St. Gallen – BRIC war vor wenigen Jahren noch jedem ein Begriff. Von einem Wachstumswunder war die Rede. Vor allem nach der Finanzkrise zogen die BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China die Weltwirtschaft trotz angeschlagenen, hoch industrialisierten Volkswirtschaften wieder aus der Talsohle. China wuchs um die 10 % jährlich, Indien galt als der grosse Tiger Asiens und Russland sowie Brasilien erlebten einen viel bestaunten Wirtschaftsboom.
Mittlerweile ist der Begriff BRIC in immer weniger Munde, um nicht zu sagen ein Auslaufmodell. Das liegt daran, dass es inzwischen in den meisten BRIC-Ländern alles andere als rund läuft – und vor allem nicht mehr einheitlich. Jedes der Länder ist mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Am wenigsten noch Indien, das immerhin wieder um deutlich mehr als 5 % wächst, nachdem es 2012 und 2013 etwas zurückgeworfen worden war. Zweistellige Zuwachsraten der Wirtschaftsleistung sind aber auch in Indien längst Vergangenheit und die Armut im Lande noch immer weit verbreitet. Für das laufende Jahr wird ein Wachstum von 7,5 % erwartet, im kommenden Jahr sogar leicht mehr.
Politik dominiert Wirtschaft
China versucht derweil mit den stets gleichen aber immer aufwändigeren Konzepten das Wachstum hoch zu halten, vornehmlich damit es etwas zu verteilen gibt und dadurch das politische System gar nicht erst in Frage gestellt wird. Das mag kurzfristig die wahren Probleme verhüllen, nachhaltig ist diese Politik aber kaum. Auf der anderen Seite Russland. Das Land leidet noch immer unter einem Post-Ölboomschock, die Armut auf dem Land ist gross und kontrastiert enorm zu dem Superreichtum weniger Magnaten. Vor allem aber ist Russland nach dem Ukrainekonflikt und seiner undurchsichtigen Rolle in Syrien weltpolitisch auf einem heiklen Kurs.
Dazu kommt die Aufregung rund um die Olympischen Spiele, als der Stolz der Russen arg gekränkt wurde, indem ihnen der Totalausschluss drohte. Dass nun doch etliche Russen und Russinnen um olympische Ehren kämpfen dürfen, ist da nur ein schwacher Trost. Denn das Image des Landes ist extrem angeschlagen, seit bekannt geworden ist, dass die vielen Erfolge an den eigenen Spielen in Sotschi vor gut zwei Jahren wohl auch dank Staatsdoping gefeiert werden konnten.
Olympiaden der Selbstdarstellung
Zu guter Letzt, obwohl ganz vorn im BRIC-Alphabet, Brasilien, das konjunkturell gesehen noch ärger unter die Räder kam als Russland und politisch mindestens genauso angezählt ist. Die Petrobras-Affäre, welche den Korruptionssumpf im Lande nicht besser umschreiben könnte und ausgerechnet auch noch den für Korruptionsbekämpfung eingesetzten Minister Fabiano Silveira den Kopf kostete, sowie die vorgängige Suspendierung von Präsidentin Dilma Rouseff, werfen kein gutes Licht auf Brasilien.
Dazu galoppiert die Inflation bei gleichzeitig rückläufiger Wirtschaftsleistung, sprich Brasilien steckt in der Stagflation. Darüber hinaus nimmt die Staatsverschuldung massiv zu, dem sportlichen Debakel an der eigenen Fussball-WM vor zwei Jahren folgte der wirtschaftliche Niedergang.
In der Konsequenz liegt heute der Anteil von Russland und Brasilien an der globalen Wirtschaftsleistung tiefer als im Jahr 2000. Und so haben die beiden Länder mehr gemein, als ihnen lieb sein dürfte. Dass Brasilien aktuell die Olympischen Spiele ausrichtet und offenbar in den letzten Wochen gezielt oder nur zufällig seine besten Sportler keinen Dopingtests mehr unterzogen hat, lässt ebenfalls Parallelen erkennen. Das angekratzte Selbstbewusstsein lässt sich kaum und auch nicht um jeden Preis zurückkaufen.
Das sehen die meisten Investmentbanken allerdings anders, die unisono auf brasilianische Unternehmen setzen. An keiner Börse der Welt liess sich dieses Jahr mehr Geld verdienen. Aktuell liegt der wichtigste brasilianische Börsenindex, der IBOVESPA, gut 63 % höher als zu Jahresbeginn. Eine gewagte Wette, die eher auf Börsenlatein als auf fundamentaler Einsicht beruhen dürfte. Citigroup etwa argumentiert, dass in fünf Olympiagastgeberländern die Börsen zwölf Monate danach überdurchschnittlich zulegten. Na, wenn das mal kein Argument ist.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen