Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Alle Jahre wieder

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Alle Jahre wieder
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Jackson Hole, eine Kleinstadt im US-Bundesstaat Wyoming. Dort treffen sich Jahr für Jahr die wichtigsten Zentralbankchefs der Welt und die Finanzmärkte schauen jeweils gespannt darauf hoch, welche Bescherung dort vorbereitet wird. Jackson Hole liegt nämlich immerhin fast 2000 Meter über dem Meeresspiegel.

Einmal im Jahr schmecken die Geldhüter dort sozusagen gemeinsam Höhenluft. Sie sind damit auf der Höhe vieler Aktienmärkte, die dank ultralockerer Geldpolitik gut acht Jahre nur noch eine Richtung kannten – steil aufwärts.

Während der eine oder andere Markt nach der Chinakrise 2015 etwas ins Trudeln kam – wie etwa der Schweizer Leitindex SMI, der ab dem Sommer 2015 etwas Federn liess – setzten die US-Märkte ihren Höhenflug fort. Sie gewannen nach der Wahl Trumps zum Präsidenten sogar nochmal Momentum. Auch der MSCI, der Welt-Aktien-Index, strebt von einem Höchstwert zum anderen. US-amerikanische Aktien sind gemessen am sogenannten Kurs-Gewinn-Verhältnis historisch betrachtet ziemlich teuer, weshalb es gehörig Fantasie braucht, jemanden zu überzeugen, da jetzt noch einzusteigen. Doch gibt es noch immer unzählige Player im Markt, die zwar auch Bedenken hegen, was die sportliche Bewertung anbelangt, aber mangels Alternativen noch immer Aktienengagements nahelegen.

Allerdings läuft sich auch dieses Argument langsam müde und meines Erachtens wird es dann, wenn von neuen Bewertungsgrundsätzen die Rede ist, eher gefährlich. Es gibt mittlerweile etliche Investoren, die nicht nur Immobilien, sondern selbst Aktien als Bondersatz interpretieren und ein entsprechendes Engagement eingehen. Das mag aus Sicht der Alternativlosigkeit zwar gelten, aber ist das damit eingegangene Risiko tatsächlich abgegolten? Aktienkurse sind bekanntlich historisch volatiler als die von Staatsanleihen. Diese Wette kann nur aufgehen, wenn die Geldpolitik die Märkte jeweils weiter stützt, wie seit der Finanzkrise, seit der Liquidität im Überfluss vorhanden ist.

Nur ganz leise Töne zur aktuellen Geldpolitik
Janet Yellen äusserte sich in Jackson Hole nicht zur aktuellen Geldpolitik. Die erhofften Signale über Zinsschritte oder gar die Verkürzung der Bilanz blieben aus. Und Mario Draghi liess erst in der Fragerunde ein Quäntchen tiefer blicken, nämlich, dass wir bislang keine «selbsttragende Annäherung der Inflation an das mittelfristige Ziel gesehen» hätten. «Ein erhebliches Ausmass» Hilfe sei «weiterhin gerechtfertigt». Wer weiss, vielleicht hat Frau Yellen Herrn Draghi ja schon gesteckt, dass sie im September keinen Zinsschritt vornehmen wird. Der Dollar hat prompt auch ziemlich Terrain gegen den Euro verloren. In Bezug auf die sehnlichst herbeigewünschte Inflation herrscht aber offensichtlich Ratlosigkeit. Ratlosigkeit, die so weit geht, dass EZB und Deutsche Bundesbank (!) die Gewerkschaften ermutigen, höhere Tarifabschlüsse einzufordern. Das ist historisch bemerkenswert, von wegen leise Töne.

Lohnpolitik?
Bis in die Neunzigerjahre hinein war es nicht nur hierzulande Usus, den Arbeitnehmern die Teuerung durch eine entsprechende Nominallohnerhöhung auszugleichen. Das hat wiederholt Lohn-Preisspiralen entfacht. Löhne trieben die Preise und umgekehrt. Erst einmal in Gang gekommen, war diese Maschinerie nur schwer zu stoppen und überschoss regelmässig die anvisierten Preisniveauziele der Notenbanken. Mit der Globalisierung, dem technologischen Fortschritt und dem damit einhergehenden Produktivitätszuwachs der Weltwirtschaft haben sich die Inflationsraten auf tieferen Niveaus eingependelt. Zu tief, insbesondere in den reifen Volkswirtschaften, finden die dort verantwortlichen Währungshüter, so dass sie vor gar nichts mehr zurückschrecken und nun sozusagen die Gewerkschaften für geldpolitische Zwecke einzuspannen versuchen.

Das ist aus verteilungspolitischer Sicht zwar gerechtfertigt, aber Verteilungspolitik ist nicht das eigentliche Betätigungsfeld von Notenbanken. Das kann nur so interpretiert werden: Keine der grossen Zentralbanken hat es trotz historisch einzigartigem Mitteleinsatz geschafft, die Inflation wieder zu beleben. Wäre es spätestens jetzt nicht Zeit, die eigene Politik zu hinterfragen? Denn was ich wirklich nicht verstehe ist, wieso 1,7% Inflation in den USA und nahezu Vollbeschäftigung ein so unbequemer Zahlenkranz sein soll? Was wäre besser? Konjunkturelle Überhitzung und 3% Inflation oder mehr? Ich kann das nicht beantworten und auch sonst kein Ökonom, nur so viel: Mehr Inflation wünsche ich mir nicht so sehnlich herbei wie viele. Und die Finanzmärkte schon gar nicht, denn die fürchten dann sofort die Zinsgrätsche.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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