Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Ein gutes neues Jahr?
St. Gallen – Das wünsche ich der Schweizer Wirtschaft. Doch leider sieht es nicht mehr ganz so gut aus wie im ausserordentlich starken Vorjahr. 2019 wird für unsere Volkswirtschaft nicht einfach. Die Gründe dafür habe ich gestern an der Raiffeisen Prognosekonferenz dargelegt. Aktuell zeigt sich die Schweizer Konjunktur noch in sehr guter Verfassung, das Problem ist aber, dass die Weltwirtschaft jüngst an Fahrt verlor.
Das zeigt sich an den von Ökonomen vielbeachteten wichtigen Einkaufsmanagerindizes, also den Unternehmensbefragungen. Fast überall auf der Welt hat sich die Stimmung der Unternehmen in letzter Zeit eingetrübt. In der Regel ist dies ein verlässliches Signal dafür, dass die globale Konjunktur in näherer Zukunft an Schwung einbüsst. Besonders deutlich zeigt sich die Verschlechterung in Italien, wo die Industrieunternehmen schon seit letzten Herbst einen Rückgang der Geschäftsaktivität melden. Wird Italiens Wirtschaft, wie von den meisten Prognostikern aktuell erwartet, dieses Jahr wirklich gleich stark wachsen wie 2018? Das halte ich für wenig wahrscheinlich. In Frankreich belasten die Massendemonstrationen der letzten Wochen die Stimmung und auch aus Deutschland, dem sonst so zuverlässigen Wachstumsmotor Europas kommen mittlerweile schlechtere Konjunkturdaten. In der Eurozone tut sich etwas, ganz klar. Wieso hat die Stimmung in den letzten Monaten gedreht? Der hartnäckig schwelende Handelskonflikt, der immer wahrscheinlich werdende „harte“ Brexit und dann noch die innenpolitischen Querelen in Italien, Frankreich und zuletzt auch in den USA (Stichwort „Shutdown“) schlagen auf die Laune der Investoren, ebenso die Straffung der Zinsen in den USA.
Nicht so schlecht, aber auch nicht gut
Was bedeutet das nun für die Schweiz? Aufgrund des schlechteren Exportklimas erwarten wir 2019 mit 1.2% ein nur noch halb so grosses Wirtschaftswachstum. Dieses gilt es nun aber auch richtig einzuordnen, denn die 1.2% erscheinen nur auf den ersten Blick dürftig. Im 2018 hat das Schweizer BIP zwar um voraussichtlich 2.5% zugelegt, doch dieses Wachstum war aussergewöhnlich stark und sollte nicht als Normalfall angesehen werden. Es ist per se nicht besorgniserregend, dass eine reiche, gesättigte Volkswirtschaft, deren Bevölkerungswachstum sich abschwächt, um rund 1% pro Jahr wächst. Zudem haben Sondereffekte, die jetzt wegfallen, das Wachstum 2018 begünstigt. Der Wert von 1.2% ist daher nicht spektakulär; entsprechend hat unsere Wachstumsprognose bei der Pressekonferenz und den Medienvertretern vor Ort keine grossen Wellen geschlagen, auch wenn wir am unteren Rand der Prognosen liegen. Das neue Jahr wird trotzdem nicht leicht.
Die Wachstumsprognose an sich stand nicht unbedingt im Fokus der Medienvertreter, dafür aber unser Ausblick für die Finanzmärkte und unsere Eurokursprognose. Der letzte Dezember war an den Aktienmärkten der schlechteste Jahresabschluss seit Jahrzehnten und das Gesamtjahr 2018 war so negativ wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Das muss lange nicht bedeuten, dass die Märkte eine Rezession vorwegnehmen. Denn die Geschichte zeigt, dass die Börsen des Öfteren daneben liegen und zu Übertreibungen neigen.
Bei all den Unsicherheitsfaktoren, die sich gerade zusammenbrauen, ist es jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass die Volatilität an den Finanzmärkten rasch abklingt. Und je länger die Finanzmärkte schwächeln, desto mehr wird auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen und desto länger bleibt auch der Schweizer Franken unter Aufwertungsdruck. Ich glaube wir werden daher einen Eurokurs sehen, der eher bei 1.05 oder 1.10 liegt anstatt bei 1.15 oder 1.20, wie von vielen anderen Banken erwartet.
Das Klumpenrisiko
Da gibt es noch einige andere Schwächen, welche die Schweizer Wirtschaft aufweist, die immense Abhängigkeit von nur einer Branche zum Beispiel. Der Handelsbilanzüberschuss des Pharmasektors beträgt unglaublich hohe knapp 50 Milliarden Franken. Ohne diesen Überschuss müsste die als Exportland bekannte Schweiz mit einem zweistelligen Milliardenminus in der Handelsbilanz leben. Die Pharmaunternehmen können natürlich nichts dafür, ihr hoher Exportüberschuss ist aber mit ein Grund für den starken Franken.
Traditionelle Industriebranchen wiederum wie der Maschinenbau oder die Metallverarbeitung kommen währendessen kaum vom Fleck. Der Konjunkturaufschwung der letzten zwei Jahre hat ein wenig geholfen. Abgesehen von der Pharmaindustrie liegen die Exporte der meisten Branchen aber noch deutlich unter dem Niveau vor dem Frankenschock und dem der Finanzkrise. Dass Pharma alle überragt und die meisten anderen Branchen wenn überhaupt nur leicht wachsen, wird sich auch 2019 nicht ändern.
Gefangen im selbst auferlegten Dilemma
Was ebenfalls gleich bleibt, ist das Dilemma der Schweizerischen Nationalbank. Die SNB hat heute einen Jahresverlust von 15 Milliarden CHF gemeldet. Das ist nur eine der Nebenwirkungen der Geldpolitik der letzten Jahre. Die Verzerrungen, die durch die Negativzinsen entstehen, sind schmerzhaft, ihr Nutzen jedoch umstritten. Eine Wende scheint nicht in Sicht.
Nicht, weil ich glaube, dass der Franken bei einer Zinserhöhung zwangsläufig stark aufwerten würde. Nein, das ist keinesfalls in Stein gemeisselt, wie der Blick in die Geschichte zeigt. Aber erschreckenderweise schliesst sich das Fenster für einen Zinsschritt in 2019 langsam, zumindest wird die Nationalbank dies so wahrnehmen, denn die Konjunktur in Europa kühlt sich ab und damit wird die Europäische Zentralbank (EZB) noch vorsichtiger als bisher agieren. Umso mehr als eine Konsolidierung der Staatsfinanzen in der Eurozone in immer weitere Ferne rückt. Und dass die Schweizerische Nationalbank vor der EZB eine Zinserhöhung wagt, halte ich doch für wenig wahrscheinlich.
Der Stillstand bei den Zinsen mag gut für die Aktienmärkte und Immobilienanleger sein, für die Sparer und Rentenbeitragszahler ist das nach über vier Jahren Krisenmodus mit Negativzinsen aber nur ein schwacher Trost. Und je länger dieses Negativzinsumfeld anhält, desto stärker werden die Verwerfungen. Ein gutes neues Jahr also? Das wünscht man sich gern, ohne viel zu denken. Aber 2019 ist es ein grosser Wunsch.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen