Zürich – Schmerzlindernde Handlungen von anderen Menschen lösen im Gehirn Betroffener einen Lerneffekt aus, der die Schmerzen reduziert. Die Schmerzlinderung ist stärker, wenn die Hilfe von einer Person kommt, die einer fremden Gruppe angehört. Dies zeigt eine neue Studie unter der Leitung der Universität Zürich.
Schmerz und Psyche hängen eng zusammen, und soziale Faktoren spielen eine wesentliche Rolle dabei, wie Menschen Schmerzen empfinden. Wie einer der wichtigsten sozialen Faktoren – die Gruppenzugehörigkeit – das Schmerzempfinden verändert, hat jetzt ein Team von Forschenden der Universitäten Zürich, Würzburg und Amsterdam untersucht. Das überraschende Ergebnis: Wenn die Studienteilnehmer von einer Person Hilfe bekamen, die ihnen fremd war, empfanden sie den Schmerz deutlich geringer, verglichen mit den Teilnehmern, die Schmerzlinderung von Menschen aus der gleichen sozialen Gruppe erhielten.
Subjektive und gemessene Schmerzempfindung
«Wir haben in unserer Studie einerseits subjektive Schmerzurteile und andererseits die Gehirnaktivierungen in bestimmten Arealen bei Teilnehmern vor und nach einer Schmerzbehandlung gemessen», schildert Grit Hein, Erstautorin der Publikation, die Vorgehensweise der Wissenschaftler. Dafür erhielten die Probanden Stromschläge am Handrücken, die sie als schmerzhaft beurteilten, und mussten deren Intensität bewerten. Währenddessen lagen sie in einem funktionellen Magnetresonanz-Tomographen, mit dem ihre Gehirnaktivität gemessen wurde.
Um den Effekt der Gruppenzugehörigkeit auf das Schmerzempfinden zu untersuchen, teilten die Wissenschaftler die Studienteilnehmer – 40 Schweizer Männer – in zwei Gruppen auf: Eine Gruppe erhielt Schmerzlinderung von Personen, die derselben Nationalität wie die Probanden und damit deren Gruppe angehören. Die andere Gruppe wurde von Personen einer anderen Nationalität behandelt, die sie als «fremd» eingeschätzten: Menschen aus einem der Balkanländer.
Geringere Schmerzempfindung durch «Fremdbehandlung»
Das Ergebnis: «Vor der Behandlung waren die Schmerzantworten der Teilnehmer beider Gruppen ähnlich stark», sagt Studienverantwortlicher Philippe Tobler vom Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich. Nach der Behandlung durch den aus ihrer Sicht «Fremden» berichteten die Teilnehmer dieser Gruppe hingegen über weniger Schmerzen verglichen mit der anderen Gruppe. Dieser Effekt beschränkte sich nicht nur auf das subjektive Empfinden. «Auch die schmerzbezogene Hirnaktivierung war verringert», ergänzt der Wissenschaftler.
Der für Laien überraschende Befund stimmt mit einer zentralen Aussage aus der Lerntheorie überein. Diese besagt, dass Menschen dann besonders gut lernen, wenn die Ergebnisse ganz anders ausfallen, als sie das erwartet haben. «Vorhersagefehler-Lernen» nennt sich dieser Effekt in der Psychologie. Die Überraschung trägt dann dazu bei, dass sich die neue Erfahrung, das neue Wissen besser im Gehirn «verankert».
Überraschung sorgt für Schmerzlinderung
Auf das Schmerzexperiment bezogen, bedeutet dies: «Die Studienteilnehmer, die schmerzlindernde Massnahmen von einem Fremden erhielten, hatten nicht damit gerechnet, dass sie von diesem tatsächlich effektive Hilfe bekommen würden», erklärt Neurowissenschaftler Philippe Tobler. Und je weniger die Teilnehmer positive Erfahrungen erwartet hatten, desto grösser war ihre Überraschung, als der Schmerz tatsächlich nachliess – und umso stärker war die Reduktion ihrer Schmerzreaktionen.
Trotz der nicht besonders grossen Zahl von Studienteilnehmern, sind die Forschenden von ihren Ergebnissen überzeugt. «Die Befunde decken sich auf mehreren Ebenen – von der Bewertung der Patienten über die neuronale Antwort im Gehirn bis zur Stärke der Schmerzlinderung», sagt Grit Hein. Allerdings handele es sich um eine erste Studie auf diesem Gebiet, die nun ausserhalb des Labors getestet werden müsse. Die Ergebnisse dürften für die Klinik relevant sein, in der eine Behandlung durch Pflegekräfte und Ärzte aus anderen Kulturen heute üblich ist. (Universität Zürich/mc/pg)