Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Macht der Zukunft

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Macht der Zukunft
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Es brauchte ein Weilchen, bis das Verdikt stand. Dafür fiel es umso härter aus. Seit November 2010 hatte die EU-Kommission den Internetgiganten Google untersucht. Der happige, aber niemanden mehr gross verwundernde Vorwurf lautete Missbrauch der dominanten Marktstellung. Denn wer immer via Google eine Abfrage startet, findet zuoberst auf der Trefferliste zunächst Google nahe Dienste wie z.B. Google Shopping. Das veranlasste andere Anbieter wie Idealo.de oder Billiger.de gegen Google eine Klage einzureichen.

Bekanntlich mahlen die Mühlen in Brüssel langsam, aber letztlich resultierte ein Entscheid, der Google ziemlich wehtat. Die Rekordbusse von 2.42 Milliarden Euro ist ein heftiger Schlag ins Gesicht des Internetriesen, der grösste wohl in seiner Konzerngeschichte. Gleichzeitig ist es die höchste Strafe, die von der EU-Kommission jemals ausgesprochen wurde. Und die EU-Kommission hat noch zwei weitere Untersuchungen gegen Google wegen Marktmissbrauchs angestrengt, deren Ergebnisse noch anstehen, was auch noch mal etwas kosten dürfte. Klar, die Busse bezahlt Google sozusagen aus der Portokasse. Operativ hat der Konzern 2016 fast das Zehnfache davon verdient.

Doch könnte das EU-Verdikt eine kleine historische Wende einleiten, das Ende der unbeschwerten Leichtigkeit des Geldverdienens. Es gab in der Vergangenheit Verfahren zuhauf, aber die Höhe der Strafe ist happig und dazu noch die Schmach. Google hat neunzig Tage, um diese Praxis zu ändern. Und es drohen allenfalls Schadensersatzklagen der Kläger. Angesichts des erdrückenden Marktanteils Googles bei den Suchmaschinen (fast 89%) hielt sich die Konkurrenz vorerst zurück, dieses Urteil zu kommentieren, aber es dürfte manchen eine Genugtuung sein.

Profit mit Verantwortung
Vor zehn Jahren lautete die Reihenfolge der grössten Unternehmen der Welt gemessen an ihrem Marktwert: Exxon Mobil, General Electric, Microsoft und AT&T. Apple, der heutige Spitzenreiter, lag damals auf Rang 73. Die weitere Reihenfolge heute sieht Alphabet (Google) auf Rang zwei, gefolgt von Amazon.com und (!) Berkshire Hathaway. Exxon Mobil liegt heute auf Rang sieben. In Silicon Valley entstehen die weltbeherrschenden Unternehmen einer gar nicht so fernen Zukunft. Zum Teil haben sie heute schon Besitz von uns ergriffen, denn ihre Produkte sind aus unserem Alltag nicht mehr weg zu denken. Das Smartphone hat die digitalen Kameras bachab geschickt, die herkömmlichen Mobil- und Festnetztelefone, Telefax, und manchen Computer, das Radio oder den CD-Player vom Markt verdrängt. Und die Digitalisierung wird die Verdrängungseffekte auf fast allen Märkten noch beschleunigen. Das steht wohl ausser Frage. Angesichts solch rosiger Aussichten könnten die Konzerne eigentlich einen fairen Wettbewerb spielen und ihre Rolle und damit ihre gesellschaftlichen Verantwortung wahrnehmen.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, dessen Kreativität durch die Auferlegung von Regeln verloren geht, wie von Silicon Valley befürchtet. Im Gegenteil: Im Internet geht es mittlerweile zu, wie in der Bronx des frühen New York. Wir liegen mittlerweile wahrscheinlich bei gut 80 Millionen Hackerangriffen weltweit, macht etwa 150 pro Minute. 2009 waren es noch (oder schon?) sechs pro Minute. Yahoo, Ebay, JPMorgan Chase, Adobe oder Dropbox und neuerdings auch namhafte Konzerne in Europa, waren schon Opfer von Cyberattacken; von den gestohlenen 191 Millionen Wählerdaten in den USA ganz zu schweigen. Gewalt, Kinderpornographie, Mobbing und Anstiftung zu sozialer Unruhe auf den sozialen Plattformen, all das soll ohne Regeln funktionieren? Also bitte, Profit ja, aber mit Verantwortung.

Gestaltungsspielraum
Fraglos, Regeln sind in den Köpfen der liberalen Volkswirtschaftler die zweitbeste Lösung. Der Markt ist sozusagen immer besser, doch nur, wenn auch richtig fairer Wettbewerb herrscht. Bei exponentiellem Wachstum ist aber auch der Markt rasch mal überfordert, vor allem die Transparenz geht da schnell verloren. Das begünstigt den Auf- oder Ausbau einer marktbeherrschenden Stellung. Es ist nun eher absehbar, dass das Verdikt, das gegen Google verhängt wurde, Schule macht und sich auf weitere Bereiche ausdehnt. Nicht wenige Mediziner sind überzeugt, dass uns das Smartphone genetisch verändert. Kurzsichtigkeit, Smartphone-Nacken oder sogar der Daumen sind da Stichworte.

Sozialpsychologen sind ebenfalls aufmerksam. Unter ihnen warnt Harald Welzer besonders vehement vor den negativen Folgen. Die Umweltwahrnehmung gehe zusehends verloren und mit ihr auch die Sozialwahrnehmung. Leuchtet irgendwie ein, wenn wir nonstop auf unsere Bildschirme starren. Die Politik wird nun folgen und die Konzerne tun gut daran, sich nun kooperativ zu zeigen und ihr Geschäftsmodell offen zu legen und nochmals: ihre Verantwortung wahrnehmen. Nur so können sie den zukünftigen Spielraum mitgestalten. Andererseits droht ihnen eine Welle der Überregulierung, ähnlich wie das die Finanzindustrie erfahren musste.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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