St. Gallen – Werte schöpfen statt Boni: Vor gar nicht mal so langer Zeit waren Bankenjobs heissbegehrt. Absolventen der Spitzenuniversitäten standen vor der Wall Street Schlange und die saugte fast alle Topleute der wirtschaftswissenschaftlichen Akademien auf. Das gleiche spielte sich an anderen Finanzplätzen wie London, Frankfurt, Zürich oder Genf ab. Keine Branche konnte – was die Beliebtheit angeht – in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts mit der Finanzbranche mithalten. Banking war in, „fancy“ wie man das heute neuenglisch ausdrücken würde. Banken genossen grosses Vertrauen. Banken dienten dem Wohl einer ganzen Volkswirtschaft, so der weitverbreitete Glaube seinerzeit. Die Attraktivität der Finanzindustrie als Arbeitgeber widerspiegelte sich in hohen Salären, bombastischen Boni und der Aussicht auf eine einzigartige Karriere. Heute sieht das bekanntlich anders aus.
Zwar ist in der Schweiz die UBS gefolgt von Google noch immer der beliebteste Arbeitgeber für wirtschaftswissenschaftliche Hochschulabsolventen. Dabei dürfte aber vor allem die Bezahlung eine Rolle spielen und kaum mehr das Image. Mit der starken Betonung auf noch bieten Banken im Branchenvergleich sehr attraktive Saläre, auch für Berufseinsteiger. Mit dem guten Ruf ist es hingegen endgültig vorbei. In der Schweiz war die Bankbranche 2016 von 12 ausgewiesenen Branchen die mit der drittschlechtesten Reputation. Selbst der Detailhandel oder die Transport- bzw. Logistikbranche, beide nicht gerade bekannt für die besten Arbeitsbedingungen, schnitten besser ab.
In Deutschland lag bei Berufseinsteigern 2014 keine Bank mehr in den Top 10 der beliebtesten Arbeitgeber. Dort war BMW am meisten gefragt. Generell war die deutsche Automobilindustrie in der Wahrnehmung der Jobsuchenden äussert attraktiv, wobei auch die auf dem besten Weg ist, ihren Ruf irreversibel zu schädigen. Dieselgate hat vieles mit dem Subprimedilemma gemein.
Von Stars zu Buhmännern
Doch zurück zur Bankbranche. Die Finanzkrise 2008 hat deren Imagezerfall beschleunigt. Die jahrelang insgeheim bewunderten und wegen ihrer astronomischen Einkommen geneideten Händler auf dem Börsenparkett wurden zu eigentlichen Buhmännern, die ganze Volkswirtschaften an den Rand der Existenz spekulierten und von den Steuerzahlern gerettet werden mussten. Seitdem jammern die grossen Geldhäuser über den Würgegriff der Regulatoren und die immer extremeren Einschränkungen, die ihrem Geschäft auferlegt werden. Aber die grossen Banken bezahl(t)en zwar lange keine oder kaum mehr Steuern. Doch nach wie vor fürstliche Gehälter – vor allem in den Chefetagen. Dies in völligem Kontrast zur Profitabilität oder zur Kursentwicklung an der Börse.
«Das Credo lautet, man darf die Digitalisierung nicht verschlafen, weil der Kunde dies fordert. Das mag vielleicht stimmen, das Problem damit ist aber, dass der Digital Native eine Zahlungsbereitschaft nahe Null hat.»
Kosten im Fokus
Dass die Regulation die Kosten treibt, steht ausser Frage. Doch sind die Löhne nach wie vor der grösste Kostenblock im Banking. Lohnkürzungen aber in der Regel ein Tabu und weiter oben in der Hierarchie ein Ding der Unmöglichkeit, wie immer wieder verlautbart wird des Wettbewerbs wegen. Man würde sonst die besten Leute verlieren, so die einfache Begründung. Doch dieses Spiel auf Zeit werden die Grossen der Branche verlieren, denn es fehlt an Ideen, die Wertschöpfung nachhaltig zu steigern. An einer Bankentagung letzte Woche war daher fast ausschliesslich von Kosten die Rede, aber nicht von Löhnen. Die Branche setzt voll auf Digitalisierung, Blockchain und Social Media. Sie liefert sich der Technologiephalanx aus und hofft auf ein Produktivitätswunder. Dafür gibt sie Teile ihrer angestammten Wertschöpfung kampflos auf. Das Credo lautet, man darf die Digitalisierung nicht verschlafen, weil der Kunde dies fordert. Das mag vielleicht stimmen, das Problem damit ist aber, dass der Digital Native eine Zahlungsbereitschaft nahe Null hat. Und so werden Tools hervorgezaubert und an Tagungen hoch gehandelt, die per Knopfdruck eine Bankverbindung beenden und sämtliche Beziehungen zu einer anderen Bank transferieren – in Sekundenschnelle. Das ist fast schon Selbstmord.
Banken folgen der Bauwirtschaft
Würden sich die namhaften Player im Markt ernsthaft damit beschäftigen Kundenerwartungen zu übertreffen, anstatt alles daran zu setzen, die Erwartungen der Kunden so kostengünstig wie möglich zu erfüllen, würde der Wettbewerb über die Wertschöpfung und nicht über die Kosten ausgetragen. Auch dann – so viel steht fest – würden etliche Häuser aus dem Markt ausscheiden, aber die Übriggebliebenen könnten wenigstens wieder profitabler werden als heute. Doch es sieht ganz danach aus, dass den Banken das bevorsteht, was die Schweizer Baubranche nach dem Immobiliencrash durchlebte.
Die hat in der gut zehnjährigen Strukturbereinigung ungefähr drei Viertel ihrer Profitabilität in einem knallharten Wettbewerb verloren bzw. preisgegeben. Erst kam Regulierung, was die Kosten trieb und anschliessend wurde die Wertschöpfungskette durch die Generalunternehmungen aufgebrochen. Trotz massiven Produktivitätssteigerungen konnte die Branche diesen Wertschöpfungsverlust nie mehr kompensieren. Ein schwacher Trost bleibt indes. Die Baubranche bezahlt auch heute noch überdurchschnittliche Löhne, die Unternehmerlöhne hingegen sind irreversibel weit entfernt von ihren Höchstständen. Zeit, sich um die Zufriedenheit der Kunden zu kümmern und nicht um deren Portemonnaie. Dann braucht es auch keine Expresstools zur Beendigung der Bankbeziehung. Eine Beziehung die per SMS beendet wird, war wohl auch nie eine richtig innige. (Raiffeisen/mc)
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen