Die Warnungen vor heftigen Preiskorrekturen auf dem Schweizer Immobilienmarkt waren Jahr für Jahr zu vernehmen und sie wurden dadurch nicht richtiger. Entgegen diesen Befürchtungen hat der hiesige Immobilienmarkt den jüngsten Stürmen aus Zinsanstieg, Wirtschaftsabschwung und erhöhter Unsicherheit aufgrund kriegerischer Ereignisse gut getrotzt.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen
Zu einem Absturz wie teilweise im Ausland ist es in der Schweiz nicht gekommen. Der MSCI World Real Estate Index beispielsweise, der Immobilien-Aktiengesellschaften aus 23 entwickelten Ländern umfasst, hat seit Anfang 2022 um 35 Prozent korrigiert, während Schweizer Immobilienaktien und -fonds heute bloss um 12 Prozent unter dem damaligen Stand notieren. Doch auch die Immobilienwelt hierzulande ist eine andere geworden. Der Superzyklus, der seit Beginn der Jahrtausendwende am Laufen war und kein Ende zu nehmen schien, ist vorbei. Das bedingt seitens der Immobilienakteure ein gewisses Umdenken. Unklar ist, ob dieses auch überall geschieht. So erntete ich im letzten Jahr von einigen Investoren Unglauben, als ich den Renditeliegenschaften für 2023 eine negative Rendite prophezeite.
Jahrelanger Rückenwind kann gefährlich sein und das Urteilsvermögen trüben. Geld zu verdienen mit Immobilien war in den letzten Jahren zu einfach. Sogar blinde Hühner haben noch ein Korn gefunden. Das hat sich aber geändert. Künftig werden Immobilienakteure härter arbeiten müssen, um die gewohnten Renditen zu generieren. Denn der kontinuierliche Zinszerfall, der den Immobilienbesitzern Jahr für Jahr schöne Aufwertungsgewinne bescherte, ist Vergangenheit. In den nächsten Jahren wird die Rendite hauptsächlich aus der Cashflowrendite gespiesen, weil die zweite Renditekomponente, die Wertänderungsrendite, ausfällt. 2023 markiert das erste Jahr seit 2009, in dem die Diskontierungssätze ansteigen. Damit kommen die Liegenschaftsbewertungen in den Portfolios unter Druck. Die Schlüsselfrage lautet folglich: Woher kommt in Zukunft die Rendite?
Die Immobilienbranche zeigt sich bezüglich dieser Frage etwas ratlos. Verwöhnt vom jahrelangen Rückenwind durch die zinsbedingten Aufwertungen scheint die Fähigkeit, eigenständig Rendite zu erarbeiten, in den letzten Jahren gelitten zu haben. Für die Pflege der Immobilienrenditen stehen verschiedene Hebel zur Verfügung. Ein erster sind die Kosten. In der zu Ende gegangenen goldenen Ära, in welcher Wohnrenditeliegenschaften Jahr für Jahr stabile hohe Gesamtrenditen zwischen 5 und 6 Prozent lieferten, spielten Kosten eine untergeordnete Rolle. Das dürfte sich ändern.
Kosten waren zwar auch in der Vergangenheit bereits ein Thema, aber jetzt werden sie zu einer Angelegenheit, die weh tut. Die Verschlankung von während des Booms aufgeblähten Strukturen oder eine Neubeurteilung von «Make or buy»-Entscheidungen können helfen, das Kostenniveau zu senken. Davon würden nicht zuletzt auch die Mietenden profitieren. Verteilungskämpfe, welche Dienstleister sich wie viel von der Bruttorendite von Immobilien sichern können, dürften daher zunehmen. Portfoliomanager, Bewirtschafter, Bewerter und alle anderen Beteiligten dürften den Kostendruck künftig stärker spüren.
Ein weiterer Hebel zur Erwirtschaftung von Rendite ist die Wertschöpfung. Rendite entsteht dort, wo Mehrwert geschaffen wird. Die Immobilienbranche wird sich daher in Zukunft verstärkt der Wertschöpfung widmen müssen. Der Ausgangspunkt bildet dabei die Frage, wo im Zusammenhang mit Immobilien Werte geschaffen werden. Das umfasst in erster Linie alles, bei dem es um Entwicklungen geht. Dazu zählen klassische Projektentwicklungen, zum Beispiel Greenfield-Projekte oder Neupositionierungen von Liegenschaften am Ende ihres Lebenszyklus; Neuausrichtungen von Liegenschaften, die Defizite ausweisen oder auf die falsche Zielgruppe gesetzt haben; aber auch die Optimierung von Liegenschaften, die ihr Mietertragspotenzial nicht ausschöpfen. Aktuell leidet die Projektentwicklung noch unter den stark gestiegenen Baukosten, doch mit sinkender Kapazitätsauslastung in der Baubranche dürfte der Wettbewerb die Situation für die Bauherren wieder etwas verbessern und vermehrt Entwicklungen auslösen. Grosses Potenzial besteht zudem bei den Behördenabläufen. Zu kompliziert, zu teuer.
Ob hier jedoch baldige Abhilfe in Sichtweite ist, wage ich zu bezweifeln. Klar ist jedoch, dass Immobilienbesitzer ihre Liegenschaften wieder stärker als Produkt verstehen müssen, das es gezielter auf verschiedene Zielgruppen auszurichten und zu verbessern gilt. Buy and hold von Renditeliegenschaften ist passé. Es genügt in Zukunft nicht mehr, Renditeliegenschaften nur zu kaufen und zu warten, bis deren Wert steigt. Ein aktives Management ist gefordert und ein geschultes Auge dafür, was am Markt funktioniert und welche Bedürfnisse für die Mietenden wichtig sind. Dies gilt umso mehr, als sich die Immobilienbesitzer auch mit weiteren Herausforderungen wie dem Klimawandel oder den wachsenden sozialen Ansprüchen konfrontiert sehen.
Ein gewisses Aufwertungspotenzial ist aber auch heute noch im Umfeld wachsender Raumknappheit vorhanden. Der Strategiewechsel bei der Raumplanung hin zu einer stärkeren Verdichtung wird ohne Aufzonungen nicht zu erreichen sein. Die Schlüsselfrage ist jedoch, wo es am ehesten zu Aufzonungen kommen wird. Kenner der Materie können aus Bau- und Zonenordnungen herauslesen, wo solche in Zukunft eher stattfinden könnten. Sich abzeichnende Steigerungen der Lagequalität aufgrund von verbesserter Erreichbarkeit, Verkehrsberuhigungsmassnahmen, Aufwertungen des Wohnumfelds usw. können ebenfalls systematisch identifiziert und für Investitionsentscheide genutzt werden. Viele Liegenschaften verfügen zudem noch über unausgeschöpfte Ausnutzungsreserven, die mit den heutigen digitalen Möglichkeiten identifiziert und gehoben werden können.
Innovative Immobilienbesitzer können des Weiteren einem Renditerückgang vorbeugen, indem sie versuchen, mit neuartigen Ansätzen neue Ertragsquellen zu erschliessen. Immobilienanbieter besetzen schliesslich eine privilegierte Stellung und verfügen über einen Zugang zu Tausenden von Nutzern, für die das Produkt Wohnraum eine hohe Bedeutung hat. Diese Position wird grundsätzlich noch zu wenig ausgeschöpft. Der Immobilienbesitzer versteht sich noch zu wenig als Anbieter einer Dienstleistung, an welche weitere Leistungen gekoppelt werden können. Stichworte sind hier Zusatzdienstleistungen wie die Versorgung mit Alltagsgütern, Mobilitätsdienstleistungen, die bequeme Bereitstellung von Energie- und Telekomleistungen oder ganz einfach Reinigungs- und Feriendienste. Digitale Plattformen eröffnen einige Chancen.
Die Bereitstellung solcher Mehrwertdienste stärkt nicht nur die Mieterbindung, sondern schafft auch zusätzliche Einnahmequellen. Im Kontext solcher Weiterentwicklungen des Geschäftsmodells «Flächenvermietung» ist die verbreitete unternehmerische Trennung zwischen Portfoliomanagement und Bewirtschaftung kritisch zu hinterfragen, weil die Zusammenarbeit selten optimal funktioniert und dadurch dem Portfoliomanagement die Nähe zu den Mietenden und zu ihren Bedürfnissen fehlt. Aus dem Blickwinkel des Eigentümers von Renditeliegenschaften mag das Ende des Superzyklus bedauert werden, für den Immobilienmarkt ist es aber ein Weckruf und eine Chance. (Raiffeisen/mc/pg)