Ich erinnere mich noch gut an den 15. Januar 2015, als die Schweizerische Nationalbank (SNB) zu einem Coup der besonderen Art ansetzte und per sofort die Frankenuntergrenze aufhob. Dermassen überrascht hatte kaum eine Zentralbank zuvor die Märkte und das war es dann auch endgültig mit den 1.20 pro Euro. Um der Frankenstärke entgegenzuwirken, hat die SNB seitdem alles nur Mögliche getan, aber selbst ein stark negativer Zins und Devisenmarktinterventionen in Milliardenhöhe konnten über die Zeit nie richtig Aufwertungsdruck vom Franken nehmen. Dafür stand und steht die SNB heute mit einer enorm aufgeblähten Bilanz da.
von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen
Heute überlasten der aufgelaufene Corona-Nachfragestau und Chinas Null-COVID-Strategie die internationalen Lieferketten und die Preise für Rohstoffe schiessen seit dem Ukrainekrieg in die Höhe. Inflation ist plötzlich wieder zum Thema geworden, und nicht nur das: in den USA und der Eurozone ist sie längst aus dem Ruder gelaufen. Aber nicht hierzulande, dank geringerer Rohstoffabhängigkeit, einer starken Währung und generell robusterer Wirtschaftsstrukturen. Einmal erwies sich ein stärkerer Schweizer Franken als Segen, federte er doch die exorbitanten Rohstoffpreisschübe wenigstens relativ gesehen deutlich ab. Und da die SNB sicher gehen möchte, hat sie konsequent ihre Hausaufgaben gemacht, namentlich den Versuch gestartet, das kleine Inflationsgespenst, das hierzulande droht, im Keim zu ersticken. Ihr Auftrag, nix da verstecken hinter der Europäischen Zentralbank (EZB), wie viele und ich eigentlich erwartet hätten.
Von daher kann man nur sagen. Hut ab SNB. Nachdem ich jahrelang ein Kritiker der viel zu expansiven Geldpolitik gerade auch der SNB war, hat sie mich – wie alle Analysten – völlig auf dem falschen Fuss erwischt. Nicht im Traum hatte sich jemand einen solchen Zinsschritt vorstellen können, bevor die SNB tatsächlich verkündete, den kurzfristigen Zinssatz rasch Richtung Null bewegen zu wollen. Überraschend, aber goldrichtig, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass das Fenster, das offensteht, um die Negativzinsen endlich hinter sich zu lassen, bald schon wieder einmal zu geht. Von daher würde es mich nicht wundern, wenn wir schon bald wieder von der SNB hören werden. Überraschend ist auch, dass das «Heiligtum» der Zinsdifferenz zur Eurozone enttabuisiert wurde und die SNB riskierte, den Franken massiv erstarken zu lassen. Der hat zugelegt, aber noch einigermassen in Grenzen. Die Parität ist hier die neue Realität.
Was aber das Allerwichtigste am SNB-Showdown letzte Woche war, ist der unmissverständliche Beweis, dass unsere Nationalbank tatsächlich unabhängig agiert. Nicht nur unabhängig, sondern vor allem eigenständig. Offenbar will man im Direktorium unseres Währungshüters auf keinen Fall die Fehler der amerikanischen Notenbank wiederholen, die «hinter die Kurve» zurückgefallen war und nun mit einschneidenden Zinsschritten der ganzen Welt für dieses Versäumnis wehtut.
Der Blick in die Eurozone ist noch einiges dramatischer. Zinserhöhungen, längst überfällig, werden im höchsten Gremium der EZB lange diskutiert, dann angekündigt und neuerdings wieder lamentiert. Denn die Peripheriestaaten ächzen schon heute unter den deutlich gestiegenen Langfristrenditen. Der Zinsspread zu Deutschland etwa dürfte der EZB mindestens genauso weh tun wie die Inflation. Von all diesen Problemen ist unsere Nationalbank verschont. Keine zweistelligen Produzentenpreisanstiege und noch verhältnismässig wenige Zweitrundeneffekte schaffen für sie Zeit und Spielraum. Sie dürfte den dank dem richtigen Riecher auch nutzen. Endlich fertig Negativzins, bravo!