Die Überantwortung der Entscheidungsgewalt in einer Krise an den Bundesrat, ursprünglich als absoluter Ausnahmezustand durch ein Virus und die Unfähigkeit oder den Unwillen des Parlamentes erzwungen und ermöglicht, scheint sich schleichend als «courant normal» zu etablieren.
Von Helmuth Fuchs
In einem immer gleichen Wechselspiel beschliesst der Bundesrat weiterführende Massnahmen, erlässt Berufsverbote für einzelne Wirtschaftszweige um im gleichen Zug auch weitere Unterstützung in Aussicht zu stellen. Das anfängliche Hilfspaket im Umfang von 70 Milliarden Franken wird so schrittweise erhöht, zuletzt am 13. Januar um weitere 2.5 Milliarden für Härtefälle. Damit sich der Aufschrei in Grenzen hält, wurde auch gleich betont, dass man sich bewusst sei, dass das wahrscheinlich nicht reichen werde.
Themendominanz und mediales Trommelfeuer
Das tägliche mediale Trommelfeuer an Coronameldungen tut das seinige, dass auch letzte Reste an Normalität und andere wichtige Themen vom Aufmerksamkeitsradar verschwinden. Kantonale Regierungen haben es über den Sommer weitgehend verpasst, selbst eine Strategie zu entwerfen und sich auf deren Umsetzung vorzubereiten. So wurde der zu erwartende Anstieg mit der Grippe- und Erkältungssaison auch gleich zum Scheitern auf breiter Front, die Hilfeschreie an den Bundesrat schliesslich erhört und dessen Machtfülle wieder gestärkt.
Auf der Strecke bei der ganzen Geschichte bleibt der sonst immer so theatralisch beschworene «Souverän», das «Volch». Die Stimmbürger dienen im grössten Wirtschafts- und Gesundheitsprogramm der jüngeren Geschichte höchstens als Sündenbock, wegen derer Fehlverhalten die Ansteckungszahlen zu wenig schnell sinken, oder als Meinungsfutter für Umfrageinstitute.
Unklarheit bezüglich Ziel, Kenngrössen und Massnahmen
Nichts von Schwarmintelligenz und Volksmeinung, es genügt das Siebnergremium und eine aufgeblähte, machtlose und frustrierte Taskforce, dazu einige Lobbyisten, um gewachsene Entscheidungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturstrukturen nachhaltig zu verändern und teilweise willkürlich zu zerstören. Eine kohärente und kommunizierte Strategie? Auch nach fast einem Jahr noch nicht vorhanden oder zumindest nicht ersichtlich. Es ist nicht einmal klar, was eigentlich genau das Ziel all der Bemühungen sein soll. Der Schutz des Gesundheitswesens? Der Schutz derjenigen, die das höchste Risiko haben, am Virus schwer zu erkranken oder zu versterben? Möglichst tiefe Todeszahlen?
Hier gilt die alte Weisheit von Seneca: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.“
Während die einen lautstark in den Sozialen Medien eine Zero-Covid-Strategie fordern, betreiben andere Klientenpolitik und wollen eine Lockerung der Massnahmen. Virologen hatten offensichtlich das Ohr des Bundesrates bei der aktuellen Verschärfung der Massnahmen. Inmitten allgemein sinkender Zahlen (Ansteckung, Positivitätsrate, Reproduktions-Zahl, Todesfälle…) beschloss er in Hinblick auf die zunehmende Verbreitung der ansteckenderen Corona-Variante B117 präventiv weitere Massnahmen.
Das Vertrauen in den Bundesrat sank gemäss einer Umfrage von Sotomo im Auftrag von SRF vom Höchstwert im April 2020 von 67% auf mittlerweile 32% (Januar 2021).
Testen, Tracing, Quarantäne sind weiterhin Nebenschauplätze
Wie zuvor schon sind diese aber teilweise eher willkürlich und nicht wissenschaftlichen Erkenntnissen geschuldet. Wer wirklich möglichst viele Kontakte verhindern will, schliesst nicht Restaurants und kleine Läden, sondern reduziert den Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln, erstellt unterschiedliche Risikogruppen, die sich zu unterschiedlichen Zeiten bewegen können, reduziert den ungehinderten Bewegungsstrom über die Landesgrenzen hinweg etc.
Auch diesmal gibt es keine Vorschriften zu Tests und Quarantänen für Personen, welche in die Schweiz einreisen (ausser denjenigen auf der Quarantäneliste), keine Tests für Grenzgänger, keine kontinuierlichen Tests für das Pflegepersonal in Alters- und Pflegeheimen. Schulen unterhalb der Sekundarstufe sind weiterhin eine Tabu-Zone.
Es gibt gute Argumente für und gegen die einzelnen Massnahmen. Entscheidend ist deshalb, welche Strategie man verfolgt, an welchen Resultaten man sich messen lässt und welche Kenngrössen für die Messung verwendet werden. Inzwischen hat man zwar mehr und bessere Daten, die nützen aber nur etwas, wenn die Strategie und die erwünschten Resultate bekannt sind.
Fünf Jahre seit 2000 mit mehr oder ähnlich vielen Toten wie 2020
Beim offensichtlichen Fehlen der Strategie fokussieren sich auch die Medien deshalb mehrheitlich weiterhin auf das Vermelden der Zahlen (positive Tests, Todesfälle, Belegung der Spitalbetten und Intensivpflegebetten…). Und auch dort oft im Drama- statt Faktenmodus.
Es gab 2020 eine überdurchschnittliche Anzahl Toter bei den über 65-Jährigen (und vor allem bei den über 80-Jährigen) im Vergleich mit den letzten 5 Jahren, bei allen anderen Altersgruppen gab es eine unterdurchschnittliche Todesfallrate. Gesamthaft (Anzahl Tote pro 100’000 Einwohnern) schloss das Jahr leicht schlechter als das starke Grippejahr 2015, aber besser als die Jahre 2000, 2003 und sehr ähnlich wie die Jahre 2001 und 2002, wie der K-Tipp im Januar analysierte.
Das heisst, alleine in den letzten 20 Jahren gab es zwei Jahre mit mehr Todesfällen pro 100’000 Einwohner und zwei Jahre, die fast gleich viele Todesfälle zu verzeichnen hatten.
Vergleich 65-79-Jährige und 80+ zum Jahr 2015
Da Corona vor allem für die über 65-Jährigen ein ernstzunehmendes Todesfall-Risiko birgt, lohnt sich auch hier ein Vergleich mit dem letzten starken Grippejahr 2015.
Im Segment der 65-79-Jährigen gab es im 2015 bei 1’078’185 Personen 17’250 Todesfälle zu beklagen, was 1.599 Prozent entspricht. Im 2020 dürfte dieses Segment bei gleichbleibendem Wachstum wie in den letzten fünf Jahren 1’171’396 Personen umfassen. Es verstarben im 2020 in diesem Alterssegment 18’584 Personen, was 1.586 Prozent entspricht. Das heisst, in diesem Alterssegment verstarben 2020 prozentual im Vergleich zu 2015 leicht weniger Personen.
Im Segment der 80+-Jährigen gab es im 2015 bei 416’867 Personen 42’316 Todesfälle zu beklagen, was 10.150 Prozent entspricht. Im 2020 dürfte dieses Segment bei gleichbleibendem Wachstum wie in den letzten fünf Jahren 463’368 Personen umfassen. Es verstarben im 2020 in diesem Alterssegment 48’723 Personen, was 10.514 Prozent entspricht. Das heisst, in diesem Alterssegment verstarben 2020 prozentual im Vergleich zu 2015 etwas mehr Personen. (Daten von BAG und BfS)
Es zeigt sich also auch hier, dass es eine klare Gruppe gibt, welche ein überdurchschnittliches Risiko hat, an oder mit Corona zu versterben, nämlich die über 80-Jährigen.
…und was Medien daraus machen
Trotz den öffentlich verfügbaren Zahlen schüren Journalisten wie Marc Brupbacher vom Tagesanzeiger, der mit seinem Team bei der Aufbereitung der Daten hervorragende Arbeit leistet, Angst, Drama und Dauererregung mit teilweise absurden Behauptungen und Prognosen:
Auch hier die Fakten: Seine eigene Seite weist am 15. Januar 7’920 an und mit Corona Verstorbene aus, im 2020 dürften es etwas über 7’000 Todesfälle gewesen sein. Die häufigste Todesursache in der Schweiz sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen (von 67’088 Todesfälle gemäss BfS entfallen darauf 20’596 Todesfälle). Da Corona sich auch auf Herz-Kreislauf auswirken kann, kann man als Vergleich die klarer abgegrenzten Krebserkrankungen nehmen. Darauf entfielen 2018 17’360 Todesfälle. Dieselbe Grössenordnung wird auch 2020 stimmen. Dass ein ernst zu nehmender Journalist hier behaupten kann, 2020 werde Corona die Todesursache Nummer eins sein, wenn nicht halb so viele Menschen mit und an Corona versterben wie an Krebserkrankungen, zeigt vor allem, in welch erschütterndem Zustand sich die grossen Medien in der Schweiz mittlerweile befinden.
Notwendige Schritte: Strategie, Absegnen durch das Volk, Fokus auch auf andere Themen
Es wäre also auch in Hinblick auf die dauernden Drohungen des Bundesrates (Corona ist noch lange nicht vorbei, die nächste Mutation ist viel gefährlicher…), die noch nicht geklärte Wirkung der Impfungen (wie lange dauert der Schutz, kann das Virus auch nach der Impfung weiter gegeben werden, wie verträglich sind die Impfungen für die ältesten Menschen?) angebracht, dass der Bundesrat der Bevölkerung endlich eine klare Strategie mit Zielen und Massnahmen vorlegen und diese vom Volk auch absegnen lassen würde. Das würde die Akzeptanz und auch die Fokussierung auf notwendige und wirksame Massnahmen erhöhen.
Weniger hilfreich sind zum Beispiel Kampagnen zur Impfung, wenn zugleich zu wenig Impfdosen für alle Impfwilligen vorhanden sind, oder das heimliche Impfen der Bundesräte, die zu keiner der prioritären Risikogruppen gehören.
In der Zwischenzeit müssen endlich die bedrohtesten Risikogruppen gezielter geschützt werden (kontinuierliches Testen des Pflegepersonals, Beobachtung der Verläufe in Schulen) und Infrastrukturprojekte wie die digitale Identität und Signatur der Bürger und die Digitalisierung der Behörden mit Hochdruck vorangetrieben werden. Sonst droht aus der Gesundheitskrise, welche schon die Wirtschaft arg in Mitleidenschaft gezogen hat (alleine im Dezember 2020 waren 46’268 Menschen mehr arbeitslos im im selben Monat des Vorjahres), unnötigerweise auch zusätzlich eine Polit- und Demokratiekrise.
Noch zwei offene Fragen:
- Woran leiden eigentlich die ca. 85% der Menschen, die sich testen lassen, weil sie offenbar Symptome haben, oftmals von einem Arzt zum Testen überwiesen werden, da er Corona anhand der Symptome nicht ausschliessen konnte und die dann einen negativen Test haben? Sie haben offensichtlich etwas wie Corona, aber es ist nicht Corona, gemäss dem Test.
- Was sorgt parallel zum Coronageschehen zusätzlich für eine signifikante Übersterblichkeit? Wenn die offiziellen Corona-Todesfälle von den Gesamttodesfällen abgezogen sind, bleibt eine erhebliche Übersterblichkeit. Alles unentdeckte Coronafälle? Dem würde widersprechen, dass bei gross angelegten Massentests nur sehr wenige zusätzliche positive Testfälle gefunden wurden.
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