Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz
St. Gallen – Ostern ist vorbei. Der befürchtete Engpass von Eiern ist in der Schweiz ausgeblieben. Alles in Ordnung demnach? Nicht ganz. In den USA bleiben Eier knapp und teuer, denn dort breitet sich die Vogelgrippe aus. Für den Menschen ist die Gefahr zurzeit gering, doch die Lage könnte leicht ausser Kontrolle geraten.
Vogelgrippe – eine ernst zu nehmende Bedrohung Das Vogelgrippevirus ist keineswegs neu. Seit Jahrzehnten zirkulierte es zunächst in Asien, mittlerweile auch in Europa und Nordamerika. Das Vogelgrippevirus H5N1 zählt zu den gefährlichsten Typen von Grippeviren, da es ein hohes Mutationspotenzial aufweist. Dadurch ist das Pandemierisiko grösser als bei anderen Grippeviren. Das Virus H5N1 hat seinen natürlichen Ursprung bei Wildvögeln, es springt aber auch auf andere Tiere über, vor allem auf Hausgeflügel wie Hühner und Enten. Seit einigen Jahren verschlimmert sich die Lage, da vermehrt Fälle verzeichnet werden, in denen das Virus auch auf Säugetiere und in seltenen Fällen auch auf Menschen übergegangen ist.
Schweiz bislang nur punktuell betroffen Von 2003 bis 2024 meldeten 24 Länder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 954 bestätigte Vogelgrippefälle bei Menschen. Fast die Hälfte der Betroffenen – 464 Personen – verstarben. Fachleute vermuten eine hohe Dunkelziffer bei den Ansteckungen. Die Sterblichkeitsrate dürfte daher deutlich niedriger liegen. Schätzungen dazu gibt es aber kaum. Die meisten Todesfälle ereigneten sich vor 2014 und betrafen vor allem asiatische Staaten, in denen viele Menschen in engem Kontakt mit Geflügel leben. In der Schweiz wurde das Virus schon oft bei Wildvögeln nachgewiesen, in Nutztierhaltungen bislang hingegen nur in drei Fällen. Bei Ausbrüchen greifen die Behörden konsequent durch: Infizierte Bestände werden gekeult, Schutz- und Überwachungszonen eingerichtet.
Ausbreitung in den USA
Ende 2021 wurde das Virus in die USA eingeschleppt, wo es im Februar 2024 in den US-Bundesstaaten Texas, Kansas und New Mexico völlig überraschend erstmals auf Kühe übergesprungen ist. Seitdem wird es in immer mehr Säugetieren nachgewiesen, auch bei Menschen. Untersuchungen ergaben, dass das Virus in der Milch infizierter Kühe vorhanden war, was auf eine potenzielle Übertragungsgefahr hinweist. Katzen und Mäuse wurden durch den Konsum von Rohmilch infiziert und sind daran gestorben. Zudem wurden Fälle dokumentiert, in denen sich Menschen durch den Kontakt mit infizierten Tieren angesteckt haben. Ein Ausbruch bei Säugetieren ist für die menschliche Gesundheit gefährlicher, da jede Infektion die Wahrscheinlichkeit einer Mutation des Virus erhöht. Dadurch kann sich das Virus besser an menschliche Zellen anpassen und so von Mensch zu Mensch überspringen. Letzteres ist bis heute noch nicht der Fall.
Massnahmen zur Eindämmung der Vogelgrippe
Aufgrund der hohen Mutationsfähigkeit wäre es notwendig, die Ausbreitung des Virus möglichst rasch zu stoppen. Obwohl ein geeigneter Impfstoff gegen H5N1 existiert, wurde er bisher in den USA nicht eingesetzt. Ein Grund: Viele Handelsabkommen untersagen den Export geimpfter Tiere. Wirtschaftliche Interessen blockieren damit eine wichtige Schutzmassnahme. Stattdessen setzen die Behörden auf Überwachung, Isolation infizierter Tiere und Informationskampagnen für Landwirte. Ausserdem fliesst Geld in die Impfstoffforschung. Doch Fachleute bemängeln: Die Massnahmen seien unzureichend koordiniert und schlecht umgesetzt. Viele Landwirte zögern, Tests durchführen zu lassen – aus Angst vor wirtschaftlichen Verlusten und Reputationsschäden. Diese Zurückhaltung untergräbt die dringend notwendige Kontrolle des Virus.
Wachsende Kritik am US-Gesundheitsministerium Seit Robert F. Kennedy Jr., ein bekennender Impfgegner, im Februar 2025 zum Gesundheitsminister ernannt wurde, häuft sich die Kritik. Besonders polarisiert der erzwungene Rücktritt von Peter Marks, einem führenden Impfstoffexperten der FDA, der massgeblich an der Entwicklung des CoronaImpfstoffs beteiligt war. Marks hatte sich konsequent gegen wissenschaftlich unbelegte Aussagen des Ministers gewehrt. Zusätzliche Kritik löste Kennedys Vorschlag aus, das Virus auf Geflügelhöfen frei zirkulieren zu lassen, um natürliche Resistenzen zu identifizieren. Zwar gibt es in seltenen Fällen Hühner mit einer gewissen Immunität, doch Expertinnen und Experten warnen: Auf natürliche Selektion zu setzen, ist fahrlässig – vor allem bei einem Virus, das sich so schnell verbreitet und so tödlich sein kann.
Fehler von damals drohen sich zu wiederholen
Die USA verzeichneten während der Corona-Pandemie eine der höchsten Todesraten pro Kopf. Zu spätes und zu zögerliches Handeln sowie eine wenig hilfreiche Kommunikation waren die grössten Fehler, die hauptverantwortlich waren für die mehr als 1,2 Millionen Corona-Toten in den USA. Ähnliche Versäumnisse scheinen sich zu wiederholen. Die USBehörden verlangten erst Ende April 2024 Tests für Milchkühe, die über die Staatsgrenzen transportiert wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Ausbruch bereits sieben weitere Bundesstaaten erreicht. Das in Milchkühen in den USA zirkulierende H5N1-Virus hat sich bereits so weit verändert, dass es menschliche Zellen deutlich effizienter infizieren kann. Die Entlassung von Tausenden Mitarbeitern im Gesundheitswesen und die Einschränkung von Impfkampagnen wecken zusätzliche Zweifel an der Fähigkeit des Ministeriums, effektiv auf die Risiken der Vogelgrippe zu reagieren. Ob Kennedy wohl weiss, dass sich bei der verheerenden Spanischen Grippe zu Beginn des letzten Jahrhunderts auch ein Vogelgrippevirus an den Menschen angepasst hatte?