Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Gute Vorsätze

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Ein neues Jahr hat begonnen aber es scheint vieles seinen gewohnten Gang zu nehmen. Dazu gehört zum Beispiel, dass das Fitnessstudio in der ersten Januarwoche mal wieder völlig aus den Nähten platzt. Der eine oder der andere unter uns dürfte über die Festtage wohl etwas gesündigt haben und versucht nun, ein paar Pfunde los zu werden. Das ist aber nicht zwingend ein Phänomen des Jahresauftaktes, sondern generell eine zyklische Erscheinung nach Feiertagen oder (langen) Wochenenden. Am Montag oder Dienstag erlebt man die Spitzenfrequenzen, am Mittwoch flaut es leicht ab, Donnerstags stemmen deutlich weniger Leute Gewichte oder keuchen auf dem Laufband und am Freitag schliesslich läuten viele schon das Wochenende ein – eventuell mit einem Feierabendbierchen, wenn‘s denn bei einem bleibt.

Der Grund für die Hochfrequenz im Fitnessstudio zum Jahresbeginn liegt auf der Hand. Man hat den Vorsatz gefasst, mehr Sport zu treiben, vor allem aber abzunehmen. Google Trends zeigt dieses zyklische Muster sehr eindrücklich. Immer um Jahreswechsel explodieren die Suchanfragen nach dem Begriff „Diät“. Danach schmelzen sie dahin wie Eis an der Sonne und zwar um gut 75% und dies Jahr für Jahr. Übrigens explodiert auch der Suchbegriff „Vorsätze“. Manche wissen offensichtlich oft gar nicht, was sie sich im neuen Jahr vornehmen könnten.

Gehören Sie auch zu den Leuten, die sich für das neue Jahr Vorsätze machen? Weniger Rauchen oder gar damit aufhören, weniger Alkohol konsumieren oder mehr Sport zu treiben, abnehmen? Wenn ja, dann sind Sie beileibe nicht Mitglied einer Minderheit. Gut 40% der Deutschen (36% in Österreich) nahmen sich für 2019 etwas vor und ich gehe mal davon aus, dass dies hierzulande nicht gross anders ist. In Deutschland war dies eine leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahr, als noch 37% mit guten Vorsätzen gestartet waren.

Andersrum heisst das natürlich auch, dass sich 60% der befragten Personen keine Vorsätze für das neue Jahr gemacht haben. Das erstaunt eigentlich nicht, denn viele Vorsätze werden rasch wieder in den Wind geschrieben, was dann ein schlechtes Gewissen erzeugt. Also nimmt man nicht in Kauf, Vorsätze zu brechen, indem man sich erst gar keine macht. Nur etwa ein Drittel (32%), dies in Österreich, hat seine Neujahrsvorsätze für 2018 grösstenteils erfüllt. Teilweise erfüllt hat es knapp die Hälfte (46%) und 22% der Befragten gaben an, ihre Vorsätze überhaupt nicht erfüllt zu haben. Mit der Einhaltung der Vorsätze ist es offenbar so eine Sache. 3% geben ihre Vorsätze schon nach einigen Stunden auf, 4% nach einigen Tagen, 10% nach ein bis drei Wochen und nach drei Monaten hält sich fast die Hälfte nicht mehr an die zum Jahresbeginn gefassten Vorsätze.

Wertlose Erkenntnisse
Der guten Ordnung halber seien die wichtigsten Vorsätze noch aufgelistet. In Deutschland wollen etwa 60% der Befragten mit Vorsätzen Stress vermeiden oder solchen abbauen und mehr Zeit für Familie und Freunde haben. 57% möchten sich mehr bewegen, Sport treiben und die Hälfte möchte sich mehr Zeit für sich selbst nehmen. 49% wollen sich gesünder ernähren, 34% wollen abnehmen, 32% sparsamer sein und immerhin 25% weniger am Handy, Computer oder im Internet hängen. Weniger fernsehen wollen 19% und erst dann kommen mit 16% die, die weniger Alkohol trinken möchten oder das Rauchen (11%) aufgeben wollen.

Die Österreicher setzen ihre Prioritäten bei den Vorsätzen anders. Mehr Sport bzw. Bewegung und mehr Zeit für sich (jeweils 38%) rangieren zuoberst gefolgt von mehr Zeit für Familie oder Freunde (34%). Gesünder ernähren möchten sich 33%. Mit dem Rauchen aufhören wollen mehr als doppelt so viele (27%) wie in Deutschland, dafür weniger (11%) den Alkohol reduzieren. Leider gibt es eine solche Befragung nicht in der Schweiz, weshalb Vergleiche mit unseren Vorsätzen nicht möglich sind. Vielleicht ist das aber auch besser so. Denn viel Wissenswertes befördern die ohnehin nicht zu Tage. Oder können Sie aus solchen Daten Nutzen ziehen? Wahrscheinlich gibt es ein paar Soziologen oder Psychologen, welche die Umfrageergebnisse als einen Baustein in ihrem Spiegelbild der Gesellschaft oder der Menschheit nutzen, doch mehr geben sie nicht her. Einzig das zyklische Muster finde ich ziemlich aufschlussreich.

Euphorie weicht Ernüchterung
Ähnliche zyklische Muster finden sich auch in der Prognosewirtschaft. Prognosen haben bekanntlich leider eine ähnlich rasante Halbwertszeit wie Vorsätze. Sie müssen im Jahresverlauf fast immer nach unten angepasst werden. Das ist auch der Grund dafür, dass ich persönlich eher dazu neige, vorsichtig und eher etwas pessimistisch zu prognostizieren. Abwärtsrevisionen von Prognosen sind eher peinlich. Nach oben revidieren zu müssen, ist zwar auch mühsam, aber immerhin mit einer positiven Botschaft verbunden, namentlich: es kommt besser als erwartet. Extrem übertreiben Aktienanalys(t)en. Jeweils zum Jahresbeginn herrscht völlig übertriebene Euphorie. Die Gewinnerwartungen schmelzen dann aber jeweils ähnlich dahin, wie unsere guten Vorsätze. Es gab Jahre (2001, 2008 und 2009), da lagen die Schätzungen der Gewinne pro Aktie am Ende des Jahres um über 20% tiefer als noch zum Jahresauftakt. In zwanzig Jahren (1997 – 2016) kam es nur viermal (2004, 2005, 2006, 2010) zu Aufwärtsrevisionen der Gewinnerwartungen im Jahresverlauf. Aktienanalysten neigen offenbar zu einem vorsätzlichen Zweckoptimismus – besonders zum Jahresbeginn.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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