumindest hier einen Funken Hoffnung in die Diskussion gebracht.