Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Comeback eines kleinen Wortes

Zerknirscht beförderte Jerome Powell, der amerikanische Zentralbankpräsident, Ende 2021 das berühmt gewordene Wort «transitorisch» in den Ruhestand. Ausgerechnet er hatte im Frühling desselben Jahres den Preisanstieg im Nachgang der Corona-Pandemie fälschlicherweise als ein vorübergehendes – oder eben «transitorisches» – Phänomen bezeichnet. Wie wir wissen, erwies sich die Inflation als alles andere als temporär.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen
Die US-Zentralbank musste zur aggressivsten geldpolitischen Straffung seit Jahrzehnten greifen, um die ausufernde Teuerung wieder halbwegs in den Griff zu bekommen. Die Folgen sind in den USA bis heute spürbar. Im August vergangenen Jahres streute sich Powell Asche aufs Haupt – und räumte ein, dass er mit seiner Einschätzung falsch lag. Mit dem Satz «The good ship transitory was a crowded one» deutete er aber auch an, dass er keineswegs der Einzige war, der die Lage verkannt hatte.
US-Inflation noch nicht besiegt
Die US-Kerninflation hat sich seither zwar abgeschwächt, liegt mit aktuell 2,6 Prozent aber weiterhin deutlich über dem Zielwert von 2 Prozent. Und es gibt nur wenige Anzeichen dafür, dass sich dieses Ziel kurzfristig erreichen lässt. Das Momentum einer rückläufigen Inflation ist zum Stillstand gekommen und die Zolltariferhöhungen von Trump drohen die Preise wieder nach oben zu drücken. Umso erstaunlicher war es, dass Jerome Powell früher als erwartet das Wort «transitorisch» wieder ausgrub. Er verwendete es letzte Woche bei der Kommentierung des jüngsten Fed-Zinsentscheids. Er sagte, in seinem Basisszenario würden die von der Trump-Administration auferlegten Handelszölle nur einen vorübergehenden Einfluss auf die Inflation ausüben. So wie 2018, als Trump bereits eine Runde von Zollerhöhungen erliess.
Agiert die Fed wieder zu spät?
Es wäre zu erwarten gewesen, dass sich Powell als gebranntes Kind nicht zu vorschnell wieder auf die Äste hinauswagt mit seiner Einschätzung. Doch der amerikanische Zentralbank-Chef spielte nicht nur die Gefahr der höheren Zölle, sondern auch die möglichen Folgen der grossen Verunsicherung, die durch das erratische Agieren der Trump-Regierung ausgelöst wird, mit Verweis auf die «harten» Daten herunter, die der USA weiterhin ein recht robustes Wachstum attestieren. William Dudley, der frühere Präsident der New Yorker Fed, wollte diese Einschätzungen nicht teilen und meinte bloss: «In Wahrheit befindet sich die Fed diesbezüglich im Blindflug.»
Inflation: Ein psychologisches Phänomen
Natürlich fällt ein einmaliger Preisschub nach einem Jahr wieder aus der Statistik – allerdings nur, wenn es nicht zu Zweitrundeneffekten kommt. Solche stellen sich unter anderem ein, wenn der Preisanstieg die Inflationserwartungen der Konsumenten erhöht. In diesem Zusammenhang sorgte der jüngste Preiserwartungsindex der Universität Michigan für Aufsehen. Die Inflationserwartungen der befragten Konsumenten für einen Fünfjahreszeitraum stiegen überraschend stark von 3,5 Prozent auf 3,9 Prozent, den höchsten Wert seit 30 Jahren. Powell tat diesen Anstieg als Ausreisser ab und bezog ihn nicht in seine geldpolitischen Überlegungen ein. Doch was, wenn es eben kein Ausreisser war? Gut möglich, dass die Inflationserwartungen nach dem riesigen, eben erst durchlebten Inflationsschub bei Haushalten und Unternehmen nicht mehr gleichermassen verankert sind. Trumps Zollpolitik könnte zum Brandbeschleuniger der Inflation werden und Powells Versuch, mit der unglücklichen Wortwahl gute Miene zum bösen Spiel zu machen, könnte erneut in einer historischen Fehlprognose enden.
Lieferengpässe lassen grüssen
Nicht nur die Inflationserwartungen, auch die Verwerfungen auf der Angebotsseite können inflationäre Impulse auslösen. Das beste Beispiel dazu lieferte die Corona-Pandemie. Die Massnahmen gegen die Pandemie störten die Lieferketten empfindlich, so dass die Verfügbarkeit von verschiedenen Gütern eingeschränkt war und dadurch die Preise in die Höhe getrieben wurden. Auch Zölle haben das Potenzial dazu. In dem Ausmass, in dem Zölle ins feinmaschige Netz der Lieferprozesse eingreifen, können sie ebenfalls die Verfügbarkeit der Güter beeinträchtigen. Insbesondere bei Zöllen in der Höhe, wie sie Trump vorschweben. Über Jahre optimierte Lieferketten brechen zusammen, wenn plötzlich Zölle in der Höhe von 10 Prozent oder 20 Prozent Minusrenditen auslösen. Und da die Trump-Administration nicht für punktgenaue Eingriffe bekannt ist, drohen weitreichende Verwerfungen und dadurch grössere Preisschübe.
Inflation ist selten ein kurzlebiges Phänomen
Eine der Lehren aus der Vergangenheit ist, dass Zentralbanken früh agieren müssen, um inflationäre Tendenzen zu bekämpfen. Kommen die Inflationserwartungen in Bewegung, ist deren Rückführung zumeist mit hohen Kosten verbunden. Verliert die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Fähigkeit der Zentralbank, Preisstabilität zu gewährleisten, wird Inflation zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die amerikanische Zentralbank täte gut daran, diese Risiken nicht zu unterschätzen. Powell könnte in die Geschichte eingehen als der US-Zentralbankpräsident, der zweimal am selben kleinen Wort gescheitert ist. (Raiffeisen/mc)