Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Bewährungsprobe bestanden

Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Gross war das Gejammer, als der hypothekarische Referenzzinssatz im letzten Jahr gleich zweimal von 1,25 Prozent auf die aktuell gültigen 1,75 Prozent anstieg. Der Mieterinnen- und Mieterverband forderte gar, der Bundesrat müsse die Überwälzung der zweiten Erhöhung vorübergehend aussetzen. Da die Anstiege des Referenzzinssatzes den Vermietern erstmals seit dessen Einführung das Recht einräumten, die Mietzinsen zu erhöhen, war das Lamento nachvollziehbar, nicht aber die Kritik am Modell. Denn der Referenzzinssatz ist besser als sein Ruf.

Der Referenzzinssatz wurde im Jahr 2008 eingeführt. Ziel war es, die Mietzinsanpassungen transparenter und fairer zu gestalten, indem er sich auf den durchschnittlichen Zinssatz aller ausstehenden Hypotheken von Banken stützt. Der Referenzzinssatz reflektiert die Finanzierungskosten der Hauseigentümer insgesamt relativ gut. Seine Höhe wird dabei nicht nur – wie früher – durch die lokale Kantonalbank, sondern durch eine Vielzahl von Kreditvergabeinstituten schweizweit einheitlich bestimmt, was den Anforderungen an Fairness und Transparenz relativ nahekommt. Jüngste Analysen, etwa der Zürcher Kantonalbank oder des Immobilienberatungsunternehmens IAZI, zeigen, dass die Mieten der Bestandsmietenden im Zuge der zahlreichen Referenzzinssatzsenkungen seit 2008 signifikant gesunken sind. Langjährige Mieterinnen und Mieter konnten sogar mehrere Mietzinssenkungen durchsetzen, wie beide Institute anhand der Analysen von Mietverhältnissen, die seit mindestens 2005 bestehen, darlegen konnten. Damit wurden auch die von Mieterverbandskreisen häufig wiederholten Behauptungen widerlegt, wonach die Mietenden um Milliarden geprellt worden seien.

Trägheit als Stärke
Da Zinsschwankungen an den Märkten jeweils nur einen kleinen Teil der ausstehenden Hypotheken betreffen, reagiert der Referenzzinssatz langsam auf Änderungen. Das wird zuweilen kritisiert, ist jedoch in Wahrheit eine der grössten Stärken des relativ jungen Referenzzinssatz-Modells. Viele, die den zweimaligen Anstieg im letzten Jahr kritisierten, scheinen sich nicht an die Zeit von vor 2008 zu erinnern vermögen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Zinssatz für variable Hypotheken der örtlichen Kantonalbank der für Mietzinsanpassungen massgebende Zinssatz. Da jedoch variable Hypotheken zunehmend an Bedeutung verloren, war dieser Zinssatz nicht mehr repräsentativ für die Finanzierungskosten der Hauseigentümer. Manche Kantonalbanken gaben gar keinen offiziellen Satz mehr bekannt, weshalb sich eine neue Lösung aufdrängte.

Die damalige Regelung hatte den Nachteil, dass Teuerungsschübe schnell auf die Mieten durchschlugen, da die Nationalbank zur Inflationsbekämpfung die Zinsen erhöhen musste. Ende der 80er Jahre, als die Inflation in der Schweiz aus dem Ruder lief, senkte die Schweizerische Nationalbank die Geldmenge und erhöhte den Diskontsatz auf 7 Prozent im Jahr 1991. Die Zinsen für variable Hypotheken stiegen dadurch von einem bereits hohen Niveau von 5,2 Prozent auf 7,9 Prozent und heizten damit über kräftige Mietpreiserhöhungen die Inflation zusätzlich an. Diesen sich selbst verstärkenden Mechanismus wollte man mit dem neuen Referenzzinssatz entschärfen. Der jüngste Inflationsschub bietet nun eine gute Gelegenheit, zu überprüfen, ob das heutige Modell diesbezüglich besser funktioniert.

Bewährungsprobe durch jüngsten Inflationsschub
Die Schweizerische Nationalbank begann im Juni 2022, die Zinsen rasch in mehreren Schritten zu erhöhen. Der Referenzzinssatz reagierte jedoch erst ein volles Jahr später. Als er im Dezember 2023 zum zweiten Mal anstieg, war die Inflation bereits wieder auf 1,3 Prozent gefallen, und die Nationalbank konnte auf einen Zinssenkungspfad umschwenken. Die Trägheit des Referenzzinssatzes trug also entscheidend dazu bei, dass die Mietpreisteuerung erst mit Verzögerung auf die Inflation durchschlug. Dieser Effekt war auch mitverantwortlich dafür, dass die Nationalbank die Leitzinsen nicht über 1,75 Prozent hinaus erhöhen musste. Davon profitierten insbesondere die Mietenden, da der Teuerungsschub und die nachfolgende Leitzinsanhebung von insgesamt 250 Basispunkten nur zu einem Anstieg des Referenzzinssatzes um 50 Basispunkte führten. Eine weitere Erhöhung des Referenzzinssatzes ist vorderhand ausgeschlossen. Im Gegenteil: Spätestens im März 2025 wird der Referenzzinssatz wieder auf 1,5 Prozent sinken, wo er für längere Zeit verharren dürfte.

Fazit: Test bestanden
Dem noch vor Kurzem heftig angefeindeten Referenzzinssatz kann bescheinigt werden, dass er die an ihn gestellten Anforderungen in Bezug auf Transparenz, Fairness und Trägheit sehr gut erfüllt. Das ursprünglich nur als Übergangslösung bis zum Inkrafttreten einer Mietrechtsrevision eingeführte Referenzzinssatz-Modell dürfte daher noch länger Bestand haben. Zwar ignoriert das Modell andere wichtige Faktoren, die die Mietpreise beeinflussen, wie etwa Immobilienpreise, Instandhaltungskosten und regionale Entwicklungen, doch insgesamt stellt das Modell eine klare Verbesserung gegenüber der Situation von vor 2008 dar. Der Akzeptanz des Referenzzinssatz-Modells dürfte diese bestandene Bewährungsprobe förderlich sein. Nicht zuletzt auch, weil alternative Modelle ebenfalls wieder neue Herausforderungen und Komplexitäten mit sich bringen würden. Mietenden und Vermietenden ist mit dem heutigen Referenzzinssatz damit ganz gut gedient. (Raiffeisen/mc/pg)

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