Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Erosion von Schuld und Sparen

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Erosion von Schuld und Sparen
Martin Neff, ehemaliger Raiffeisen-Chefökonom. (Foto: zvg)

Mein achtzehnter Geburtstag war in mehrfacher Hinsicht ein bedeutendes Ereignis. Ich war endlich volljährig. Ausgestattet mit allen Rechten und Pflichten eines durchschnittlichen mündigen Staatsbürgers. Vor allem aber durfte ich jetzt Autofahren, in meiner Jugend der Traum eines jeden männlichen Jungen schlechthin. Nur zwischen dürfen und können lag eine unüberwindliche Hürde, namentlich die der Finanzen.

Ich konnte mir als Schüler ohne Einkünfte ausser Taschengeld schlichtweg kein Auto leisten, geschweige denn unterhalten. Und so bettelte ich meine Freunde und Bekannten an, die im Besitz eines fahrbaren Untersatzes waren, mich doch bitte ans Steuer zu lassen, wenn ein Ausfährtchen anstand. Ein Mitschüler von mir hatte ebenfalls bereits ein Auto und zwar auf Kredit, den er mit bescheidenen Einnahmen aus Gelegenheitsjobs knapp bedienen konnte. Wiederholt stand ihm das Wasser bis zum Hals und die Bank sass ihm auch stets im Nacken, aber er hatte ein Auto.

So sehr ich mir auch eins wünschte, den Stress war mir mein Jugendtraum aber doch nicht wert. Schulden zu machen, war in meiner Familie eher verpönt. Wer sich etwas leisten wolle, so hiess es bei mir zu Hause, der muss sparen. Selbst heute noch erzeugt mir der Gedanke, Schulden zu haben, Unbehagen. So wuchs ich auf.

Zum achtzehnten Geburtstag des Ältesten in der Familie nebenan gab es für diesen einen Porsche Macan. Den hat der Vater der nicht mal so elitären Familie für den Sprössling geleast, mit der Bemerkung wer sich heute nicht verschulde, sei selber schuld. Der gesamte Fuhrpark der Familie sei kreditfinanziert, sein eigener Porsche, die Harley und der Mini seiner Frau und das alles zu schier unschlagbaren Konditionen. Und zurückzahlen müsse er den Kredit eigentlich gar nie, da sich immer eine Bank fände, welche diesen von einer anderen Bank ablöse. Er hat sicherlich ein bisschen geblufft, aber es hat viel Wahres an seiner Geschichte.

Noch kriegt man Kredite zwar nicht geschenkt, aber leichter als heute ist man in der Geschichte der Menschheit wahrscheinlich noch nie an Geld gekommen. Und da dieser Umstand längst schon nicht mehr ein Ausnahmezustand ist, gewöhnt man sich allmählich daran. Die „Tugend“ des Sparens und die „Untugend“ des Schuldenmachens wurden förmlich weichgespült von einer riesigen und nicht mehr abnehmen wollenden Welle von Liquidität. Wer heute in der Schweiz 18 Jahre alt wird, kennt Langfristzinsen von drei Prozent höchstens aus Kindheitserzählungen.

Denn er war knapp sechs Jahre alt, als das zuletzt – konkret in den Jahren 2007/2008 – der Fall war. Nulloder Negativzinsen sind dagegen für jeden Teenager heute ein Begriff. Sparen ist für ihn hingegen fast schon ein Fremdwort, sicherlich unattraktiv und sowieso gar nicht nötig, wenn man fast umsonst schon heute konsumieren kann, was man sich eigentlich erst morgen leisten könnte. So wächst der Teenager heute auf.

Die Geldpolitik hat nicht nur die Märkte weichgespült, die heute völlig abhängig vom billigen Geld sind. Sie verändert auch unsere Einstellung zu Geld, Sparen und Schulden. Während die Älteren unter uns nur noch verständnislos den Kopf schütteln können, weil sie nicht verstehen, dass Schuldenmachen heute salonfähig ist, Sparen hingegen ein Auslaufmodell, ist für die Jungen die Nullzinswelt die einzig bekannte Realität, weil sie es gar nie anders erlebt haben. Sich zu verschulden, ist für sie daher völlig normal und ja auch günstig. Hinzu kommt, dass Kredite offenbar nicht mehr dafür vorgesehen sind, zurückgezahlt zu werden, was uns die Staaten ungeniert vorleben. Da können „wir Alten“ noch so viel warnen, es nützt alles nichts, wenn die Regierungen der Industrieländer den „Jungen“ vormachen, wie man alles andere als haushälterisch wirtschaften und trotzdem Kredite aufnehmen kann und dafür erst noch kaum Zinsen zahlen muss.

Jede kommende Generation erbt in Zukunft einen immer grösser werdenden Schuldenberg und keinen kümmert das mehr gross. Dank immer mehr Schulden werden alle Probleme früher oder später weggewischt. Man denke nur an Griechenland. Aktuell kann Griechenland Geld für zehn Jahre zu knapp 1.4% aufnehmen, das ist sogar weniger als Italien. Hiess es nicht vor wenigen Jahren noch, Griechenland sei pleite? Und jetzt erhält das Land Kredite zu Konditionen, von welchen früher selbst die besten Schuldner nicht einmal zu träumen wagten. Letztere kriegen mittlerweile sogar Zinsen, wenn sie Kredite aufnehmen. Die neue, sogenannt unkonventionelle Geldpolitik hat ihren Namen wahrlich verdient. Sie bricht mit alten Konventionen und schafft neue Realitäten.

Eine davon lautet: Kredite müssen nicht zurückgezahlt werden. Im Notfall übernimmt sie eine Notenbank, falls sie faul werden. Diese Weisheit wird den Teenager der Zukunft heute in die Wiege gelegt. Schuld und Ersparnis in einem völlig anderen Licht.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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