Die Schweizer Alpen wachsen weiter in die Höhe
Bern – Ein internationales Team unter der Leitung der Universität Bern erbringt erstmals den Nachweis, dass die Schweizer Alpen schneller angehoben als abgetragen werden – und somit noch weiter in die Höhe wachsen. Dafür haben die Forschenden die Abtragung der Alpen mit Hilfe von Isotopen, die durch kosmische Strahlung gebildet werden, im Sand von mehr als 350 Flüssen im ganzen Alpenraum gemessen.
Wie schnell werden die Alpen abgetragen? Werden sie schneller abgetragen als gehoben, und hängt die Abtragung vom Niederschlag ab? Diese Fragen konnten nun von einem internationalen Team unter der Leitung des Instituts für Geologie der Universität Bern beantwortet werden. Die Forschenden konnten nachweisen, dass die Abtragung insbesondere in den Schweizer Alpen langsamer erfolgt als die Hebung. Sie konnten ebenfalls zeigen, dass die Abtragung hauptsächlich vom Relief und der Geländeneigung abhängt, während Niederschlag und Wasserabfluss keinen deutlich erkennbaren Einfluss haben. Die Studie wurde in der Zeitschrift Earth Science Reviews publiziert.
Messung der Alpen-Abtragung dank kosmischer Strahlung
Wenn kosmische Strahlung auf die Erdoberfläche trifft, führt dies zur Kernspaltung von Sauerstoffatomen, die in Quarzkörnern eingelagert sind. Dabei entsteht ein neues Isotop, nämlich Beryllium-10 (10Be). Weil 10Be weitgehend nur auf der Erdoberfläche gebildet wird, lässt sich mit diesem Isotop auch das Oberflächenalter bestimmen. Ist die 10Be-Konzentration in den Quarzkörnern hoch, dann war die Oberfläche relativ lange der kosmischen Strahlung ausgesetzt, und ist damit auch relativ alt. Ist dagegen die 10Be-Konzentration im Quarz gering, war die Expositionszeit kurz und die Oberfläche ist entsprechend jung.
«Mit diesem Prinzip lässt sich auch die Abtragungsgeschwindigkeit der Alpen messen, und zwar gemittelt über ein paar Tausend Jahre», erklärt Professor Fritz Schlunegger, der die Studie zusammen mit seinem Kollegen vom Institut für Geologie der Universität Bern, Dr. Romain Delunel, initiiert hat. Bergbäche und Flüsse sammeln auf der Oberfläche abgetragenes Material und transportieren es als Sand und Geröll ins Flachland. Das europäische Team rund um die Berner Forschenden hat für die Untersuchungen Sandproben aus mehr als 350 Flüssen aus dem ganzen Alpenraum verteilt auf ihren Quarzgehalt und insbesondere auf die 10Be-Konzentration in den Quarzkörnern hin untersucht. «Mit dieser Strategie können wir zum ersten Mal ein Bild über die Erosion der gesamten Alpen entwerfen und herausfinden, wovon die Erosion abhängt», sagt Romain Delunel.
Zentralalpen heben sich weiter
Die Abtragungsraten zeigen eine grosse Streuung im Alpenraum und pendeln um die 400 mm in tausend Jahren. Die schnellste Erosion wird im Wallis, und insbesondere im Illgraben (Kessel des Illbachs nahe Leuk) gemessen, wo die Erosion ca. 7500 mm pro Jahrtausend beträgt. Das Gebiet mit der langsamsten Abtragung liegt ebenfalls in der Schweiz: Die Landschaft in der Ostschweiz rund um die Thur wurde lediglich um 14 mm pro tausend Jahre abgetragen. «Dieser Abtragungswert ist sehr gering, fast schon langweilig», meint Schlunegger. Interessanterweise erfolgt die durchschnittliche Hebung in den Zentralalpen, verursacht durch Kräfte im Erdinnern, aber schneller als die Abtragung. «Das ist eine grosse Überraschung, denn bis jetzt sind wir davon ausgegangen, dass Abtragung und Hebung ungefähr gleich schnell ablaufen», so Fritz Schlunegger. In den Zentralalpen beträgt der Unterschied zwischen Hebung und Abtragung gar rund 800 mm in Tausend Jahren. «Damit wachsen die Zentralpen, und zwar überraschend schnell», stellt Schlunegger fest. In den Westalpen sind Abtragung und Hebung im Gleichgewicht; in den Ostalpen erfolgt die Abtragung sogar schneller als die Hebung.
Abtragung hängt von der Geländeform ab
Die Forscherinnen und Forscher konnten dank ihren Untersuchungen auch zeigen, dass Niederschlag und Wasserabfluss keinen messbaren Einfluss auf die Abtragung haben, die Neigung und das Relief des Geländes hingegen schon. «Dies gilt allerdings nicht für sehr steile Landschaften», hälft Romain Delunel fest. Dort kommt der Fels grossflächig zum Vorschein, und die Abtragung ist langsamer als erwartet. «Das war eine weitere Überraschung, denn wir dachten, dass ein sehr steiles Gelände sehr schnell abgetragen wird. Weshalb das nicht der Fall ist, wissen wir noch nicht. Daher sehen wir Bedarf nach weiterer Forschung», so Delunel.
Die Studie zeigt schliesslich, dass die heutigen Abtragungsgeschwindigkeiten- und mechanismen auf das Wirken der grossen Eismassen während der Vergletscherungsphasen zurückgeführt werden können, weil die heutige Geländeform während der letzten grossen Vergletscherungen gebildet wurde. «Es ist unglaublich, welch grossen Einfluss die Eismassen und die immer noch andauernde Alpenkollision auf die Form der Alpen haben», so die Studienautoren.
Diese Forschungsresultate sind das Ergebnis einer mehr als 10 Jahre langen, internationalen Zusammenarbeit unter der Leitung von Dr. Romain Delunel und Prof. Fritz Schlunegger vom Institut für Geologie der Universität Bern. Die Forschungsprojekte wurden vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sowie internationalen Partnern unterstützt. (Universität Bern/mc/pg)