Es steht wieder mal Weihnacht vor der Tür – wie jedes Jahr. Und doch ist alles neu dieses Jahr. Die sonstige Unbeschwertheit der Feiertage hat einer Unsicherheit Platz gemacht, die niemanden unberührt lässt. Das sogenannte Fest der Familie verdient diesen Namen 2020 nicht wirklich. Denn der Kreis der Familie ist dermassen eingeschränkt, dass nicht wenige manche ihrer Lieben an Weihnachten nicht sehen werden.
Es wird im kleinen Rahmen gefeiert werden (müssen) und auch die Berge locken nicht selbstverständlich wie sonst in dieser Zeit, denn Corona ist überall. Dass sich nun auch noch eine neue Variante des Virus breit macht, führt zu zusätzlicher Verunsicherung. Selbst die ärgsten Pessimisten hätten im Frühjahr wohl kaum damit gerechnet, dass uns Corona selbst an Weihnachten noch beschäftigen würde. Nun ist es aber so und wir haben die Bescherung schon vor Heiligabend. Wirklich.
Trotz epochaler Einschnitte in unsere Gewohnheiten, werden wir uns Weihnachten nicht vollends nehmen lassen. Weihnachten bleibt ein kommerzielles Hochfest. Wer sich in den letzten Tagen nach Bekanntwerden der neuen Einschränkungen durch den Bund ein Bild über deren Konsequenzen machen wollte, der staunte nicht schlecht ob des emsigen Treibens, das sich in kaum einer Weise von der sonstigen Vorweihnachtshektik in normalen Jahren unterscheidet. Der auffallendste Unterschied ist auf den ersten Blick nur, dass alle maskiert die Läden stürmen. Ansonsten bleibt aber wahrscheinlich alles beim Alten.
Weihnachten ist ein riesiger kommerzieller Anlass, an dem wir materiell über die Stränge schlagen. Sehr wahrscheinlich werden 2020 keine neuen Rekordumsätze im Weihnachtsgeschäft erzielt, aber von einem Einbruch dürfte zumindest im Detailhandel kaum die Rede sein. Viel dürfte auch via Onlineshops bestellt werden. Weihnachten bleibt ein paradoxes Geschäft mit Dingen, die wir eigentlich nicht brauchen. Wir kaufen sie nach wie vor, nur anders bzw. anderswo. Post und Lieferdienste verzeichnen entsprechend historische Rekordzahlen. Der Rubel rollt an Weihnachten fast wie gewohnt, Corona hin oder her.
Geschenk als Wertvernichter?
Auch die Völlerei, werden wir uns kaum nehmen lassen und das Trinken schon gar nicht. Etliche Studien zeigen, dass in der Weihnachtszeit mehr Leute wegen Alkoholkonsum in die Krankenhäuser eingeliefert werden und die Todesraten in Folge von Alkoholvergiftungen höher sind als sonst. Ausserdem legen wir zu, nicht massiv, im Schnitt nicht einmal ein halbes Kilo, doch das trainieren wir uns nie mehr ab, aller guten Vorsätze, welche wir dann fürs neue Jahr fassen, zum Trotz. Weihnachten fördert in dem Sinne durchaus unsere exzessiven Züge. Das Mehr finden selbst Ökonomen nicht förderlich. Joel Waldfogel etwa in seinem Buch mit dem Titel: «Warum Sie diesmal wirklich keine Weihnachtsgeschenke kaufen sollten». Er kommt zum Schluss, dass Weihnachten eigentlich einen gigantischen volkswirtschaftlichen Verlust generiert, ein Irrsinn, den man eigentlich stoppen müsste. Denn manche Geschenke sind so ideen- und sinnlos, dass man damit einfach nichts anfangen kann.
Sie sind aber mehr oder weniger teuer produziert worden und etliche Arbeitsstunden wurden für ihre Herstellung aufgewendet, Werte die sich sozusagen in Luft auflösen, wenn der Empfänger ihnen keine Nutzen bzw. Wert beimisst. Man kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Zahlungsbereitschaft der Beschenkten um einiges tiefer liegt als die der Schenkenden. Ökonomisch betrachtet ist Weihnachten zwar quantitativ bedeutend, aber im höchsten Masse ineffizient, was die Allokation von Ressourcen betrifft. Man kann insofern von Wohlstandsverlust sprechen. Überfluss führt eben leider auch zur ineffizienten Ressourcenverwendung, nicht zu sagen Verschwendung. Daran ändert Corona leider auch nichts. Und deshalb zum Schluss noch, wie jedes Jahr, was nicht ändert(e):
Alle Jahre wieder
Man darf davon ausgehen, dass wir pro Kopf etwa 330 CHF für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Das macht satte 2,8 Milliarden CHF. Nicht alle geben gleich viel aus, immerhin 4 % von uns mehr als 1’000 CHF, 15 % weniger als 100 CHF. Das Gros lässt sich Weihnachtsgeschenke zwischen 200 und 500 CHF kosten. Männer geben in der Regel pro Kopf etwa 10 % mehr aus als Frauen. Bewohner der Genferseeregion geben am meisten aus, gefolgt von den Nordwestschweizern und Zürchern. Nach Haushaltstyp sortiert liegen Familien mit Kindern vor Paaren und Alleinstehenden. Am wenigsten kaufen die Ostschweizer Weihnachtsgeschenke. Im Einkaufsverhalten vor Weihnachten spiegelt sich das eine oder andere, unter anderem auch geschlechterspezifische Klischee wider, sprich Sie schenkt Socken, er Ohrringe. Frauen geben eher mehr für Kleidung aus, Männer für Schmuck. Zur Unterhaltung schenken Frauen eher Bücher (auch E-Books), Männer Smartphones oder Games. Die Geschenke liegen an Heiligabend bevorzugt unter einer Nordmanntanne (zwei Drittel aller Bäume) oder einer Fichte (20 %).
Die Deutschschweizer lieben mehrheitlich (62 %) Kerzen als Weihnachtsbaumbeleuchtung aber nur 12 % der Westschweizer. Die stehen auf elektrische Beleuchtung. Über 90 % Westschweizer versehen ihren Christbaum mit einer Lichterkette. Apropos Baum: Gemäss einer Umfrage aus dem Jahr 2017 kaufen 46 % der Befragten überhaupt keinen Weihnachtsbaum. 2 % kaufen den Baum erst an Heiligabend selbst, knapper geht’s nicht. Das Spirituelle rund um Weihnachten hat dem Kommerziellen längst Platz gemacht. Aber unter dem Weihnachtsbaum wird immer noch gesungen, ein bisschen zumindest. In fast jedem zweiten Deutschschweizer Haushalt, doch nur jedem vierten Westschweizer Haushalt ertönen noch die alten Weisen. Die Schweiz hatte auch vor Corona schon viele Gesichter und das wird wohl so bleiben. In dem Sinne wünsche ich allen frohe Festtage und einen guten Rutsch ins 2021. Dann lesen Sie wieder von mir. Alles Gute und bleiben Sie gesund!
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen