Descartes Finance: Anlegen in Zeiten von Inflation, Rezession und steigenden Zinsen

Adriano Lucatelli, Mitgründer & CEO Descartes Finance AG. (Foto: Descartes Finance AG)

Der Entscheid der SNB von letzter Woche, den Leitzins gleich um 0,5 Prozentpunkte anzuheben, hat mich überrascht. Denn damit löst sich die SNB von ihrem seit über zehn Jahren gepflegten Paradigma, den Franken nicht zu sehr gegenüber dem Euro aufwerten zu lassen. 

Kommentar von Adriano Lucatelli

Bei der geldpolitischen Lagebeurteilung am 16. Dezember 2021 betonte SNB-Präsident Thomas Jordan noch: «Die Nationalbank führt ihre expansive Geldpolitik unverändert fort.» Zweitens markierte er die Bereitschaft, «bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, um dem Aufwertungsdruck auf den Franken entgegenzuwirken». Der Franken sei «weiterhin hoch bewertet». Damals kostete ein Euro 1,04 Franken. Die gleichen Botschaften setzte die SNB fast wortgleich auch Ende März 2022 wieder ab: Es bleibt alles beim Alten.

Wie schnell sich die Dinge ändern! Am 17. Juni erfolgte die Abkehr. Nicht nur wechselte Jordan geldpolitisch in den Rückwärtsgang. Er betonte auch die Bereitschaft zu weiteren Zinserhöhungen, sollte die Inflation in der Schweiz nicht zurückgehen. Weiter verzichtete die SNB erstmals seit Jahren auf die Feststellung, der Franken sei hoch oder überbewertet. Das Bekenntnis zu Devisenmarkt-Interventionen wurde abgeschwächt. Infolge des SNB-Entscheids wertete sich der Franken gegenüber dem Euro um rund zwei Prozent auf.

Inflation im Fokus der SNB

Es sieht also so aus, als habe die SNB entschieden, sich in der aktuellen Inflations-Krise eher im Fahrwasser der etwas aggressiveren Federal Reserve zu bewegen als der hoffnungslos defensiven EZB. Wie um diesen Eindruck zu verstärken, kündigte die EZB in der gleichen Woche an, neue Anleihenkäufe zu tätigen, um die Zinsdifferenz zwischen den einzeln Mitgliedsländern zu reduzieren. Eine Zinserhöhung von 0,25 Prozent wird im Juli erwartet.

Mittel- und langfristig stimmt mich der Kurswechsel der SNB hoffnungsfroh. Die Nationalbank scheint gewillt, dafür zu sorgen, dass die Preisentwicklung hierzulande nicht ähnlich aus dem Ruder läuft, wie wir es anderswo beobachten.

Aber eine hoffentlich einsetzende geldpolitische Normalisierung wird nicht schmerzfrei über die Bühne gehen. Mit ihrer Geldschwemme seit 20 Jahren haben die Notenbanken, darunter auch die SNB, für eine riesige Bonanza bei den Vermögenswerten («Asset Inflation») gesorgt. Die Immobilienpreise erklommen immer neue Höhen, wie auch die Aktienmärkte. Ein guter Teil dieser Preissteigerungen wurde durch das billige Geld genährt. Auch die konjunkturelle Entwicklung wurde damit belebt. Wenn Kredit gratis ist, leihen sich Firmen und Private mehr Geld für unternehmerische Projekte, den Kauf von Häusern, Aktien etc. und für den Konsum. 

Das süsse Gift des billigen Geldes

Die sich abzeichnenden Verschärfungen in der Geldpolitik schlagen bereits jetzt auf die Konjunktur durch. Dies, obwohl wir sowohl in den USA als auch in der Eurozone noch nicht Weit vom Zins-Nullpunkt entfernt sind. Die Wirtschaft hat sich offenbar sehr stark daran gewöhnt, dass Geld nichts mehr kostet. Die Entwöhnung wird für eine gewisse Zeit weh tun. Insbesondere, sollte sie sich mit einer Rezession in wichtigen Wirtschaftsräumen überlagern. Und wir bewegen uns in der Eurozone und in den USA ziemlich eindeutig in Richtung einer Rezession. Sämtliche Prognostiker reduzieren derzeit ihre Wachstumsziele für das Jahr 2022. Selbst wenn, wie derzeit angenommen, die US-Wirtschaft dieses Jahr rund 2 Prozent wächst und jene in der Eurozone gegen 3 Prozent: Die deutlich höhere Inflation wird dieses Wachstum wegfressen; 2022 wird inflationsbereinigt ein Jahr mit negativem (Real-)Wachstum.

Für Investoren werden die kommenden Monate und Jahre anspruchsvoll. Wie kann man in einem Umfeld von steigender Inflation, steigenden Zinsen und negativem Wachstum erfolgreich anlegen?

Moderate Preiskorrektur bei den Immobilien

Beginnen wir bei den Immobilien. Ich bin davon überzeugt, dass wir hier kürzlich die Höchststände erreicht haben und es eine moderate Preiskorrektur geben wird. Mit den Zinserhöhungen wird es teurer, Immobilien zu erwerben, was die Nachfrage abschwächt. Einige Immobilienbesitzer, die beim Thema Belehnung und Laufzeit zu hart am Wind gesegelt sind, werden in Schwierigkeiten geraten. Um ein Massenphänomen wird es sich dabei aber nicht handeln; denn die allermeisten Schweizer schliessen langfristige Hypotheken ab (80 Prozent aller Hypotheken haben eine Laufzeit von 10 Jahren oder mehr). Wer mit dem Gedanken spielt, Immobilien zu erwerben, dem würde ich raten, etwas zuzuwarten, bis die Zinserhöhung(en) der SNB auf die Preise durchschlägt. Bei der Finanzierung muss man sich immer vor Augen halten, dass bei einer Eigenkapital-Erfordernis von 20 Prozent eine sportlich finanzierte Immobilie eigentlich ein hoch gehebeltes Finanzprodukt ist – speziell, wenn man sie mit Geldmarkthypotheken finanziert.

Zu den Aktien: Als Anlageklasse werden Aktien noch längere Zeit unter Druck bleiben, da sie konjunkturempfindlich sind und da die Notenbanken weniger Geld in die Finanzmärkte pumpen, das allenfalls gehebelt und in Aktien angelegt werden kann. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Am Anfang jedes Anlageentscheids von privaten oder institutionellen Investoren steht die Aufteilung auf Aktien und festverzinsliche Wertpapiere. Steigende Zinsen führen daher fast definitionsgemäss dazu, dass weniger Geld in die Aktienmärkte und mehr Geld in Festverzinsliche fliesst.

Vorsicht bei Tech-Aktien und Kryptos

Wer mit einem langen Anlagehorizont unterwegs ist, der sagt am besten: «Augen zu und durch.» Auf magere Zeiten folgen auch wieder bessere. Wer aber kurzfristig optimieren möchte, der sollte auf konjunkturresistente Firmen gehen (Pharma, Lebensmittel…) und dabei insbesondere auf Unternehmen mit einer hohen Preissetzungs-Macht. Abraten würde ich von Tech-Aktien: Ein traumhafter Net Present Value bei Nullzinsen kann bei steigenden Zinsen rasch ins Bodenlose fallen. Auch vor Kryptos wie z.B. dem Bitcoin sei gewarnt. In Zeiten des Gratisgeldes war der Bitcoin ein sehr einfaches und einträgliches Geschäft; aber da hier sehr oft mit grossen Leverage-Ratios gearbeitet wird, schlägt die Zinsentwicklung voll auf die Branche durch.

Pensionskassen mit hohem Aktien- und Immobilienanteil

Noch ein Wort zur Altersvorsorge: Kürzlich hat das Pensionskassensystem rekordhohe Deckungsgrade vermeldet. Leider fällt mein Blick auf die Pensionskassen trotzdem relativ pessimistisch aus. In den letzten Jahren haben die Pensionskassen den Anteil an Immobilien in ihren Portfolios auf rund 25 Prozent gesteigert, den Anteil an Aktien auf 33 Prozent. Beide Anlageklassen werden dieses Jahr negativ performen. Dazu kommen allenfalls Bewertungsverluste auf die Obligationen aus den Tiefzins-Jahren. Wir müssen froh sein, wenn das Jahr 2022 nur die Rekord-Rendite von 2021 (8 Prozent) zunichte macht und nicht etliche Vorsorgeeinrichtungen in Schwierigkeiten bringt.


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