Vaduz – Die Materialknappheiten sind eine schwerwiegende Belastung für die globale Volkswirtschaft. Davon betroffen sind Industrie und Verbraucher. Der Mangel an Vorprodukten und Rohstoffen treibt die Inflationsraten nach oben. Deshalb ist es wichtig zu verfolgen, wie sich die Situation entwickelt. Wir haben dazu einen eigenen Indikator erstellt.
Es gibt kaum eine Branche, die derzeit nicht von Materialknappheit betroffen ist. Eine nachhaltige Verbesserung der Situation war in den vergangenen Monaten nicht auszumachen. Wenn ein Produkt wieder verfügbar war, fehlte ein anderes. So hat sich die Verfügbarkeit von Bauholz verbessert, jetzt fehlt auf den Baustellen Dämmmaterial.
Wie sich die Situation kurzfristig entwickelt, ist offen. Aufgrund der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante des Corona-Virus ist auch eine rasche Verschlechterung möglich. Vor allem die Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung führt zu neuerlichen Werks- und Hafenschliessungen.
Verbesserungen erkennbar
Der Schiffsstau vor Häfen in den USA und in China hat sich gegenüber Herbst 2021 etwas entspannt, wie Daten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) zeigen. Allerdings hat sich der Anteil an Waren, die sich global auf ungelöschten Containerschiffen befinden, jüngst wieder erhöht hat (vgl. Grafik). Dazu passen die Analysen des Schweizer Speditionskonzerns Kühne + Nagel, der ebenfalls Wartezeiten vor Häfen erfasst. Demnach hat sich die Lage an den US-Häfen zuletzt wieder verschlechtert. Vermutlich ist dies der Omikron-Variante zuzuschreiben. Höhere Krankenstände dürften die Abfertigung an zentralen Häfen verzögern.
Auch bei den Lagerbeständen in Europa gibt es Hoffnungsschimmer. Die monatlichen Unternehmensumfragen der EU-Kommission zeigen, dass sich die Situation zuletzt bei Vorprodukten merklich gebessert hat.
Auch in den USA sind punktuell positive Entwicklungen auszumachen. Die monatliche Unternehmensbefragung des Institute for Supply Management (ISM) zeigt, dass sich innerhalb des verarbeitenden Gewerbes zuletzt die Lieferzeiten verkürzt haben.
An vielen Stellen klemmt es noch
Doch so erfreulich einzelne Verbesserungen auch sind, an vielen Stellen klemmt es noch immer. So zeigt der ISM-Index auch, dass sich die Lücke zwischen Auftrags- und Lagerbestand noch immer auf Rekordhöhe befindet. Das ist längerfristig gesehen eine positive Nachricht für die Konjunktur, schliesslich müssen die Lager wieder befüllt und die Aufträge abgearbeitet werden. Kurzfristig lässt sich daraus auf noch immer erhebliche Verspannungen schliessen. Auch die anhaltend hohen Frachtkosten für Containerboxen geben einen Hinweis darauf, dass es mit dem Handel auf den Weltmeeren noch nicht rund läuft. Der auf den Frachtraten für zwölf Seerouten beruhende globale Freightos Baltic Index liegt trotz leichter Entspannung nahe an seinem Hoch vom vergangenen Sommer.
Der VP Bank Lieferkettenindex
Die Signale sind also widersprüchlich. Auf der einen Seite sind Verbesserungen auszumachen, auf der anderen Seite sieht die Situation weiterhin angespannt aus. Zur Einschätzung des Konjunkturverlaufs ist der Stand der Lieferkettenunterbrechungen wichtig. Knappe Güter heizen dem Preisniveau ein. Notenbanken sind gezwungen, gegenzusteuern, und erhöhen den Leitzins, um Zweitrundeneffekten entgegenzuwirken. Werden die Materialknappheiten geringer, entspannt sich also die Lage, und die Erzeugerpreise könnten sogar fallen.
Um die Entwicklungen im Welthandel systematisch einzufangen, haben wir basierend auf den unterschiedlichen Indikatoren den VP Bank Lieferkettenindex entwickelt. Als Grössen fliessen die bereits vorgestellten Indikatoren ein, insgesamt elf Stück. Im Einzelnen zählen dazu:
- Freightos Frachtpreisindex
- Unbewegte Güter (Goods blocked; ifw Kiel)
- Lagerbestände in der Eurozone basierend auf der monatlichen Umfrage der EU-Kommission (sechs unterschiedliche Produktkategorien)
- ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe (Teilaggregate: 1. Differenz aus Auftragsrückstand und Lagerbestand, 2. Lieferzeiten)
Diese Zeitreihen werden anschliessend mittels eines statistischen Verfahrens – einer Hauptkomponentenanalyse – zu einem einzigen Indikator verdichtet. Wir skalieren die Werte auf einer Skala von 0 bis 100. Der Wert von 100 entspricht dem in der abgetragenen Historie bislang reibungslosesten Materialfluss. Werte von Null, oder nahe Null, signalisieren eine im historischen Kontext angespannte Lieferkettensituation. Kurzum: Hohe Indexwerte stehen für einen reibungslosen Materialfluss, niedrige hingegen für Verspannungen.
Der Lieferkettenindex zeigt die Entwicklung in den vergangenen vier Jahren. Deutlich ersichtlich ist die sukzessive Verschlechterung seit Beginn der ersten Corona-Welle im März 2020. Trotz Verbesserungen seit den Herbstmonaten des vergangenen Jahres sind die Werte vor Ausbruch der Pandemie noch in weiter Entfernung.
Fazit
Die Omikron-Variante des Corona-Virus wird in den kommenden Wochen eine Belastung für das Funktionieren von Lieferketten bleiben. Die Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung führt zu Werks- und Hafenschliessungen. Ob die jüngsten Erholungstendenzen bei der Lieferkettenproblematik von nachhaltiger Natur sind, wollen wir fortan regelmässig überprüfen. Der VP Bank Lieferkettenindex wird monatlich aktualisiert. Mit dem monatlich aufdatierten Index werden die Entwicklungen im Welthandel systematisch beobachtet. Frachtpreise, Lagerbestände, Schiffstau und Lieferzeiten in den USA und in Europa werden berücksichtigt. (VP Bank/mc/ps)