Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Aus dem Schneider
Was gibt es Schöneres, als ins Ziel zu laufen, während die Konkurrenten noch eine weitere Runde absolvieren müssen? So muss sich Thomas Jordan fühlen. Als Chef der Schweizer Nationalbank konnte er im März im Namen der ersten grösseren Zentralbank den Sieg über die Inflation verkünden und den Reigen der Zinssenkungen eröffnen, während die anderen Zentralbankchefs noch mit dem Gespenst der Inflation kämpften.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz
In der Schweiz ist die Inflation wieder unter Kontrolle. Wie wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, ist die Inflation im März auf 1 Prozent gesunken. Auch die Kerninflation notiert auf demselben Niveau. Der zugrunde liegende Preistrend ist nur noch schwach ausgeprägt. Zweit- und Drittrundeneffekte sind kaum noch vorhanden, vor allem weil sich die Löhne in der Schweiz nur moderat erhöht haben. Der Vorstufen-Preisdruck seitens Produzenten- oder Importpreisen ist im Dreimonatsmittel entweder null oder negativ. Und im Dienstleistungssektor halten sich die Absichten der Unternehmen, die Preise zu erhöhen oder zu senken, seit Längerem die Waage. In den nächsten Monaten dürfte die Gesamtinflation zwar aufgrund höherer Wohnungsmieten und Dienstleistungspreise nochmals etwas anziehen. Das Zielband der Preisstabilität von 0 bis 2 Prozent wird die Inflation in der Schweiz aber auf absehbare Zeit nicht mehr verlassen. Die Inflationsrisiken, die von den höheren Mieten ausgehen, sind zudem beschränkt. Einerseits wird es mit der Zinswende zu keinen weiteren Referenzzinssatzerhöhungen mehr kommen, andererseits belasten die Mieterhöhungen die Kaufkraft und die Nachfrage, was eher preisdämpfend wirkt.
Die Schweiz ist demnach aus dem Schneider und der Inflationsspuk im Inland vorüber, während das Inflationsgespenst im Ausland weiterhin sein Unwesen treibt – insbesondere in den USA. Im März ist die US-Inflation kräftiger als erwartet wieder von 3,2 auf 3,5 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr als vorübergehender Rückschlag abtun. Eine Weile lang bestand noch die Hoffnung, die erhöhten Inflationsdaten zu Jahresbeginn seien ein Ausreisser und bloss auf gewisse Komponenten der Inflation zurückzuführen. Dazu verwenden die Zentralbanken Konzepte wie die Kerninflation oder die Super-Kerninflation, die die volatilen Komponenten ausschliessen. Die Märzdaten haben diese Hoffnung nun zunichtegemacht und bestätigt, dass der aktuelle Preisdruck in den USA nicht nur von volatilen Energie-, Nahrungsmittel- oder Wohnungspreisen herrührt. Auch ohne diese Komponenten bewegt sich die US-Inflation am aktuellen Rand auf einem Niveau, das zu weit über dem Inflationsziel liegt. Offensichtlich lassen die hohen Lohnzuwächse zusammen mit der soliden Nachfrage weiterhin stärkere Preisüberwälzungen zu. Das bestätigen sowohl die Verkaufspreisdaten aus der Befragung der Einkaufsmanager als auch Zahlen zu den Preisabsichten amerikanischer KMU für die nächsten drei Monate.
Die Reaktion an den Märkten hat denn auch nicht auf sich warten lassen und könnte kaum grösser sein. Preisten die Märkte Ende des letzten Jahres noch sechs Zinssenkungen der amerikanischen Zentralbank im Jahr 2024 ein, so sind es aktuell maximal noch deren zwei. In den USA bewahrheitet sich, dass die letzten Meter bei der Bekämpfung der Inflation stets die schwierigsten sind. Insbesondere dann, wenn die Konjunktur nur wenig Schwächezeichen aufweist und der Arbeitsmarkt rund läuft. Die US-Konjunktur zeigt sich in der Tat wenig beeindruckt von den bisherigen massiven Zinserhöhungen. Vor diesem Hintergrund haben die Zinssenkungsfantasien der Märkte einen weiteren Dämpfer erlitten. Denn mit dieser Ausgangslage wird der amerikanische Zentralbankchef Jerome Powell die Zinssenkungen vor dem Sommer nicht starten können, ohne seine Glaubwürdigkeit zu riskieren. Die unterschiedliche Ausgangslage hat sich auch an den Zinsmärkten niedergeschlagen. Notieren die Langfristzinsen in der Schweiz unverändert in etwa auf dem Niveau von Ende 2023, sind in den USA die Langfristzinsen seither um rund 0,6 Prozentpunkte angestiegen.
Auf Kurs bleibt dagegen die Europäische Zentralbank. Der stotternde Konjunkturmotor in Europa hat bisher mitgeholfen, den Desinflationstrend am Laufen zu halten. Daher verdichten sich die Zeichen, dass die Europäische Zentralbank im Juni mit Zinssenkungen beginnt, für einmal vor der Fed. Das Biest Inflation ist allerdings auch in der Eurozone noch nicht besiegt, wie unter anderem die Dynamik bei den Dienstleistungspreisen zeigt, und dementsprechend kann auch in der Eurozone noch nicht von einem Zieleinlauf die Rede sein. (Raiffeisen/mc)