Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt nahmen nicht wenige eloquente Berufskollegen meiner Zunft das Wort der Hyperinflation in den Mund. Die drohe, wenn die Notenbanken nicht bald damit aufhörten, die Geldmenge weiter aufzublähen. Das dürften grossenteils überzeugte Monetaristen gewesen sein, denn Milton Friedman, der Begründer, mindestens aber Vordenker des sogenannten Monetarismus, wird am meisten mit einem seiner Leitsätze zitiert, wonach Inflation stets ein monetäres Phänomen sei.
Wer demnach die Geldmenge kontrolliere, kontrolliere automatisch auch die Inflation. Natürlich wird heute nicht mehr Geldpolitik betrieben, wie sie Friedman einst modellierte und daher taucht die klassische Geldmenge in den meisten Prognosemodellen auch gar nicht mehr auf. Zinsen oder Wechselkurse hingegen schon und die liegen bekanntlich auch im Wirkungskreis der Notenbanken.
Milton Friedman war zweifellos der mitbedeutendste Ökonom des zwanzigsten Jahrhunderts. Noch heute ist seine Lehre nicht aus der wirtschaftspolitischen Debatte wegzudenken. Die Deutsche Bundesbank orientierte ihre Strategie an seiner Lehre, Margaret Thatcher oder Ronald Reagan machten den liberalen Markt, den auch Friedman predigte, zu ihrer eigentlichen Wirtschaftsdoktrin. Bis Friedmans Lehre auch in der praktischen Wirtschaftspolitik Fuss fasste, hatte der Fiskalismus dominiert. Der geht zu einem guten Stück auf John Maynard Keynes zurück, welcher die Wirtschaftswissenschaft zuvor über Jahrzehnte geprägt hatte. Sein Standardwerk mit dem deutschen Titel «Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes» («The General Theory of Employment, Interest and Money») war in meiner Studienzeit sozusagen Pflichtliteratur. Vereinfacht gesagt vertrat Keynes die Ansicht, der Staat müsse die Wirtschaft steuern, da diese inhärent instabil sei. Er könne fast alles richten, wenn er nur wohldosiert und gut getimt interveniere. Antizyklische Fiskal- und Geldpolitik sind die direkte Folge dieses Glaubens an die stabilisierende Macht wirtschaftspolitischer Massnahmen.
Wenn man so will, feierten Friedman und Keynes nach der Finanzkrise ein gemeinsames Comeback. Riesige Fiskalpakete und eine noch nie gesehene expansive globale Geldpolitik verhinderten einen nachhaltigen Einbruch der Realwirtschaft und richteten die Finanzmärkte wieder auf, zu einem allerdings hohen Preis in Form unerwünschter Nebenwirkungen. Tiefzinsen schaffen neue Verhältnisse zwischen Schuldnern und Sparern und die expansive Fiskalpolitik hat die Staatsfinanzen vollends aus dem Ruder laufen lassen. Das ist nicht ganz im Sinne der Erfinder, die Interventionen eher als Steuerungsinstrument verstanden und nicht als Perpetuum, ohne welches die Wirtschaft gar nicht mehr auskommt. Zudem ist die Verschmelzung von Fiskal- und Geldpolitik immer offensichtlicher. Sie nahm ihren Anfang in der Eurokrise und die Coronakrise hat die Monetarisierung der Staatsschulden endgültig salonfähig gemacht. Die Notenbanken finanzieren inzwischen längst die überschuldeten Industrienationen und wenn auch nur indirekt, indem sie die Zinsen künstlich tief halten.
Mit dem erhofften, hoffentlich nicht nur vermeintlichen Ende der Pandemie kursiert das Wort der Hyperinflation wieder. Dieses Mal sind es die Fiskalisten, welche den Chor anführen, aber die Monetaristen stimmen mit ein, weil die doppelte Expansion von Staatsausgaben und Geldmenge ja gar nicht anders enden könne als in unkontrolliert steigenden Preisen. So wie wir es an der Hochschule gelernt haben. Und tatsächlich erhalten diese Unkenrufe aktuell gehörig Nahrung, denn die Produzentenpreise steigen weltweit unerwartet stark und schnell, in den USA auch die Verbraucherpreise und selbst in der Eurozone steigt das Preisniveau an. Aber ist das tatsächlich die klassische Inflation, die früher so oft aus dem Ruder lief? Weil die Löhne exorbitant zulegten und dann eine Preisspirale in Gang setzten, die dann nicht mehr kontrollierbar wurde, weil die Überschussnachfrage nur durch Preissteigerungen einzudämmen war.
Wohl kaum, denn was wir aktuell erleben, lässt sich am besten wie folgt umschreiben: Stellen Sie sich vor, Sie hatten einen unerwartet harten und nicht enden wollenden langen Tag und sind dann vor Erschöpfung nur noch ins Bett gefallen. Ähnlich erging es der Weltwirtschaft, als Corona sie in eine Art künstlichen Tiefschlaf versetzte. Nun klopft es an der Türe, Sie werden schlagartig wach und da rast Ihr Puls mal fürs Erste, bis Sie sich langsam aufgerappelt haben. Ebenso geht es der Weltwirtschaft momentan, die ebenso jäh geweckt wurde. Der Puls der Weltwirtschaft ist die Preisentwicklung und dieser Puls rast ähnlich wie der eines abrupt geweckten Riesen, namentlich der USA.
Wenn der Riese wieder einigermassen stabil auf den Beinen steht, geht auch sein Pulsschlag wieder runter. Das klingt zugegeben sehr vereinfachend, aber ich bin überzeugt, dass wir im kommenden Jahr wieder tiefere Inflationsraten in den USA sehen werden. Bis dahin dürften nämlich alle wieder vollends wach sein, sprich die globalen Produktionskapazitäten werden wieder auf Normallast zurückfinden, die Lieferketten funktionieren und der Wettbewerb wieder so rund laufen, dass Engpässe auf Teilmärkten nicht einfach preislich überwälzt werden können. Inflation ist weder ein fiskalisches noch ein monetäres Phänomen, sondern bleibt ein Gespenst der Vergangenheit abgeschotteter Märkte und hoher Handelshemmnisse. (Raiffeisen/mc/pg)
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen