Innsbruck – Impfen oder nicht impfen? Diese Frage stellen sich viele Frauen. Denn in Internetforen kursieren Geschichten, welche eine Bedrohung der Fruchtbarkeit durch die COVID-19-Impfung heraufbeschwören. Bettina Toth, Direktorin der Univ.-Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck räumt mit Impfmythen auf und hat eindeutige Antworten.
Viele Frauen berichten über Zyklusunregelmässigkeiten nach der Corona-Impfung. Was hat es damit auf sich?
Bettina Toth: Jede Impfung löst eine Immunreaktion aus, da sich das Immunsystem mit dem Virus bzw. den Viruspartikeln auseinandersetzt, auch wenn es eine abgeschwächte Form davon ist. Das ist nicht schlimm und wir beobachten das übrigens auch bei anderen Infektionskrankheiten, wie etwa der Grippe. Das Immunsystem wird stimuliert und die Prozesse, die dabei im Körper ablaufen, können dazu führen, dass sich zum Beispiel die Periode verschiebt. Abgesehen davon kann auch ein Körpertemperaturanstieg bzw. Fieber Veränderungen mit sich bringen, die zu Zyklusunregelmässigkeiten führen.
Manche Frauen befürchten, dass die Impfung gegen COVID-19 ihre Fruchtbarkeit negativ beeinflussen kann. Wie ist der Forschungstand dazu?
Es wurde schon früher ganz häufig behauptet, dass Impfungen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben. Das sind Märchen, die aber massive Ängste in der Bevölkerung auslösen, wie der Wissenschaftskabarettist und „Science Buster“ Martin Moder in einem YouTube-Video treffend darlegt: Die Sorge, dass die Corona-Impfung unfruchtbar machen könnte, rührt daher, dass Teile der Virushülle – das so genannte Spike-Protein – in der Impfung enthalten sind, die dem Plazenta-Protein Syncytin-1 ähnlich sind. Dieses wiederum ist für die Bildung des Mutterkuchens (Plazenta, Anm.) zuständig. Nun befürchtet man, dass Antikörper, die gegen das Spike-Protein gebildet werden, aufgrund der Ähnlichkeit theoretisch auch Syncytin-1 angreifen könnten und so das Wachstum des Mutterkuchens stören. Diese Befürchtung konnte aber zwischenzeitlich durch wissenschaftliche Untersuchungen eindeutig ausgeräumt werden. Kurzum: Die Corona-Impfung macht nicht unfruchtbar, genauso wenig wie ein Schnupfen oder Durchfall unfruchtbar machen.
Hat eine Corona-Erkrankung langfristige Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen?
Es gibt deutlich weniger Studien über die langfristigen Folgen eines schweren Corona-Verlaufs auf die Fruchtbarkeit von Frauen als auf jene von Männern. Das hat mehrere Gründe. Zum einen kann ein Spermiogramm sehr einfach auch ausserhalb eines Kinderwunsches erstellt werden. Da wir aber bei Frauen während einer bestehenden Corona-Infektion keine Kinderwunschbehandlungen durchführen, gibt es keine entsprechenden Untersuchungen der Vaginal- oder Gebärmutterschleimhaut. Dazu kommt, dass weniger Frauen im relevanten Alter schwere Verläufe erleiden und auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Bei den Männern, die eine Intensivbetreuung wegen COVID-19 benötigt haben, konnten im Spermiogramm jedoch Beeinträchtigungen der Spermien in Beweglichkeit, Konzentration und Morphologie festgestellt werden. Das ist jedoch keine Besonderheit der SARS-CoV2-Infektion. Das passiert bei jedem Mann, der in einem lebensbedrohlichen Zustand ist. Hier spielen auch die Medikamente, die man auf der Intensivstation zur Lebenserhaltung einsetzen muss, eine wichtige Rolle. Ob es durch Corona-Infektionen langfristige Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit geben wird, sehen wir erst in ein paar Jahren, wenn sich die betroffenen Männer erholt haben und einen Kinderwunsch realisieren möchten.
Gibt es zu den kurzfristigen Auswirkungen der Erkrankung auf die Fruchtbarkeit bereits mehr wissenschaftliche Daten?
Bei den Frauen, die eine – zumeist milde – Corona-Infektion gehabt haben, sehen wir derzeit weder kurz- noch langfristige Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit. Bei den Männern mit leichten Verläufen ist es ebenso. Bei den schweren Infektionen sind leichte bis mittelgradige Veränderungen des Spermiogramms in Studien beschrieben, die sich aber zumeist im weiteren Verlauf normalisiert haben. Allerdings gibt es hier noch wenige Daten und noch keine jahrelangen Beobachtungen.
Was müssen Frauen mit Thromboseneigung oder bei Pilleneinnahme über die Corona-Impfung wissen?
Generell kommt eine vererbte Form der Thromboseneigung bei zwei bis fünf Prozent der Frauen vor. Am häufigsten ist die so genannte Faktor-V-Leiden-Mutation, die eine Veränderung des Blutgerinnungssystems hin zu einer Thromboseneigung darstellt. Die in Zusammenhang mit der Corona-Infektion bzw. der COVID-Impfung sehr selten auftretende Sinusvenenthrombose entsteht jedoch aufgrund einer Antikörperbildung gegen Blutplättchen im Zuge der Immunreaktion. Diese „falsche“ Reaktion des Immunsystems sehen wir auch bei anderen Infektionserkrankungen wie z.B. den Masern und zwar sowohl bei einer Infektion als auch nach einer Impfung gegen Masern. Die Gesellschaft für Thrombose und Hämostaseforschung schreibt in einer Mitteilung, dass eine vererbte Thromboseneigung „nach heutigem Kenntnisstand keine Rolle für die Entwicklung einer Thrombose nach Impfung spielt“ bzw. es „keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Einnahme der klassischen Pille das Risiko für eine Thromboseentwicklung aufgrund einer Immunreaktion nach Impfung mit der Astra Zeneca Vakzine erhöht. Zudem hat das Absetzen der Pille keine präventive Wirkung“.
Gibt es inzwischen neue Erkenntnisse zur Corona-Impfung was Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillzeit betrifft?
Wir empfehlen Frauen, sich vor der Verwirklichung des Kinderwunsches impfen zu lassen und dann noch vier Wochen zu warten. Die internationale Empfehlung ist, zwei bis vier Wochen Abstand zu lassen. Ist die Frau bereits schwanger, dann rate ich zu einer Impfung ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel. Besonders empfehle ich die Impfung Frauen mit einem hohen Risiko für einen schweren Infektionsverlauf in der Schwangerschaft – wie zum Beispiel bei Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck – sowie sehr infektions-exponierten Frauen, um die Mutter zu schützen und dem Kind in den ersten Wochen einen Nestschutz zu ermöglichen. Antikörper der geimpften Mutter gehen damit auf das Kind über und bieten ihm einen passiven Schutz. In der Stillzeit kann man sich jederzeit impfen lassen und auch hier kann man in Studien einen Antikörpernachweis beim gestillten Neugeborenen nach Impfung der Mutter feststellen.
Steckbrief:
Bettina Toth ist seit 2016 als Direktorin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck tätig. Zuvor war die gebürtige Baden-Württembergerin langjährige stellvertretende Klinikdirektorin für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen in Heidelberg. Im Fokus ihres Forschungsinteresses liegen Fehlgeburten, Implantation, Störungen des Gerinnungssystems sowie Reproduktionsimmunologie.