Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Es kann nur einen geben

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Es kann nur einen geben
Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Nein, damit ist nicht der Chefökonom der Raiffeisen Gruppe gemeint. Die Rede ist von etwas, das der ganzen Schweiz heilig ist. Dem Schweizer Bundesfeiertag. So heilig, dass das arbeitsame Schweizer Volk, das von einer sechsten Ferienwoche nichts wissen wollte, vor rund 30 Jahren den 1. August zum arbeitsfreien Tag erklärt hat. Was für ein Beweis der Wertschätzung! An diesem Tag wird des Bundesbriefs gedacht, den die ersten Eidgenossen 1291 verfasst hatten, um sich gegenseitigen Beistand zuzusichern.

von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen

Der Brief war auf Anfang August datiert. Gewisse Kreise wollen jedoch dem Bundesfeiertag an den Kragen, indem sie ein zweites Datum ins Spiel bringen. Um an die Ereignisse 1848 zu erinnern, als die erste Bundesverfassung der Schweiz entstand und damit der moderne Bundesstaat aus der Taufe gehoben wurde, hat der Nationalrat unlängst angeregt, einen zweiten Bundesfeiertag am 12. September einzuführen. Sozusagen ein Co-Bundesfeiertag. Doch allein schon der Vorschlag, dem 1. August einen zweiten Bundesfeiertag an die Seite zu stellen, anstatt diesen gänzlich zu ersetzen, entlarvte die Schwäche des Vorhabens. Die Befürworter schienen in der Tat der Zugkraft ihres Vorschlages nicht allzu sehr zu trauen, sonst hätten sie nicht für die Koexistenz zweier Bundesfeiertage plädiert, sondern einen kompletten Ersatz gefordert.

Wie müssten wir uns das vorstellen? Sollen wir in Zukunft den Geburtstag der Schweiz zwei Mal feiern? Zwei Mal im Jahr die Schweizerflagge hissen, der Rede eines Mitglieds des Bundesrates lauschen und einem Höhenfeuer beiwohnen? Und an welchem Datum zünden wir das Feuerwerk? Na ja, letzteres Problem wird sich womöglich von selbst lösen, wenn sich die Initianten des Volksbegehrens «eine Schweiz ohne Feuerwerksknallerei» durchsetzen. Die Initiative scheint gemäss jüngsten Berichten die nötige Zahl an Unterschriften wohl beibringen zu können. Als Vollblutökonom hätte ich grundsätzlich nichts einzuwenden gegen einen Wettbewerb um den Bundesfeiertag.

Möge der zugkräftigere Feiertag gewinnen, könnte man gelassen argumentieren. Doch mit dieser Logik müssten wir konsequenterweise auch Weihnachten und andere Feiertage infrage stellen bzw. verdoppeln. Angesichts eines solchen Wildwuchses von Feiertagen wäre es mit der Besinnlichkeit wohl vorbei. Schwerer wiegen würden jedoch die volkswirtschaftlichen Kosten. Wie das meiste im Leben wären neue Feiertage nicht gratis. Allein der zusätzliche Bundesfeiertag würde die Wertschöpfung in der Schweiz um rund 600 Millionen Franken verringern, wie unlängst ein Medienverlag detailliert ausgerechnet hat.

Doch die Kosten sind nur das eine. Widerspiegelt diese Forderung nicht in gewisser Weise die Beliebigkeit der modernen Wertelandschaft? Alles wird infrage gestellt, sogar Heiligtümer. Und öffnet das nicht die Büchse der Pandora? Genauso gut könnten wir auch über eine alternative Schweizerfahne nachdenken. Gut möglich, dass das weisse Kreuz gewisse Minderheiten in der Schweiz nicht repräsentiert und damit die Forderung nach dessen Abschaffung nicht lange auf sich warten liesse. Dabei sind derartige Gedenktage, Symbole und Traditionen von hohem Wert.

Hier können wir von den Briten einiges lernen, denen es nie in den Sinn käme, an der Bedeutung solcher Traditionen zu rütteln. Gerade dank der Briten eröffnet sich die sinnstiftende Kraft solcher Traditionen. Kaum ein Volk in Europa hat so viel Rückgrat wie die Briten. Mitunter dank ihnen ist Europa ein freier Kontinent geblieben und heute unterstützen sie trotz schwieriger ökonomischer Situation die schicksalsgeprüften Ukrainer in deren Existenzkampf vorbehaltlos.

Unsere Vorfahren waren bisher weise genug, nicht das Jahr 1848 zum Feiertag zu küren. Der Sonderbundskrieg von 1847 hatte nämlich grosse Wunden aufgerissen. Hier die liberal-radikalen Kantone, dort ihre katholisch-konservativen Widersacher. Nach der eiligst aufgesetzten Verfassung wurden 1848 Wahlen durchgepeitscht, die alles andere als fair verlaufen sind. Mit der Zeit gelang es jedoch, die Kluft zwischen den katholisch geprägten und den reformierten Kantonen zu heilen – und sich gut 40 Jahre später mit dem 1. August 1291 auf einen gemeinsamen Nationalfeiertag zu einigen, hinter dem auch die unterlegenen katholisch-konservativen Kreise stehen konnten. Was für eine Schnapsidee also, mit dem neuen Feiertag in Zukunft einen Bundesfeiertag für die progressive und einen für die konservative Schweiz zu haben. Ziel des

Bundesfeiertages soll sein, die Nation zu einen und nicht zu trennen. Die Idee wurde dann auch unspektakulär versenkt. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats empfahl die Motion fast einstimmig – mit zehn zu einer Stimme – zur Ablehnung. Am 27. September hat der Ständerat in der Folge die Motion des Berner Mitte-Nationalrats Heinz Siegenthaler für einen alternativen Bundesfeiertag oppositionslos beerdigt. Die Schweiz wird in Zukunft weiterhin am 1. August vereint der Geburtsstunde der Schweiz gedenken. Und denjenigen, die jetzt enttäuscht sind, weiterhin nur einen Bundesfeiertag zu haben, sei gesagt: Nicht traurig sein, die Briten kennen gar keinen Nationalfeiertag. (Raiffeisen/mc)

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