Der Schlamassel ist angerichtet. Die Schweiz leidet unter einer wachsenden Wohnungsknappheit. Dieser Befund ist unbestritten. Rapide sinkende Angebotsquoten und steil ansteigende Mietpreise sprechen eine überdeutliche Sprache.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen
Diejenigen, die das Problem verniedlichen, machen dafür vielfach die höheren Zinsen und die gestiegenen Baukosten verantwortlich und suggerieren damit, dass wir es nur mit einer temporären Bauflaute zu tun haben. Doch das Problem liegt tiefer. Der Wohnungsbau ist zu kompliziert geworden. Jeder, der selbst einmal als Privatperson gebaut hat, weiss, wie viele finanzielle, zeitliche und mentale Ressourcen bereits ein kleines Bauprojekt verschlingt. Offenbar hat man den Bogen überspannt und die Privaten wollen sich das Bauen nicht mehr antun. Überfordert von der Komplexität, überlassen die Privaten bereits seit vielen Jahren das Feld vermehrt anderen Marktteilnehmern. Noch im Jahr 2001 wurden deutlich über 20 Prozent der Mietwohnungen von Privatpersonen gebaut. Heute sind es weniger als 12 Prozent. Sogar den Bau von Einfamilienhäusern überlassen die Privaten immer mehr professionellen Akteuren. Diese profitieren von ihren Erfahrungen aus anderen Bauprojekten und können dadurch Skaleneffekte und Synergien erzielen.
Auch als Eigentümer von Mietwohnungen ziehen sich die Privaten zurück. Seit 2017 hat sich der Anteil der Mietwohnungen im Besitz von Privatpersonen um über 4 Prozentpunkte auf noch 45 Prozent reduziert. Viele Private sind überfordert, wenn sie die Sanierung einer Mietrenditeliegenschaft an die Hand nehmen müssen, und daher offen für einen Verkauf. Der Rückzug der Privaten blieb lange im Verborgenen, weil in der Negativzinsphase insbesondere Versicherungen und Pensionskassen in die Lücke gesprungen sind und massiv Mietwohnungen erstellt haben. Erst seit die institutionellen Investoren nach der Zinswende ebenfalls weniger Wohnungen bauen, ist das stille Verschwinden der Privaten offensichtlich geworden. Deren Rückzug hätte eigentlich ein Warnsignal sein müssen, wurde aber nicht registriert.
Von gewissen Kreisen wird der wachsende Anteil der institutionellen Investoren beim Besitz von Mietwohnungen stark kritisiert, ohne dass die Frage nach den Motiven dieser Entwicklung gestellt wird. Damit Pensionskassen und Versicherungen kaufen können, müssen die Privaten verkaufen wollen. Unsere Analyse von über einer Million Baugesuchen zeigt, dass die Privaten immer mehr Reissaus nehmen und sich als Bauherren aus dem Wohnungsbau verabschieden. Das sind starke Indizien dafür, dass sich die Privaten nicht mehr als der «best owner» solcher Renditeliegenschaften betrachten und daher in der Tendenz verkaufen. Anstatt die Versicherungen und die Pensionskassen zu tadeln, sollte man sich vielmehr der Ursachen dieser Entwicklung annehmen und erstmal froh sein, dass überhaupt noch jemand baut. Bauen scheint zu kompliziert geworden zu sein. Allein die wachsende Dauer zwischen Baugesuch und Baubewilligung macht die steigende Komplexität ersichtlich.
Je nach Grösse des Bauvorhabens hat sich diese Zeitdauer seit dem Jahr 2001 um 30 bis 74 Prozent erhöht. Die Komplexität wird in erster Linie durch den Zwang zur Verdichtung, die Flut von Regulierungen und den Trend zu grossen Wohnüberbauungen verstärkt. Eine weitere Restriktion ist zudem die im Jahr 2020 verschärfte Regulierung der Hypothekarkreditvergabe, die für Renditeobjekte nicht mehr bloss 10 Prozent Eigenmittel, sondern deren 25 Prozent fordert. Diese Verschärfung ging zulasten derjenigen Bauherren, die stärker auf Fremdmittel angewiesen sind – wozu auch die Privaten zählen.
Wenn es zutrifft, dass eben nicht nur die höheren Zinsen und Baukosten für die schwache Bautätigkeit verantwortlich sind – wie wir schon seit Längerem betonen –, dann wird die Bauflaute nicht enden, wenn sich die Zinsen und die Baupreisteuerung wieder normalisiert haben. Entsprechend besteht dringender Handlungsbedarf, damit wieder mehr Wohnungen gebaut werden. Dazu müssen die Baugesetze vereinfacht, die Regulierung zurückgefahren, die Einspracheflut eingedämmt und das Bauen schlicht wieder attraktiver gemacht werden. Die dafür notwendigen Massnahmen werden zwar angedacht, doch der Prozess verläuft überaus langsam.
Allein in der Stadt Zürich sind aktuell über 3000 Wohnungen durch die Lärmgesetzgebung blockiert. Diese wird derzeit im Parlament behandelt, stösst aber auf den Widerstand gewisser Kreise und es könnte sogar noch das Referendum dagegen ergriffen werden. Ebenfalls von nöten ist eine rechtliche Verankerung des Anrechtes der Bevölkerung auf eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum. Denn immer dann, wenn Gerichte zu entscheiden haben zwischen Denkmalschutz, Heimatschutz, Lärmschutz, Ortsbildschutz usw. und dem Bau von Wohnungen, bleibt regelmässig Letzterer auf der Strecke, weil das Anliegen der breiten Bevölkerung nach bezahlbarem Wohnraum nirgendwo in den Gesetzen verankert ist. (Raiffeisen/mc)