Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz
Das Verfolgen internationaler Nachrichten in den Medien kann deprimierend sein – besonders in letzter Zeit. Die Welt scheint aus den Fugen zu sein. Kein Wunder, dass vor allem jüngere Menschen immer weniger Tagesmedien konsumieren. In den meisten Medien überwiegen Nachrichten mit negativem Fokus, da diese mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das menschliche Gehirn reagiert nachweislich stärker auf negative Nachrichten, ein Phänomen, das in der Wissenschaft als «Negativitätsverzerrung» bekannt ist. Dadurch wird die Gemütslage vieler Menschen unnötig stark belastet, was sich auch auf ihr Konsumverhalten und letztlich auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken kann. Die Psychologie spielt bekanntlich bei der Konjunkturentwicklung eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Was können wir dagegen tun? Nun, wir sollten weniger schlechte Nachrichten und dafür vermehrt konstruktive Neuigkeiten konsumieren und weitererzählen. Denn es gibt auch viele erfreuliche Entwicklungen. Solchen widmet sich zum Beispiel die App «Good News». Diese kostenlose App sammelt täglich die besten Nachrichten und verbreitet diese auf verschiedenen Kanälen. Die Idee, vermehrt Positives zu berichten, ist gut und ich möchte dies hin und wieder auch in meiner Kolumne umsetzen.
Heute werde ich von anstehenden Kaufkraftgewinnen in der Schweiz berichten. Die Kaufkraft wird durch die nominale Lohnentwicklung abzüglich der Inflation bestimmt. Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) Ende September ihre Inflationsprognosen vorstellte, war das ein guter Tag. Die SNB senkte ihre Inflationsprognose über den ganzen Prognosehorizont – zum Teil sogar erheblich. Für das laufende Jahr erwartet sie im Mittel nur noch eine Inflation von 1,2 Prozent. Im nächsten Jahr dürfte die Inflation sogar auf 0,6 Prozent sinken und auch im Jahr 2026 mit 0,7 Prozent niedrig bleiben. Unsere eigenen Modelle kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Für ein gegebenes Lohnwachstum bedeutet das höhere Reallohngewinne.
Laut der jährlichen Lohnumfrage der UBS planten die 389 befragten Schweizer Unternehmen für 2024 ihre Löhne im Schnitt um 1,9 Prozent zu erhöhen. Sollten die Firmen ihre Pläne entsprechend umgesetzt haben, würde im Licht der neuen Inflationsprognosen ein Reallohnplus von 0,7 Prozent für das laufende Jahr resultieren. Die Kaufkraftverluste der Jahre 2022 und 2023 wären damit zwar noch längst nicht ausgeglichen, aber der unliebsame Trend wäre damit Vergangenheit. Berücksichtigt man allerdings die massive Erhöhung der Krankenkassenprämien für 2024, die die Einkommen im Schnitt um 0,8 Prozent belastet haben, ergibt sich trotz der deutlich niedrigeren Teuerung kein Reallohnzuwachs mehr.
Dies dürfte sich jedoch spätestens nächstes Jahr ändern. Laut der jüngsten vierteljährlichen Lohnumfrage der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) erwarten die Unternehmen für 2025 ein nominales Lohnwachstum von 1,6 Prozent. Sollte die Inflation wie erwartet weiter sinken, dürfte nächstes Jahr ein Reallohnplus von 1 Prozent resultieren. Ein Kaufkraftgewinn würde auch dann noch Bestand haben, wenn die erneut stark steigenden Krankenkassenprämien abgezogen werden.
Und es gibt noch mehr gute News. Die Reallohnlücke, die sich in den letzten Jahren aufgetan hat, ist kleiner als von offizieller Seite gemessen. Der Lohnindex des Bundesamtes für Statistik, der üblicherweise zur Berechnung der Reallohnentwicklung verwendet wird, wies in den letzten Jahren eine unnatürlich tiefe Entwicklung auf. 2021 soll die Lohnsumme sogar gesunken sein. Eine Entwicklung, die Arbeitsmarktexperten als sehr unwahrscheinlich taxieren. Alternative Statistiken des BFS über Lohnabschlüsse in Gesamtarbeitsverträgen zeigen ein merklich höheres
Lohnwachstum. Die Lohnangaben für den BFS-Lohnindex stammen aus Unfallmeldungen der 22 Schweizer Unfallversicherer. Während der Corona-Pandemie veränderte sich jedoch die Struktur der Unfälle erheblich. Es gab beispielsweise viel weniger Unfälle von Kontaktsportarten wie Fussball. Dadurch war die Vergleichbarkeit der Daten nicht mehr gegeben. Dies könnte der Grund für das zu niedrig ausgewiesene Lohnwachstum sein. Verwendet man anstelle des BFS-Lohnindex die KOF-Umfragen, reduziert sich die Reallohnlücke 2021–2023 von –3,1 Prozent auf –0,6 Prozent.
Gut möglich, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Zu berücksichtigen ist allerdings noch, dass diese Indizes nur die Lohnentwicklung innerhalb der einzelnen Branchen erfassen. Wenn ein Angestellter oder eine Angestellte die Branche wechselt und in der Regel mehr verdient, wird dies in der offi- ziellen Statistik nicht ausgewiesen. Die Reallohnlücke dürfte demnach in der Praxis deutlich kleiner ausgefallen sein. Das erklärt auch das solide Konsumverhalten in den letzten Jahren, welches fast nicht zu einem Reallohnverlust von über 3 Prozent gepasst hätte. Auch das Paradoxon, dass Unternehmen trotz Fachkräftemangels in den letzten Jahren real keine höheren Löhne gezahlt haben, könnte damit zumindest teilweise entzaubert werden.
Mit dem vermehrten Konsumieren von «Good News» fühlt man sich also weniger arm, depressiv oder gestresst. Übrigens: «Good News» heisst auch der zu meiner Jugendzeit gegründete Konzertveranstalter, der sich zum Schweizer Marktführer entwickelt hat. Ein weiteres Rezept gegen depressive Stimmung: Gehen Sie wieder mal an ein Konzert und singen Sie mit. Sie werden sehen, das tut Ihrer Stimmung gut!