Es war mal vorübergehend ruhig um Greta, aber am Mittwoch war sie erneut in den Schlagzeilen. Der Nordische Rat, der Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und Finnland umfasst, wollte die schwedische Umweltaktivistin mit seinem Umweltpreis ehren, aber die lehnte postwendend ab, mit der Begründung, die ich hier etwas vereinfacht zusammenfasse: Taten statt Worte! So ganz Unrecht hat sie damit nicht. Den Preis abzulehnen ist aus ihrer Sicht daher nur konsequent, denn die nordischen Länder sind auch nur oberflächlich betrachtet besser als andere, wenn man z.B. den sogenannten ökologischen Fussabdruck betrachtet.
Ich habe mir neulich überlegt, wie lange das Wort nachhaltig eigentlich schon zu meinem Sprachgebrauch gehört und festgestellt, dass dies nun schon gut drei Dekaden der Fall ist. Ich benutze das Wort selten, weil ich finde, dass es viel zu oft verwendet, aber nichts damit gesagt wird. Nachhaltigkeit ist zu einem Modewort, zu einem Slogan verkommen. Die ersten Nachhaltigkeitsberichte grösserer Konzerne, das weiss ich noch gut, wurden auf Hochglanzpapier gedruckt. Das passte damals schon irgendwie nicht zusammen. Auch die Definition von nachhaltig im Duden lässt einiges offen. Dort steht „sich für länger auswirkend“. Im Zusammenhang mit Ökologie heisst es im Duden „nur in dem Masse, wie die Natur es verträgt“.
Dummerweise gehen die Meinungen darüber weit auseinander, wieviel die Natur verträgt. Doch das ist im Grunde Wortklauberei. Denn intuitiv haben wir alle zumindest eine leise Ahnung, was damit gemeint ist. Es fängt bei jedem von uns an. Nur bloss nicht bei mir! Und drum nervt Greta.
Globalisierung und Wohlstand unterlaufen Nachhaltigkeit
Gehen wir zurück zu den Anfängen von (ökologischer) Nachhaltigkeit als Modewort. Das war zeitlich etwa an der Schwelle zur Globalisierung, plus minus Ende der 1980er- Anfang der 1990er Jahre. Von Umweltschutz war natürlich schon früher die Rede. Es gab in den 1970-er Jahren die „Atomkraft nein danke“ Aufkleber und Demonstrationen gegen den Bau von Atomkraftwerken. Die „Grünen“ Deutschlands kandidierten erstmals bei der Europawahl 1979 (3.2% Stimmen), scheiterten aber an der Bundestagswahl noch 1980 klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Dann kamen die Abgaskatalysatoren, „sparsame“ Dieselmotoren mit Russfilter, die Altpapiersammlungen und Glassammelcontainer, das Recycling, CO2-Zertifikate und sonst noch alles Mögliche.
Und doch hat die Umweltbelastung massiv zugenommen – trotz einer zweifellos kontinuierlich zunehmenden Sensibilisierung. Und obwohl grüne Parteien mittlerweile in vielen Ländern längst nicht mehr nur eine kleine Minderheit von vermeintlichen oder tatsächlichen Idealisten sind. Nicht zuletzt auch hierzulande. Es sind zwei Dinge, welche die vielzitierte Nachhaltigkeit unterlaufen. Einerseits die steigenden Ansprüche im Sog des stetig zunehmenden Wohlstands und andererseits die Globalisierung, die zu einer wahren Explosion des Welthandels geführt hat.
Kiwi, Bali, Riesenwohnung und 300 PS
Die Mercedes Benz Baureihe W110, die zwischen 1961 und 1968 hergestellt wurde, hatte zwischen 55 und 120 PS und schluckte 10 bis 17 Liter Sprit auf Hundert Kilometer. Der alte VW-Käfer soff richtiggehend Benzin für seine bescheidene Leistung. Als diese Vehikel die Herzen höher schlagen liessen, gab es kaum oder noch wenig Verkehr, es waren höhere Geschwindigkeiten erlaubt als heute. Heute gelten fast überall strengere Geschwindigkeitsbeschränkungen, die Motorleistungen haben aber massiv zugenommen. So kann man diese Boliden kaum „ausfahren“, weil man im Alltag fast überall stockend unterwegs ist. Motoren sind heute zweifellos energieeffizienter als früher. 300 PS oder mehr lassen sich heute sparsamer bewegen als die alten Karossen. Wären wir aber im Schnitt noch mit ungefähr der gleich bescheidenen PS-Leistung unterwegs wie damals, dann wäre der Schadstoffausstoss massiv tiefer. Damals sassen auch meist noch vier oder mehr Personen im Auto und nicht nur eine.
Die Produktivität ist das eine, Bescheidenheit das andere, wer will schon einen Kleinwagen fahren, wenn der Wohlstand für mehr reicht? Das Gleiche gilt für den Wohnraum. Gebäude sind neben dem Verkehr bekanntlich grosse Energieverbraucher. Wieso in einer Kleinwohnung leben, wenn man sich ein Penthouse leisten kann? Und so geht da weiter. Wieso den warmen Winter im Pflotsch in Gstaad verbringen, wenn es erst noch günstiger ist, nach Bali in die Wärme auszuweichen? Womit wir an der Schnittstelle zwischen Wohlstand und Globalisierung wären. Früher gab’s vielleicht mal Bananen, später Kiwi, inzwischen schon das ganze Jahr über, auch Bio-Kiwi übrigens – was für ein Widerspruch – und wer will, findet Mango und Kokosnuss, Papaya, Litschi oder Rambutan, der Globalisierung sei Dank.
Produktivität in allen Ehren, aber sie steigt nicht im Ausmass, wie unsere Ansprüche zunehmen. Und das macht neben der Überbevölkerung die Nachhaltigkeit zur Farce, allen gut gemeinten Bemühungen zum Trotz. Greta drückt ihren Finger genau in diese Wunde. Das lassen wir uns natürlich nur ungern gefallen. Selbstbestimmt, selbstbewusst aber auch selbstgefällig wie wir nun mal geworden sind.
Ansprüche fressen Produktivität
Greta spaltet die moderne Konsumgesellschaft. Man wirft der Aktivistin vor, von aussen beeinflusst zu werden. Sie fängt sich reihenweise spöttische Kommentare ein, wird mitunter verhöhnt und nach ihrem emotionalen Auftritt in Form einer Wutrede am New Yorker Klimatreffen wurde sie mit Hasskommentaren nur so überschüttet. Auch der mächtigste Mann der Welt nimmt sie auf die Schippe. Dabei tut sie gar nichts Böses. Es steht uns ja frei, ihr zuzuhören oder nicht. Wenn man das aber tut, lässt sie den Zuhörer nicht kalt, Befürworter oder Gegner. Letzteren ist sie zu ernst, gleichzeitig zu jung, zu unerfahren, und ihre Leidenschaft ist vielen einfach nur suspekt. Unbequeme Wahrheiten kann man am besten loswerden, in dem man den, der sie verbreitet, verunglimpft. So hält man sich Unannehmlichkeiten vom Leib und kann sich dem verschwenderischen Alltag zuwenden.
Lieber Ökonomie statt Ökologie lautet die Lehre aus Globalisierung und hohem Wohlstand. Und: unsere Ansprüche steigen schneller als die Produktivität. Und jetzt redet uns diese Göre auch noch in Gewissen. Dabei geht sie das überhaupt nichts an, es geht uns schliesslich alle an.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen