Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen
Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Die kantonalen Rechnungsabschlüsse 2014 liegen seit geraumer Zeit vor. Sie teilen die Schweizer Kantonslandschaft in zwei Hälften. Exakt 13 Kantone erzielten schwarze, 13 Kantone rote Zahlen. Damit sind die Abschlüsse nicht ganz so schlecht ausgefallen wie budgetiert, denn es rechneten 16 Kantone für 2014 mit einem Defizit. Das liegt aber nicht etwa an sprudelnden Einnahmequellen oder vorbildlicher Sparsamkeit, sondern daran, dass Steuereinnahmen sehr schwer im Voraus einzuschätzen sind.
Offensichtlich hat der eine oder andere Kanton sie für 2014 etwas zu hoch angesetzt. Die Einnahmen sind daher auch jeweils für die grössten Abweichungen zwischen Rechnung und Budget verantwortlich. Stadt und Kanton Zürich können davon ein Liedchen singen. Fallen die beiden Grossbanken als Steuerzahler aus, wie dies nach der Finanzkrise der Fall war, gibt es finanzielle Engpässe in der Limmatstadt, welche auch am Kanton nicht spurlos vorübergehen.
Was in der Gesamtsicht auf den ersten Blick eigentlich ganz gut aussieht, relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass die Rechnungen der Kantone 2014 dank einem einmalig hohen Geldsegen ziemlich geschönt wurden. Viele Kantone sind nämlich davon ausgegangen, dass die Schweizerische Nationalbank nicht einmal die ordentliche Gewinnausschüttung in Höhe von 1 Milliarde Schweizer Franken würde vornehmen können. Nun aber flossen den Kantonen gleich doppelt so viele Mittel zu. Nachdem die SNB 2014 einen Rekordgewinn von 40 Milliarden Franken ausgewiesen hatte, konnte sie den Ausschüttungsbetrag Anfang 2015 auf stolze zwei Milliarden Franken erhöhen.
Teilen fällt selbst in guten Zeiten schwer
Angesichts des unerwarteten Geldsegens sollte man meinen, die Kantone würden nicht zu Rappenspaltern und das Parlament etwas grosszügiger. Doch wer die Debatte im nationalen Parlament vorletzte Woche verfolgt hat, muss zu anderen Schlüssen kommen. Beim Seilziehen um die Beiträge der Geberkantone an den kantonalen Finanzausgleich kam es im Rat nicht nur zu keiner Einigung sondern auch zu äusserst hitzigen Diskussionen. Hauptstreitpunkt war die beabsichtigte Senkung der Beiträge der Geberkantone um 67 und derjenigen des Bundes um 98 Millionen Franken, welche die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) vorgeschlagen hatte. Der Bundesrat wollte die Beträge sogar jeweils doppelt so stark kürzen. Aber selbst der moderate Kürzungsvorschlag der KdK hatte im Parlament keine Chance. Damit exerziert die Schweiz im Kleinen vor, was im Grossen gilt: Teilen fällt schwer.
Auch der Ton hat sich verschärft. Gerade zwischen Geber und Nehmerkantonen herrscht eine grosse Missstimmung, die bisher zwar nur unterschwellig spürbar wird, aber jederzeit aufbrechen kann. Vor allem dann, wenn für alle gilt, den Gürtel enger zu schnallen. Das heutige Modell ist an sich ausgereift, weil es die unterschiedliche Ausgangslage der Kantone berücksichtigt, in dem es auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abstellt. Aber wenn auch die leistungsfähigeren Kantone weniger prosperieren, lässt sich auch weniger verteilen. Dann geht es nicht mehr allein um Leistungswilligkeit sondern auch um Leistungsfähigkeit.
Opfer des eigenen Erfolges
Im Kanton Zug beispielsweise liegt der Anteil der Zahlungen in den kantonalen Umverteilungstopf bei 20% der Gesamteinnahmen. Der Kanton Schwyz, der mit einem Referendum gegen die Neuausrichtung des bundesweiten Finanzausgleichs liebäugelt, führt seine schiefe Finanzlage ebenso auf die Zusatzbelastungen der kantonalen Transfers zurück. Die Kantone, welche den Steuerwettbewerb in der Schweiz erst richtig ins Rollen brachten, werden so indirekt Opfer ihres eigenen Erfolges oder doch eher ihrer Neider? Keine Frage, dass viele Kantone Anfang der Neunzigerjahre neidisch Richtung Zug blickten, wo die Steuereinnahmen nur so sprudelten, obschon die Sätze noch so tief waren.
Die einen «kopierten» das Steuermodell Zugs – tiefe Steuerlast – oder modifizierten es mit spezifischen Schwerpunkten auf der Besteuerung natürlicher oder juristischer Personen. Andere aber taten wenig bis gar nichts für ihre steuerliche Standortattraktivität und setzten auf die bessere Vermarktung ihres Images. Die Neunziger waren nicht nur die Geburtsjahre des Steuerstreits, sondern auch der kantonalen Wirtschaftsförderer, die dann bald einmal zu Standortförderern auswucherten und seitdem kleinräumig die Attraktivität von Regionen oder sogar Gemeinden vermarkten. Doch im Standortwettbewerb zählen noch immer harte Fakten. Steuerbelastung, Verkehrsanbindung, Verfügbarkeit von Humankapital, Infrastruktur sind es, die den Standortentscheid ausmachen und zwar in dieser Reihenfolge. Die Schweiz täte gut daran, diesen Wettbewerb nicht abzuwürgen. Denn hätte der sich seinerzeit nicht entfalten können, hätten wir heute vielleicht gar keine Geberkantone, sprich, nichts zu verteilen.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen