Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Land der Krämerseelen
Sogar bei seinem Rücktritt war er allen eine Länge voraus. Dieser kam so überraschend, dass manche von einem Schock-Rücktritt sprachen. Thomas Jordan, der langjährige Präsident der Schweizerischen Nationalbank, hat seinen Rücktritt auf Ende September angekündigt und wird eine grosse Lücke hinterlassen.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen
Die vielen Reaktionen des Bedauerns verdeutlichen, welche Verdienste sich der gebürtige Bieler erworben hat. In einer Zeit, die weiss Gott nicht krisenarm war, hat der Nationalbankpräsident die Schweiz und unsere Wirtschaft mit stoischer Ruhe durch die Stürme gelenkt und auf Kurs gehalten. Dem grossgewachsenen Jordan war die Last der Aufgabe nur in wenigen Momenten anzumerken, und er wirkte auch optisch wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung.
Der Beginn seiner Amtszeit als Präsident des Direktoriums stand noch unter dem Einfluss der Eurokrise. Eine schwindende Zinsdifferenz zum Ausland sowie der Vertrauensverlust in die europäische Währung wogen schwer und trugen dazu bei, dass weniger Kapital zu Anlagezwecken im europäischen Ausland angelegt bzw. verliehen wurde und Gewinne im Ausland sogar tendenziell eher repatriiert wurden. Die traditionellen Leistungsbilanzüberschüsse der Schweiz wurden damit nicht mehr durch Nettokapitalabflüsse von Schweizer Investoren und Unternehmen im Ausland kompensiert. Die im Aussenhandel erwirtschafteten Franken wurden also nicht mehr rezykliert. Als Folge davon stand der Franken unter starkem Aufwertungsdruck, zumal auch ausländische Kapitalbesitzer verstärkt den «sicheren Hafen» Schweizer Franken ansteuerten. Um eine noch grössere Aufwertung des Frankens zu verhindern, kaufte die Nationalbank notgedrungen Devisenanlagen, blähte damit zwar die Bilanz auf, konnte aber das Währungsungleichgewicht eindämmen.
Mindestwechselkurs, Bilanzausweitung, Negativzinsen waren alles Massnahmen, um eine übermässige Aufwertung des Frankens, ein Wegkippen der Schweizer Exportwirtschaft und letztlich das Überschwappen der Krisen aus dem Ausland auf die Schweiz zu verhindern. Die bessere Entwicklung des Schweizer Bruttoinlandprodukts im Vergleich zu europäischen Staaten seit der Finanzkrise im Jahr 2007 unterstreicht, wie erfolgreich diese Politik war. Auch die Inflationsprüfung bestand Jordan mit Bravour. Auf den globalen Anstieg der Inflation im Nachgang zur Pandemie reagierte er noch vor der Europäischen Zentralbank und liess absolut keinen Zweifel daran, dass die Preisstabilität Vorrang hat. Thomas Jordan hat dabei ein ausgezeichnetes Urteilsvermögen und auch viel Gespür an den Tag gelegt, indem er beispielsweise im September 2023 die Zinsen kein weiteres Mal erhöhte, obwohl die Märkte genau dies erwarteten. Erneut ein richtiger Entscheid. Die Schweiz ist das erste Land, in dem die Inflation wieder unter Kontrolle ist, und der scheidende Präsident kann die Nationalbank in gestärktem Zustand in neue Hände übergeben.
Dieser Mann hat unseren Respekt und unseren grossen Dank verdient. Doch statt dass seine Verdienste in den höchsten Tönen gewürdigt werden, gibt es nicht wenige Stimmen, die an ihm herummäkeln. Da wird die fehlende Transparenz der SNB-Sitzungen kritisiert, die Absenz ethischer und ökologischer Prinzipien bei der Anlagepolitik beanstandet, eine zu starke Machtkonzentration im Direktorium oder die geringe Frauenquote innerhalb der Notenbank moniert. Was sind wir doch für Krämerseelen. Da verdient sich einer Bestnoten mit einer Amtszeitbilanz, die für sich alleine spricht. Notabene in der wohl turbulentesten Zeit der 118-jährigen Geschichte der Nationalbank. Im Ausland wird er als Star-Notenbanker bewundert, obwohl ihm jeder Glamour abgeht und er als Technokrat wirkt. Doch hierzulande haben die Nörgler die Oberhand. Nur schwer können sie dabei ihre Partikularinteressen verbergen und sprechen von Baustellen und Reformbedarf.
Der Mann hat Grosses geleistet und auch viel Mut bewiesen. Als er am 15. Januar 2015 den Mindestwechselkurs aufhob, wurden an den Finanzmärkten innert Minuten Milliarden ausradiert. Die Kritik fiel entsprechend heftig aus. In solchen Momenten hinzustehen, zeichnet starke Persönlichkeiten aus. Thomas Jordan ist eine und zudem ein Staatsdiener, der sich unermüdlich für das Wohl seines Landes eingesetzt hat. Die Nörgler haben sich an ihm die Zähne ausgebissen und können daher das Nachtreten nicht sein lassen. Wenn sie ihm vorwerfen, ihm fehle der Blick für die gesamtwirtschaftlichen Interessen, oder wenn sie die Bilanzaufblähung infrage stellen, dann entlarven sie eigentlich nur ihre eigene Unkenntnis wirtschaftlicher und geldpolitischer Zusammenhänge. Zum Glück hat er sich allen Beeinflussungsversuchen widersetzt. Es macht die Stärke der Nationalbank aus, dass sie für all die Begehrlichkeiten aus der Politik kein Gehör zeigt. Sie verfolgt stur ihr Mandat, pocht auf ihre Unabhängigkeit und ist deswegen wohl so erfolgreich. In der wissenschaftlichen Literatur ist die empirische Evidenz klar: Unabhängige Zentralbanken haben die Inflation besser unter Kontrolle. Und diese Unabhängigkeit lag Thomas Jordan ganz spezifisch am Herzen.
Wie glücklich die Schweiz sein kann, dass sie über eine so starke Nationalbank verfügt, dürfte mit grösserer zeitlicher Distanz zu seiner Amtszeit noch klarer werden. Sagen wir doch einfach Danke, ohne Wenn und Aber. (Raiffeisen/mc/pg)
One thought on “Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Land der Krämerseelen”
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Bravo, Herr Hasenmeile!
Und wenn Sie die Kritikaster als Krämerseelen, Nörgler und Herummäkler titulieren, ist das noch nett und freundlich.
Nicht auszudenken, wie wir dastünden, wenn eines von diesen Leichtgewichten im Driving Seat gesessen hätte.. yx