Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Immo-Ökosysteme im Tal der Tränen
Auch Geschäftskonzepte unterliegen Modeströmungen, denen sich Manager und Managerinnen und Entscheidungsträger und -trägerinnen oftmals nicht entziehen können. Die Unterscheidung, was davon Hype ist und was einer wirklich soliden Geschäftslogik entspringt, fällt zuweilen nicht einfach.
von Fredy Hasenmaile, Raiffeisen Chefökonom
Ein gutes Beispiel ist Metaverse. Der Hype war so gross, dass sogar Mark Zuckerberg 2021 seinen Konzern Facebook in Meta umbenannte. Nicht wenige First Mover kauften auf verschiedenen Metaverse-Plattformen wie z. B. Decentraland virtuelle Parzellen für Millionen von Dollars. Damals galt der virtuelle Immobilienmarkt als der heisseste überhaupt und viele fühlten sich wie Landkäufer in New York vor 250 Jahren. Heute spricht kaum jemand noch von Metaverse und die digitalen Landpreise befinden sich im Keller.
Einen Hype gab es auch um Ökosysteme. Es war das Zauberwort des Jahres 2022 in der Wirtschaftswelt. Ursprünglich war der Begriff noch mehr Kuriosum als Geschäftsstrategie. 2021 war er jedoch im Standardrepertoire vieler grosser Unternehmen angekommen. Eine Kurzauswertung von 50 Geschäftsberichten aus der Schweizer Immobilien-, Banken- und Versicherungswelt zeigt, dass vier Fünftel der Unternehmen diesen Begriff mindestens einmal erwähnten. Im Schnitt fand er nicht weniger als sechs Mal Verwendung.
Unter Ökosystem muss man sich eine nicht streng hierarchisch organisierte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Marktteilnehmenden vorstellen, die durch ein Wertschöpfungsnetzwerk dem Kunden und der Kundin mehr Wert bieten will als die Summe der einzelnen Wertversprechen. Insbesondere im Zusammenhang mit Plattformen und dem Immobiliensektor versprachen sich die Manager und Managerinnen viel von Ökosystemen. Oder sie waren von der Angst getrieben. Denn in der Plattform-Welt räumt zumeist derjenige ab, der zuerst mit seinen Services die Gunst der Kunden und Kundinnen gefunden hat. Nachahmende haben es in einer solchen Welt viel schwerer.
Innerhalb kürzester Zeit entstand daher in der Schweiz eine stattliche Anzahl von Ökosystemen rund um das Thema Wohnen. Im Zentrum stehen dabei Finanzierungs- oder Versicherungsprodukte. Diese werden jedoch mit diversen anderen Dienstleistungen wie zum Beispiel einer Umzugshilfe oder einer kostenlosen Liegenschaftsbewertung verwoben, um möglichst viele Bedürfnisse der Kunden und Kundinnen aus demselben Ökosystem bedienen zu können und diese so zu binden. In einer Studie vom Juni 2022 identifizierten mein Co-Autor Thomas Mendelin und ich nicht weniger als 14 Immobilien-Ökosysteme.
Ein heutiger Blick darauf zeigt, dass kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist. Der Hypothekenvermittler Moneypark wurde von Helvetia im Herbst 2023 in den Versicherungskonzern integriert. Der Aufbau eines Ökosystems mit Diensten rund um den Hauskauf und den Besitz von Wohneigentum geschah zu langsam und als das Transaktionsvolumen nach der Zinswende bei Moneypark markant abnahm, trat Helvetia auf die Kostenbremse. Irritierend war, dass Helvetia im Sommer 2022 mit Immoworld eine eigene Online-Plattform lancierte, obwohl ihre Tochtergesellschaft Moneypark bereits eine solche Plattform betrieb. Offenbar wollte man den Kundenkontakt doch nicht zu weit weg vom Stammhaus wissen.
Bereits ein Jahr zuvor hatte sich Raiffeisen von Liiva, einem Joint Venture mit der Mobiliar-Versicherung, verabschiedet. Geplant war auch ein Ökosystem rund um das Thema Wohnen. Im Juli 2024 hatte auch Die Mobiliar genug und zog der Wohneigentums-Plattform den Stecker. Grund dafür war die fehlende Bereitschaft, weitere nötige Investitionen zu sprechen. Keine Abwicklung aber doch einen Stopp des weiteren Ausbaus verkündete der Versicherer Baloise einige Monate früher für seine bereits vor sieben Jahren gestarteten Ökosysteme Home und Mobility. Diese sollen fokussiert werden und müssen rentabler werden. Sonst droht ihnen wohl auch das Aus oder sie werden verscherbelt. Letzteres passierte mit der digitalen Hypothekenvermittlungs-Plattform Valuu, welche die Postfinance diesen Frühling über eine Zwischenstation an die Thurgauer Kantonalbank verkaufte. Diese verschmolz Valuu mit ihrer eigenen Plattform Brokermarket, wobei die mit viel Geld beworbene Marke Valuu unterging.
Fokussierung auf das Kerngeschäft lautet derzeit die Devise. Auch bei der Avobis Group, einem Konglomerat von Dienstleistungsfirmen rund um Renditeliegenschaften. Statt dem angepeilten Börsengang des Ökosystems wird das Sammelsurium nun zerlegt. Die Firmenteile Centerio, Rimaplan und VERIT-Immobilien gingen im Frühling 2024 an eine Investorengruppe unter der Führung von Andrin Waldburger und sollen als selbständige Unternehmen weitergeführt werden. Dem Rest, darunter auch die Matching-Plattform Property Captain, droht im Minimum eine harte Sanierung. Die Zinswende dürfte die Konsolidierung im Ökosystem-Sektor beschleunigt haben. Früher oder später wäre eine Bereinigung aber sowieso fällig geworden. Es gab schlicht zu viele Mitspielende.
Nicht alles ist jedoch auf Sand gebaut. Der Zusammenschluss der Tochtergesellschaften Homegate und Immoscout24 und weiterer Vermarktungsplattformen zur Swiss Marketplace Group (SMG) hat ein monopolartiges Gebilde geschaffen, an dem kaum jemand vorbeikommt. Zuletzt hat SMG mit der Übernahme des PropTechs Flatfox das eigene Ökosystem weiter gestärkt. Die Kantonalbanken versuchen mit Newhome zwar ein Gegengewicht zu bilden, doch im Plattformbusiness haben es Nachzügler und -züglerinnen bekanntlich schwer.
Immerhin hat Newhome als Nummer drei der Immobilienmarktplätze mit dem Einstieg von Axa Anfang Jahr neuen Schub erhalten. Als aufmerksamer Beobachter hat der Versicherer Axa realisiert, dass man die Nähe zu den Kunden und Kundinnen weniger über aufwändige Dienstleistungsplattformen rund ums Wohnen schafft als über Immobilienportale. Denn dort tummeln sich die Kunden und Kundinnen, wenn sich deren Wohnsituation verändert. Ein cleverer Schachzug der Axa, denn damit sind die Touchpoints bei den grossen Immobilienportalen besetzt, da Die Mobiliar als Partnerin und Mitbesitzerin beim Platzhirsch SMG gesetzt ist. Schub erhält Newhome aber auch durch die unverschämten Preiserhöhungen der SMG, die viele Kunden und Kundinnen massiv verärgert haben. Insbesondere die Immobilienmakler und -maklerinnen machen kräftig Stimmung gegen SMG und unterstützen Newhome nach Kräften. Leiser zu und her geht es bei Wüst Partner. Das Beratungsunternehmen aggregiert Firma um Firma in ihrem Ökosystem rund um Immobiliendaten und hat zuletzt mit Signa-Terre einen Dienstleister im Bereich von Energiedaten akquiriert.
Weil es vielen Ökosystemen nicht gelang, ausreichend Kunden und Kundinnen zu gewinnen, ist die Profitabilität vielerorts auf der Strecke geblieben. So ist Ernüchterung eingekehrt und so werden gegenwärtig nicht nur Strategien, sondern auch Strukturen angepasst. Offensichtlich wiesen die Wertschöpfungsketten Lücken auf oder die Nutzungshäufigkeit war zu gering, so dass es nicht gelang, die Kunden und Kundinnen im eigenen Netzwerk zu binden. Allenfalls war auch der Kundennutzen zu wenig gross und es gelang nicht, die Kunden und Kundinnen zu überzeugen, die Wechselkosten als zu hoch einzustufen und dem Ökosystem treu zu blieben. Ökosysteme sind letztlich komplizierte Gebilde und schwierig zu managen. Zudem ist die Rollenverteilung oftmals nicht klar geregelt. Alle Involvierten drängen nach Kundennähe, denn dort lässt sich Umsatz generieren. Trotz der vielen Hiobsbotschaften performen einige Gebilde aber gut. Ökosysteme sind demnach nicht tot, aber es trennt sich aktuell die Spreu vom Weizen. Es vergeht kaum eine Woche ohne neue Nachricht. Marktwirtschaft live, sozusagen. (Raiffeisen/mc)