Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Auf leisen Sohlen

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Auf leisen Sohlen
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Im Januar 2015 hatte die Aufgabe der Wechselkursobergrenze eingeschlagen wie eine Bombe. Als hätte die ganze Investorenschar der Welt auf den Moment der Freilassung des Schweizer Frankens gewartet, ging der Euro in den freien Fall über und notierte einige endlos lange Tage sogar unter Parität zum Schweizer Franken. So begann die mittlerweile gut zweieinhalbjährige Leidensphase der exportorientierten Zweige der Schweizer Wirtschaft, die bekanntlich nicht alle im selben Mass vom Wechselkursschock getroffen wurden.

Die Pharmaindustrie etwa zeigte sich nahezu vollends resistent und sicherte sich wohl irreversibel die unbestrittene Poleposition aller Exportbranchen. Einstige Vorzeigebranchen wie die Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie bekundeten indes Mühe. Am stärksten aber wurde die einheimische Tourismusbranche in Mitleidenschaft gezogen. Der machte neben der starken Währung auch noch die schwache Konjunktur in Europa zu schaffen.

Am 4.8.2017 schliesslich kostete ein Euro mehr als 1,15 Franken, dem höchsten Wert seit Wegfall der Anbindung unserer Landeswährung an den Euro. Das ist endlich mehr als ein lediglich zarter Hauch von Entspannung, der in der jüngsten Vergangenheit meist nur vorübergehender Natur war. An der Marke von 1,10 war der Euro jeweils wiederholt gescheitert. Die SNB musste über die vergangenen zweiweinhalb Jahre gar weitere Milliarden aufwerfen, um wenigstens die 1,05-er Marke zu verteidigen. Und nun, sozusagen fast aus heiterem Himmel, zieht das Gespenst auf leisen Sohlen wieder ab? Wollen wir’s hoffen, der arg gebeutelten Industrie wäre es zu gönnen. Denn wer sich die letzten 30 Monate im rauen globalen Wettbewerb unter widrigsten Umständen behaupten konnte, der hat nicht nur bewiesen, dass er ziemlich fit ist, sondern hat auch eine Verschnaufpause verdient.

Mit wenig zufrieden
Selbst wenn der Anstieg des Euro Richtung 1,15 den Druck, der auf den Exporteuren lastet, abfedert, kann von Entspannung – wie in manch voreiligem Medium verlautbart – noch keine Rede sein. Das Leiden der exportorientierten Firmen ist längst nicht vorbei, denn auch beim heutigen Wechselkurs ist unsere Währung noch immer stark überbewertet. Wohler dürfte es höchstens der SNB sein, die das Wechselkursdebakel damals ausgelöst hat. Sie profitiert unmittelbar von der Euroaufwertung. Erstens hat sie im Wert von über 700 Milliarden Franken Devisenreserven angehäuft und zweitens muss sie momentan auch nicht mehr am Devisenmarkt intervenieren. Für den Rest der Wirtschaft gilt aber abzuwarten, wie sich die aktuelle Wechselkurskonstellation in den Büchern niederschlägt.

Aussagen dazu sind heute noch verfrüht. Die unmittelbaren Erklärungen der Analystenschar mögen nicht befriedigen. Keiner kann wirklich sagen, wieso der Franken urplötzlich kaum mehr gefragt ist und wenn seine Erklärungen noch so plausibel klingen mögen. Mehr als zwei Jahre nach dem Wechselkursschock ist man hierzulande aber schon mit wenig zufrieden „Exporte mit Rekordwert“ oder „Wende bei den Übernachtungszahlen“ sind zwar wohlklingende Überschriften, doch die Details der Zahlen offenbaren noch immer, dass die Erholung wenig breit abgefedert ist. Selbst bei einem Wert von 1,30 Franken pro Euro wäre der Franken noch überbewertet, wovon sich jeder überzeugen kann, der seinen Warenkorb seit geraumer Zeit im Ausland füllt.

Skepsis schwindet, keine Euphorie
Die gängigste Erklärung für die jüngste Eurorallye ist die Rückkehr des Risikoappetits, die wohl mehrere Ursachen hat. Zunächst ist da das zaghafte Vorgehen der amerikanischen Notenbank. Die schielt mit einem Auge stets auch auf den Dollarkurs und möchte die Zinsdifferenz zum Euro nicht zu stark ausweiten, auch wenn sie dies nie so sagt. Hinzu kommt die offenbar recht stabile und breiter abgestützte konjunkturelle Aufhellung in Europa, ein wichtiger Treiber, dass sich Investoren von den sicheren Häfen distanzieren und vermehrt wieder dort investieren, wo (positive) Renditen locken. Damit scheint absehbar, dass auch in Europa der Zinstrend nachhaltiger nach oben kehrt. Die Negativzinsen können in dem konjunkturell aufgehellten Umfeld ihre abschreckende Wirkung erst richtig entfalten und wirken endlich abschreckend.

Und last but not least werden auch Carry Trades wieder salonfähig, also sich in einer Währung mit günstigen Zinsen zu verschulden, um das Geld in höher verzinsten Währungen anzulegen. Dass die SNB sicherlich die letzte der grösseren Zentralbanken sein wird, welche die Zinsen anhebt, hat den Franken ebenso zurückbuchstabiert. Mit Recht schwindet so die Skepsis im Land, aber für Euphorie ist es noch viel zu früh. Und wahre Freude kommt wohl erst mit 1,30 oder mehr auf. Damit rechnet heute aber (noch) niemand.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

 

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