Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Gespenster

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Mit dem ziemlich gewagten Titel „Comeback der Teuerung“ hat die NZZ am Sonntag thematisch nachgelegt, worüber bereits zuvor im Wochenblatt der NZZ intensiv diskutiert wurde: Die Inflation melde sich zurück, ja das Gespenst stehe schon vor der Türe, so zumindest das vermeintlich renommierte Medienecho. Dazu zunächst die Fakten. Im September hat die Inflationsrate gegenüber dem Vormonat um 0.1% zugenommen, also kaum spürbar und was viel entscheidender ist: Im Vergleich zum September 2015 haben die Preise nochmals um 0.2% nachgegeben, von Inflation kann folglich gar nicht die Rede sein. Dass aber die meisten Konjunkturauguren 2017 wieder Inflationsraten von über Null sehen, animiert bereits wieder Gespenster an die Wand zu malen.

Da nun mal viele heute nur noch 20 Minuten oder Schlagzeilen lesen, beschäftigen sie sich seit dem Wochenende mit einem Gespenst mehr. Dabei müsste man doch eigentlich entwarnen und sich sogar freuen über eine Preisniveaustabilität, wie wir sie historisch noch nie erlebt haben. Doch das Gegenteil ist der Fall und Schuld daran trägt vor allem auch das krampfhafte Festhalten an einer Geldpolitik, die den Beweis schuldig geblieben ist, die Inflation wirklich dermassen fein steuern zu können, wie das die Stellen hinter dem Komma immer suggerieren.

Eben erst hat die Bank of Japan einmal mehr ihr Inflationsziel von 2% in die fernere Zukunft verschoben und Japan ist da überhaupt kein Einzelfall. Verfolgt man etwa die Inflationsprognosen der SNB, lässt sich ebenfalls feststellen, dass die jeweilige Prognose nie eintraf und laufend vorwärts gerollt wurde. Und die EZB schliesslich reagierte völlig übertrieben auf eine eigens heraufbeschworene Gefahr vor einer Deflation, die sich nie einstellte. Bösartig war sie in keiner Phase. Und einmal im Ernst und das hat nichts mit dem Einkommen zu tun: Ob die Inflationsrate nun bei plus oder minus 1% liegt, macht das wirklich so einen frappanten Unterschied, dass man dermassen Aufhebens darum machen muss?

Ältere Generationen, die noch Inflationsraten von 6% oder sogar 10% erlebt haben, können wahrscheinlich nur den Kopf darüber schütteln. Will heissen, im Grunde haben wir die Inflation im Griff. Die Rate ist nicht nur tiefer als früher, sondern weist auch einen klaren langfristigen Trend nach unten auf. Im Krieg 15%, in der Erdölkrise 10%, im Boom Ende der Achtziger knapp 6% und im letzten Wirtschaftsboom vor dem Lehmandebakel 3%. Die Spitzenraten lagen jeweils tiefer.

Hyperinflation oder gar keine?
Inflation ist vor allem ein Thema für die Finanzmärkte, die jeden minimalen Wandel der Inflationserwartungen in die Zinskurve einpreisen. Und da alle an den Märkten auf die berühmte, längst überfällige Zinswende warten, machen eben plus oder minus 0.2% schon einiges aus. Für die Realwirtschaft darf das aber kein Thema sein, das den Alltag dominiert, womit ich mich als Anhänger der Hypothese oute, dass die (schädliche) Inflation im klassischen Sinne besiegt ist. Wie schon Milton Friedman glauben heute aber auch noch sehr viele Ökonomen, in Europa eher als im angelsächsischen Raum, Inflation sei ein rein monetäres Phänomen. Es gibt darunter auch Vertreter, die vor einer extremen latenten Inflationsgefahr ausgehen. Das Wort «Hyperinflation» fiel auch schon an einer Tagung. Leidig, darüber zu diskutieren, ob die Inflation zumindest in den hochentwickelten Industrienationen wirklich besiegt ist. In zehn Jahren wissen wir es alle.

Index nur Durchschnitt
In der Schweiz drücken derweil eine starke Währung, die Demographie und die Produktivität auf die Preise. Wenn man aber die Einzelpositionen des Landesindex der Konsumentenpreise betrachtet, gibt es in den wichtigsten Gruppen der Waren und Dienstleistungen, die zu dessen Erhebung erfasst werden, seit Jahren keine nennenswerten Ausreisser. Waren früher noch die Mieten preistreibend, wird die Inflationsrate heute vor allem durch die Erdölprodukte dominiert, deren Preisentwicklung sich wegen der drastischen Ausreisser in den letzten zehn Jahren – trotz niedrigem Gewicht im Warenkorb – auf den Gesamtindex sichtbar niederschlägt. Was wirklich laufend oder eher teuer wird, Krankenkassenprämien oder Steuern, wird hingegen nicht in die Inflationsrate eingerechnet.

Was wir messen, spiegelt also nicht zwingend wieder, was wir konsumieren. Und selbst wenn Grossverteiler und andere Retailer dem Bundesamt für Statistik monatlich ihre Produktpreise melden, wird kein statistisches Verfahren in der Lage sein, genau festzustellen, ob wir nur das ordentliche oder ein preisreduziertes Produkt erwerben. Ich sehe jedenfalls in fast allen Läden nur noch Aktionen aller Art, stets verbunden mit Schleuderpreisen. Geiz ist geil, ist mit Ikea, Lidl und Co. auch in der Schweiz salonfähig geworden. Und wer wirklich Geld hat, gibt einen immer geringeren Teil davon für Güter oder Dienste aus, bei denen der Preis eine Rolle spielt. Exakte Messungen sind fast unmöglich. Wer kauft heute noch ein Handy? Ist Uber im Index berücksichtigt? Wie fliesst die frisch renovierte Wohnung, die im Preis nicht aufschlägt im Vergleich zu der die aufschlägt, in die Berechnungen ein? Und doch ermittelt der Landesindex der Konsumentenpreise einen vielbeachteten Durchschnitt, an dem so viel – auch politisch – hängt. Ein Durchschnitt durchschnittlicher Qualität, wenn man ihn etwas genauer betrachtet.

Hochofen auf Maximum
Die wahre Teuerung heute ist zwar immer noch ein monetäres Phänomen, aber sie strömt nicht mehr in die Realwirtschaft, sondern ergiesst sich in eine noch nie dagewesene Assetpreisblase. Nichts ist mehr günstig an den Finanzmärkten. Festverzinsliche Papiere sind historisch höchstbewertet, Aktien notieren ebenfalls am oberen Ende der Preisskala – auch nach der aktuellen Korrektur. Und in Immobilien zu investieren, scheint fast alternativlos, weshalb inzwischen auch an den mittelattraktiven Lagen exorbitante Preise verlangt werden und institutionelle Investoren immer tiefere Renditen in Kauf nehmen. Das monetäre Phänomen entpuppt sich folglich eher als Hochofen der Finanzmärkte statt als Wachstumsbeschleuniger einer demographisch mehr und mehr gesättigten Realwirtschaft. Wie das endet, haben wir in den letzten fast drei Jahrzehnten wiederholt gesehen, in Crashs. Man kann fast darauf wetten: vor der nächsten Inflation kommt erst einmal der Crash. Machen sie sich also keine Sorge wegen der Inflation.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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