Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Afterhour am Immobilienmarkt

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Es war eine rauschende Party. Die längste Party, welche die Schweizer Immobilienbranche jemals feierte. Über zwanzig Jahre lang flossen die Drinks sozusagen in Strömen und für Nachschub war stets gesorgt, zuletzt vor allem dank SNB. Die servierte immer wieder neue Cocktails, Liquidität im Überfluss. Doch so abgedroschen es klingen mag, jede Party geht einmal zu Ende. Nur haben einige auch dann noch nicht genug und zechen an diversen Afterhour-Veranstaltungen fernab der urbanen Zentren weiter. Von diesen Partygästen wird der eine oder andere bald mit einem ziemlichen Kater aufwachen. So könnte man die just vom Bundesamt für Statistik publizierten Leerwohnungsziffern ganz gut bildhaft interpretieren.

Zunächst einige Fakten. 64’893 Wohnungen oder Einfamilienhäuser standen per Erhebungsstichtag 1. Juni 2017 schweizweit leer, was die Fantasie der Medien ziemlich beflügelte. Von Geisterstädten konnte man lesen oder hören und es hiess, nie zuvor seien in der Schweiz mehr Wohnungen leer gestanden. Das klingt natürlich äusserst dramatisch und ist daher schlagzeilenträchtig, weil dann jeder gleich an den Immobiliencrash der Neunzigerjahre denkt. Wenn damals nicht mal so viele Wohnungen leer standen, dann muss es ja jetzt fast zwangsläufig zum Absturz kommen, so die einfache Schlussfolgerung, nicht? Doch die absolute Zahl von fast 65’000 sagt nur wenig aus. Schliesslich stieg der Wohnungsbestand seit dem Crash um gut 45’000 Wohnungen jährlich an.

Quote nicht Anzahl
Aussagekraft hat nur die sogenannte Leerwohnungs- oder Leerstandquote bzw. Leerwohnungsziffer, die den Leerstand in Prozent des Wohnungsbestandes ausdrücken. Die liegt heute bei 1,47% und damit zwar über dem historischen Mittel von 1%, aber noch (!) deutlich unter den bisher verzeichneten Spitzenwerten von 1,6% bis gar 1,9% in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre. Da war der Immobiliencrash, der 1990 bei einer Leerwohnungsquote von 0,4% aber massenweise Bürobrachen ausbrach, schon fast überwunden.

Die Leerstände im Wohnungsmarkt stiegen erst Mitte der Neunzigerjahre vor allem deshalb, weil der Bund mit grosszügigen Eventualverpflichtungen die Wohnbauproduktion massiv ankurbelte, was zu einem Überschiessen des Wohnungsangebots führte. Danach sank die Leerstandquote aber auch wieder auf unter 1%. Es kam zu einem Soft Landing. Lehre Nummer eins lautet daher: die aktuelle Leerstandquote als Vorbote eines Crashs auszulegen, ist empirisch nicht untermauert. Und was nicht oft genug gesagt werden kann: Der Immobiliencrash, der 1990 begann, war Folge von spekulativen Exzessen, die sich vornehmlich im kommerziellen Liegenschaftsmarkt und bei Bauland abspielten und kein eigentlicher Crash am Wohnungsmarkt.

Ampel springt auf Gelb
Das soll nun aber nicht heissen, dass eine Leerstandquote von fast 1,5% unbedenklich ist. Sie ist eine Warnung für alle Player im Markt. Nicht mehr überall gilt heute grünes Licht. Hinter diesem nationalen Mittelwert sind nämlich durchaus besorgniserregende Ausreisser verborgen. Im Kanton Thurgau beträgt die Quote 2%. Auf über 2% – in aufsteigender Reihenfolge – kommen die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Schaffhausen, Wallis, Jura, Aargau, Appenzell Innerrhoden sowie Solothurn, mit einem Spitzenwert von 2,89%. Und begibt man sich auf die Stufe der etwas mehr als 2200 Gemeinden, findet man deren fünfzehn, in denen mehr als 10% Wohnungen leer stehen. Nicht nur Kleinstgemeinden im Übrigen. In 150 Gemeinden liegt die Leerstandziffer über 5%. Dort haben offenbar einige Marktakteure ein Rotlicht übersehen und das Absorptionspotenzial massiv überschätzt. Das tut nun ziemlich weh, denn die ursprünglich anvisierten Renditeziele rücken so in weite Ferne. Lehre Nummer zwei lautet daher: springt die Ampel auf Gelb, muss man bremsbereit sein.

Schlüsselfaktor Bauland
Der einzigartige Lauf, den der Immobilienmarkt nun seit zwanzig Jahren hinlegt, hat wohl doch so einige sorglos, ja fast blind gemacht und tatsächlich den einen oder anderen Exzess nach sich gezogen. Ins bodenlose fallende Zinsen, scheinbar ungebrochene Migration und stetig steigende Preise vor allem bei Wohneigentum schienen nie versiegende Quellen einer unendlichen Party zu werden, die landesweit gefeiert wurde. Der Anlagenotstand steuerte den Rest bei. Promotoren und Entwicklern wurden die Projekte förmlich aus den Händen gerissen. Der Renditespread zu festverzinslichen Wertpapieren war Haupttreiber dieser Nachfrage und zuletzt natürlich auch die Negativzinsen.

Mit den nun gestiegenen Leerständen wird sich der erwähnte Spread aber nun verengen und vor allem werden die Risiken offenbar und so – hoffentlich – wieder stärker in den Fokus rücken. Da Bauland an den besten Lagen immer knapper und folglich teurer wird, weichen immer mehr Käufer, Mieter und mit Ihnen auch Investoren auf die Gemeinden aus, die noch über einigermassen erschwingliche Baulandreserven verfügten. Inzwischen sind aber auch dort die Landpreise in Höhen gestiegen, dass der Wohnraum nicht mehr so viel günstiger ist als in den Zentren, weshalb Pendler es sich zweimal überlegen, ob sie dafür einen zum Teil deutlich längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen wollen. Das führt zu Lehre Nummer drei: Bauland zu ergattern, ist im reifen Zyklus nicht überall der Garant für Erfolg. Dass die Sicherung von Bauland für die Geschäftstätigkeit von Promotoren oder Entwicklern ein elementarer Bestandteil ist, darf nicht dazu verleiten, dafür jeden Preis zu bezahlen. Jetzt ist qualitatives Wachstum angesagt.

Wie geht es weiter?
Der Mietwohnungsmarkt kippt eindeutig Richtung Käufermarkt, vor allem der Markt für Neuwohnungen. Die Vermarktungsfristen werden steigen, Zugeständnisse an Mieter werden – wie im kommerziellen Liegenschaftsmarkt bereits üblich – zur Tagesordnung, seien es Gratismonate, erhöhte Ausbauwünsche ohne Preisüberwälzung oder Anpassungen der Mietzinsen nach unten. Wo die Leerstände am höchsten sind, ist dies heute schon der Fall. Da die Pipeline neuer Projekte noch immer prall gefüllt ist, dürfte dies erst der Anfang einer Korrektur sein, die auch vor vermeintlich besseren Lagen nicht Halt machen wird. Die Leerwohnungsquote wird in jedem Fall noch zunehmen. Es würde mich nicht überraschen, wenn wir kommenden Sommer 1,7 oder 1,8% erreichen. Zudem werden die Korrekturen bei Neumieten langsam auch den Altbestand tangieren, wenn neue Objekte gegenüber den älteren auch preislich wieder kompetitiv werden.

Sehr wahrscheinlich ist daher, dass sich die jüngste Referenzzinssatzsenkung im Herbst auch in insgesamt leicht sinkenden Bestandmieten niederschlägt. Lediglich in den urbanen Zentren und den Toplagen dürften die Mieten stabil bleiben, vorausgesetzt, dass die Angebotsausdehnung dort in ruhigen Bahnen weiterläuft, was realistisch scheint, da dort ohnehin fast kein Bauland mehr verfügbar ist. Oder ist so teuer, dass man zwingend ins Hochpreissegment investieren muss, das gesättigt scheint. Das wäre insgesamt ein Szenario eines nationalen Softlandings. Allerdings nur, wenn sich alle Regel vier hinter die Ohren schreiben: Wachstum um jeden Preis verursacht Kater.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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