Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Grexodus

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Was die Griechen wissen
Die Griechen halten Europa weiter auf Trab. Knapp zwei Prozent der wirtschaftlichen Kraft Europas gelingt es wiederholt, das Eurogebilde in Frage zu stellen. Immer mehr zeichnet sich ein richtig gehender Showdown ab. Denn der neuste Akt des griechischen Dramas hat es in sich. Just in der Woche, in der die EZB ihr Anleihenkaufprogramm in Höhe von monatlich 60 Milliarden Euro aufgenommen hat, spitzt sich die Situation in Griechenland an mehreren Fronten weiter zu.

Da ist zunächst der äussert umtriebige Finanzminister Griechenlands, der sich an keine Konventionen hält und immer wieder für Verunsicherung sorgt. Mal heisst es, die Griechen wollen doch einen Schuldenschnitt und dann wieder wird Hilfe aus Brüssel abgelehnt, weil noch genug Liquidität vorhanden sei. Parallel droht die Regierung Tsipras, die ersten zarten Erfolge des griechischen Sanierungsprozesses zu gefährden, in dem sie neue Ausgaben ankündigt, obwohl die Einnahmen längst noch nicht stabilisiert sind. Statt einem Haushaltsüberschuss – genau gesagt einem Primärüberschuss, der ohne die Zinszahlungen berechnet wird – von gut drei Prozent der Wirtschaftsleistung, droht wohl eher wieder ein Defizit.

Einschnitte bei der Zukunft
Trotz zwei grossen Hilfspaketen im Umfang von etwa 230 Milliarden Euro hat Griechenland seit Ausbruch der Krise ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung eingebüsst. Der jüngst schwach aufwärts gerichtete Wachstumspfad ist noch lang nicht stabil genug, um von einer Trendwende zu sprechen, Basiseffekt ist wohl die treffendere Bezeichnung dafür. Denn Griechenland hat die Staatsausgaben von 122 Milliarden Euro im Jahre 2008 auf 88 Milliarden im letzten Jahr gesenkt. Das ist durchaus eine Leistung, aber auch ein Problem. Denn der heftigste Einschnitt war bei den staatlichen Investitionen zu verzeichnen. Die halbierten sich von 11.9 Milliarden Euro auf 5.9 Milliarden. Damit investiert Griechenland faktisch nur einen minimalen Bruchteil des Budgets in die Zukunft des Landes, etwa in Infrastruktur, Bildung, Forschung oder Entwicklung. Griechenland wird folglich noch länger darben.

Jammern und Drohen…
Neu ist, wie die aktuell Regierenden in Athen mit dieser Problematik umgehen. Sie scheinen es nahezu darauf anzulegen, dass die anderen Länder in Europa mit Griechenland die Geduld verlieren. Das ist aber ein ausgesprochen riskantes Unterfangen. Denn wenn der Ruf des Landes in Brüssel weiter auf das Spiel gesetzt wird, heisst das doch noch lange nicht, dass man bald sprichwörtlich ungeniert leben kann. In der EU-Kommission wird mit beobachtet, dass in Griechenland seit letzten Herbst mehr oder weniger Stillstand herrscht. Funktionäre in Brüssel sprechen offen von verlorenen Monaten. Wahlkampf und Regierungswechsel waren jüngst bekanntlich die einzigen ernsthaften Anstrengungen Griechenlands. Und ausgerechnet jetzt droht Finanzminister Varoufakis mit Neuwahlen, sollten die Athener Pläne der Haushaltskonsolidierung nicht akzeptiert werden und fordert gleichzeitig die Euroländer auf, die Verhandlungen über neue Hilfen rasch abzuschliessen. Athen bittet nicht, Athen fordert und Athen bringt einen Reformvorschlag nach dem anderen, statt endlich das für Ende Februar in Aussicht gestellte Reformpaket zu konkretisieren.

Neu liegen nun immerhin Vorschläge für Reformen auf dem Tisch. Die griechische Regierung will die Budgetdisziplin durch eine unabhängige Aufsicht (fiscal council) kontrollieren lassen, legt Obergrenzen für die Ausgaben fest und möchte die Glücksspieleinnahmen höher besteuern. Latente Steuern sollen eingetrieben, Steuerbetrug und Hinterziehung der Riegel vorgeschoben und die Bürokratie abgebaut werden. Ob das Einnahmenpotenzial tatsächlich ausgeschöpft werden kann, scheint indes fraglich. Denn die privaten Spareinlagen schmelzen wie Schnee an der Frühlingssonne und damit auch das Steuersubstrat. Rund zehn Milliarden sind allein in diesem Jahr abgeflossen. Das sind fast zehn Prozent.

…oder spieltheoretische Überlegenheit
Griechenland wird zum Testfall der Währungsunion und leider scheint Griechenland diese Rolle mittlerweile fast schon liebgewonnen zu haben. Denn die Griechen haben sehr wohl begriffen, dass für die Währungsunion mehr auf dem Spiel steht, als für sie selbst. Die Griechen haben mit ihrem forschen Vorgehen auch die Grenzen dieses Währungsraums deutlich aufgezeigt. Richtig Handhabe haben die Bürokraten in Brüssel nämlich nicht gegen das Land. Lieber macht sich die Europäische Kommission im Rahmen der sogenannten Macroeconomic Imbalance Procedure (MIP) alljährlich Gedanken über weitere makroökonomische Ungleichgewichte und fordert diverse Länder zu einer entschiedenen Politik gegen diese auf.

Das ist aber nicht mehr als ein Papiertiger, solange eine gemeinsame Währung über diesen heterogenen Wirtschaftsraum gestülpt wird und verhindert, dass die Ungleichgewichte beseitigt werden können. So profitiert Deutschland von dem schwachen Euro viel mehr als Griechenland, für das der Euro auch heute noch zu stark ist. Deutschland galoppiert so allen davon und wird deshalb nun im MIP aufgefordert, seinen Leistungsbilanzüberschuss nicht aus dem Ufer laufen zu lassen. Doch dafür ist «made in Germany» heute einfach zu kompetitiv, auch dank seiner Schwachwährung. Die Zeit des Durchwurstelns in der Eurozone könnte eher zu Ende sein, als manch einem in Brüssel lieb ist. Wohl auch deshalb hält man um fast jeden Preis an Griechenland fest. Das Problem daran: das wissen auch die Griechen, deren Finanzminister sich als Wirtschaftsprofessor übrigens einen Namen als Experte der Spieltheorie gemacht hat. Er spielt offensichtlicher das Modell vom Feiglingspiel. Da wird so lange geblufft bis der Gegner aufgibt. Nur so lässt sich erklären, dass Varoufakis ohne Einigung Finanzministertreffen verlässt. Er bestreitet dies zwar, räumt aber selbst auf Twitter ein, dass man sich längst schon im Gefangenendilemma befinde.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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