Wenn ich mir die Geldpolitik der letzten Jahrzehnte vor Augen führe, werde ich den Gedanken nicht los, dass diese mehr und mehr auf Abwege geraten ist. Vielleicht begann das schon 1987 mit Alan Greenspan. Der damalige US-Notenbankchef löschte den Börsencrash im Herbst jenes Jahres mit einer unerhört hohen Portion Liquidität. War das die Geburtsstunde des «Whatever it takes»? Oder vielleicht doch nicht?
Martin Neff – Chefökonom Raiffeisen Genossenschaft
Denn wenige Jahre später trieb Greenspan die USA mit einer übertrieben auf Preisniveaustabilität abzielenden, restriktiven Geldpolitik in eine kleine Rezession. Greenspan wurde trotz allem zur Legende. Man nannte ihn auch den Zins-Eliminator, weil er sich übertrieben gern des Instruments der Tiefzinspolitik bediente. Und Greenspan war wohl auch der mächtigste Notenbanker der Neuzeit. Dazu heisst es: «Greenspan folgte stets nur seinen eigenen Eingebungen und Überzeugungen – und dominierte nicht selten selbst die Politik im Weissen Haus, im US-Kongress und an den internationalen Finanzmärkten.»
Was seine Eingebungen betrifft, laberte er nicht selten irgendetwas vor sich her und gab dies auch unverhohlen zu, etwa wie folgt: «Seit ich Notenbanker geworden bin, habe ich gelernt, in grosser Zusammenhanglosigkeit zu murmeln. Wenn ich Ihnen über Gebühr klar erscheine, müssen Sie falsch verstanden haben, was ich gesagt habe». Wenn man nun bedenkt, wie viele Analysten jeweils auf die Goldwaage legten, was der oberste Notenbankchef von sich liess, wird es schon ein wenig bedenklich. Nur logisch, war der Interpretationsspielraum der Äusserungen ausgesprochen gross, für jeden war so zu sagen stets etwas dabei.
Dem Nachfolger Greenspans, Ben Bernanke, war weniger zum Scherzen zumute. Der erbte von Greenspan das Subprime-Dilemma, das letzterer mit viel zu zaghafter Geldpolitik noch befeuert hatte, was er später auch eingestand. Doch dass damit eine neue Ära eingeläutet würde, war noch nicht absehbar. Erst als sich die Staaten an die Aufräumarbeiten infolge der Finanzkrise machten, wurde deren Ausmass richtig klar. Und da sich etliche Staaten bei den Bankenrettungen übernahmen, mussten schliesslich Notenbanken Staaten retten. Stets mit grösseren Übungen. Milliarden waren gestern, Billionen wurden zur neuen Grössenordnung der Geldpolitik der Federal Reserve Bank oder der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die Zentralbanken blähten ihre Bilanzen mächtig auf und in Europa erweiterte die EZB ihr Mandat im Zuge der Eurokrise gehörig, indem sie die Zinsen der Euro-Peripherieländer mit hohem Einsatz künstlich drückte. Das Tabu der Monetarisierung von Staatsschulden hielt so durch die Hintertür Einzug in die offizielle Geldpolitik. In Japan etwa ist die Notenbank heute der grösste Gläubiger des Staates.
Auch hierzulande hat sich seit dem Subprime-Debakel geldpolitisch einiges geändert. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) musste – so das offizielle Wording – die UBS retten und hat sich dann während der Eurokrise, die ja eigentlich so etwas wie ein Perpetuum mobile geworden ist, mächtig aufgeplustert. Vorübergehend war unsere Zentralbank sogar die mit dem grössten Bilanzsummenwachstum, was dem sinnlosen Kampf gegen die Frankenaufwertung geschuldet war. Doch es gelang der SNB auch nicht, der Frankenaufwertung mittels Negativzinsen Herr zu werden, weshalb sie ihre Bilanz weiter aufblähen musste. Wie wir heute wissen, hat das alles so gut wie nichts gebracht. Denn der Franken blieb ein Fels in der Brandung, die Negativzinsen hingegen heizten den Immobilienmarkt weiter auf und leiteten einen riesigen Umverteilungsmechanismus ein. Von Mietern zu Eigentümern, von Kleinsparern zu (Gross-)Anlegern und von Gläubigern hin zu Schuldnern.
Diese Kollateralschäden wurden stets klein geredet oder als alternativlose Nebeneffekte angesehen. Wie paradox diese Politik doch war, zeigte sich vor allem daran, dass die Heizerin, also die SNB, stets betonte, es sei zu heiss. Man warnte vor einer Immobilienblase, die man gleichzeitig aber selbst mit künstlich tief gehaltenen Zinsen immer weiter aufblies und versuchte, mit kleinen Stellschräubchen wie Kapitalpuffern oder Eigenmittelvorschriften etc., den Markt einigermassen im Zaum zu halten.
Und heute heizen sie wieder. Plötzlich verstummten die Litaneien von wegen überbewertetem Franken und überhitztem Immobilienmarkt, denn die Inflation meldete sich zurück. Dass die Geldpolitik kaum in der Lage sein würde, Lieferengpässe zu entflechten oder den Öl- beziehungsweise Gaspreis zu deckeln, tat dem Aktivismus der Geldpolitik auch hierzulande keinen Abbruch. Um stolze 225 Basispunkte hob die SNB mittlerweile den Leitzins an. Ohne Rücksicht auf Währung oder Finanzmärkte, geschweige denn den Immobilienmarkt. Bei einer Inflationsrate, die nur kurzzeitig über 3% lag, ist das ein monumentales Tempo. Und es ist absehbar, dass übernächste Woche ein weiteres Schrittchen folgen wird, obwohl die Inflation längst nach unten korrigiert hat und Basiseffekte deren Niveau weiter drücken werden.
Doch das Dogma des Lehrbuchs dominiert hier die geldpolitische Agenda und so wird die SNB schon wieder zur Heizerin. Denn die unsägliche Koppelung der Mieten an die Hypothekarzinsen führt dazu, dass die SNB paradoxerweise selbst zum Inflationsbeschleuniger wird, obwohl sie die Inflation eigentlich drücken möchte. Ab jetzt wird die Rechnung relativ einfach, aber auch prekär. Mit jedem weiteren Zinsschritt schafft unsere Zentralbank einen zusätzlichen Inflationsschub von etwa 60 Basispunkten, da sie den Vermietern via Referenzzinssatzsystem das Recht einräumt, die Mieten um gut 3% anzuheben.
Lange warnte unsere oberste Geldhüterin vor Zweitrundeneffekten des Energiepreisschocks und der angespannten Lieferketten. Von denen hat man bisher nur wenige gesehen. Dafür dürften gegen Ende Jahr erste Zweitrundeneffekte sichtbar werden. Nicht solche der gestiegenen Energiepreise oder solche infolge der Lieferkettenproblematik, dafür welche aufgrund der restriktiven Geldpolitik. Die Heizung kühlt eben nun mal nicht. (Raiffeisen/mc/pg)