Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Flauschig
Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – «Griechische Wirtschaftskrise weitet sich aus» war am Montag im Wirtschaftsteil der NZZ auf der Titelseite zu lesen. Das kommt wahrscheinlich für wenige überraschend, das Land steht bekanntlich schon länger am Abgrund. Alarmierend ist inzwischen aber, wie viele Unternehmen dem Land am liebsten den Rücken zuwenden würden oder dies sogar bereits getan haben.
Wenn es zu einem weiteren Verlust von wertvollem Humankapital kommt, wenn sich Technologiefirmen nach neuen Standorten im Ausland umsehen und die Zahl der Firmengründungen rapide sinkt, derweil die Zahl der Konkurse rapide steigt, dann verheisst das nichts Gutes für die Zukunft. Notabene nicht die nähere Zukunft, denn ob die Wirtschaft nun um 0,5 oder 1% schrumpft in diesem Jahr ist nicht sehr entscheidend. Es geht aber um die langfristigen Perspektiven des Landes, auf deren Aufhellung alle hoffen und zunehmend bangen, die den Griechen so viel Geld geliehen haben.
Thema Nummer eins
An der Frühlingstagung des IWF in Washington war Griechenland auch ein Thema. Etwa war seitens des Chefökonomen des IWF von Schuldenerleichterung die Rede, ohne dass dieser das Wort Schuldenschnitt bemühte. Fantasievoll, aber wenig realistisch. Griechenland kann man gar nicht mehr weiter entgegenkommen. Bis 2022 zahlen die Griechen weder Schulden zurück noch Zinsen für ihre Kredite. Das schädigt die Bonität des Landes und damit die Grundlage, dass langfristig in Griechenland wieder wirtschaftliche Prosperität einkehren kann. Die IWF-Chefin Christine Lagarde schien jedenfalls wenig geneigt, sich wieder an einem neuen griechischen Rettungsprogramm zu beteiligen. Der IWF bleibt da ganz seiner Linie treu, sich finanziell mit immer kleineren Tranchen an offenbar kaum Wirkung entfaltenden Hilfsprogrammen zu beteiligen. Auch Obama dürfte bei seinem Besuch in Deutschland kommenden Sonntag Griechenland zum Thema machen.
Am Rande der IWF-Tagung fand offenbar auch ein Treffen des US-Finanzministers Jack Lee mit seinen Kollegen Wolfgang Schäuble aus Deutschland und Euklid Tsakalotos aus Griechenland statt. Und sicherlich ging Schäuble zum diskret geheimen Abendessen mit EZB-Präsident Mario Draghi nicht nur um zu beschwichtigen, weil Draghi jüngst so heftiger Gegenwind aus Deutschland wegen seiner Minuszinspolitik entgegen blies. Ganz sicher war auch an dem Abend Griechenland ein Thema.
Schuldenschnitt?
Für Griechenland ist es aktuell nicht wichtig, woher, sondern nur dass das Geld fliesst. Könnte man wählen, ohnehin lieber aus Brüssel denn aus Washington, denn der IWF macht höhere Auflagen und kontrolliert auch vergleichbar effizient, ob Massnahmen umgesetzt werden. Bedingungslosigkeit ist keine Basis für langfristige Geschäfte mit dem IWF, aber noch kann Griechenland auf die Hilfe Europas zählen. Man darf schliesslich nicht aus dem Auge verlieren, dass Griechenland gerade in der Flüchtlingsfrage eine elementare Rolle spielt und wer weiss, vielleicht sogar mal ausspielt. Die Regierung Tsipras scheint vordergründig – wie gewohnt – willens, neue Sparauflagen zu verabschieden. Doch das könnte angesichts der schleppenden Konjunktur sehr schwierig werden. Der Befreiungsschlag für Griechenland kann nur ein Schuldenschnitt sein, ob man das nun gut heissen mag oder nicht. Alles andere ist die «flauschige Zukunft».
«Flauschige Zukunft»
In der flauschigen Zukunft (1) wendet sich alles zum Guten. Alles geschieht behäbig, aber bedacht, streng nach Plan. Griechenland wird 2018 einen Primärüberschuss von 3.5% des Bruttoinlandproduktes erzielen und 2022 seine Kredite wieder bedienen und teilweise sogar zurückzahlen. Doch richtig glaubt da niemand mehr dran. Zumal sich ausser wenigen löblichen Ausnahmen kein EU-Mitglied auf fiskalischem Konsolidierungskurs befindet. Schuldenabbau ist einer flauschigen Zukunft im Weg, hat man doch dank immer mehr Schulden in der Vergangenheit stets flauschiges Wachstum generiert. Inzwischen steigen aber die Schulden, ohne dass daraus Wachstum resultiert, irgendwas ist mit den Vorzeichen schief.
Drum wird uns Mario Draghi heute wieder erklären, dass es zumindest denkbar ist, durch Null oder eine negative Zahl zu dividieren. Für eine flauschige Zukunft. Mit umgekehrten Vorzeichen.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen
1 «Die Zukunft wird flauschig»: Titel der jüngsten Ausgabe des GDI Impuls, Nummer 1,2016, aber dort in völlig anderem Zusammenhang