Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Mehr als nur Stilfragen
Seit die USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben, vergeht keine Woche, in der dieser nicht irgendjemanden in der Welt vor den Kopf stösst. Was und vor allem wie Trump manches rauslässt, ist nicht selten unter aller Kanone und die halbe Welt schüttelt manchmal nur noch den Kopf darüber. In Europa ist die Empörung über seine Art zu politisieren aber besonders hoch.
Viele Europäer sehen in Trump einen polternden Proleten ohne nennenswerten intellektuellen Tiefgang, also ziemlich genau das Gegenteil dessen, für was sich die europäischen politischen Eliten selbst halten. In Europa geht man gefälligst stilvoll und tolerant miteinander um. Die Konsensfindung ist dort noch immer das wichtigste Attribut erfolgreicher Politik. Jemanden vor den Kopf zu stossen, ist verpönt. Und auch wenn man sich in der Sache mal nicht einig wird, bleibt man ewige Freunde, ohne Wenn und Aber. Griesgram ist der höchste emotionale Fauxpas, den sich ein durchschnittlicher europäischer Politiker mal leistet. Man denke etwa an den ehemaligen deutschen Finanzminister Schäuble, der manchmal äusserst finster dreinblickte und so für ungeliebte Missstimmung sorgte, wo doch alle immer nach Harmonie strebten.
Smart zu sein, gilt in Brüssel, Berlin oder Paris als das Mass der Dinge in der Diplomatie und das geht nur im Verbund mit einem beherrschten Auftritt. Trump ist schlichtweg zu viel für Europa, er überfordert den alten Kontinent. Dem reicht es schon, sich mit einer Miniversion Trumps in der Person von Matteo Salvini herum schlagen zu müssen oder der britischen Premierministerin den Brexit-Tarif durchzugeben. Mehr Konfrontation würde Europa masslos überfordern. Dort lässt man Konflikte schwelen und diskutiert stattdessen lieber politische Stilfragen.
Die selbstverheissene moralische Überlegenheit der europäischen Politik ist Donald Trump ziemlich egal. Das hat er am Wochenende eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nicht das wie zählt für ihn, sondern nur das was. Ein neuer Staatsfeind der USA sind jetzt die europäischen, namentlich deutschen Automobile, welche die US-Regierung allen Ernstes als, so wörtlich, „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ sieht. Das ist natürlich völliger Schwachsinn. Erstens ist der Marktanteil deutscher Autobauer in den USA mit unter 8% bescheidener als derjenige amerikanischer Automobile in Europa. Zweitens ist die deutsche Automobilindustrie mit vier grossen Werken in den USA ein wichtiger Arbeitgeber. Und drittens ist der Import deutscher Automobile in die USA ohnehin seit 2015 rückläufig. Es geht Trump nicht um Autos, zumindest nicht nur. So viel steht fest.
Lauter Finten
Auch an der Münchner Weltsicherheitskonferenz sorgten die Amerikaner für Kopfzerbrechen. US-Vizepräsident Mike Pence stichelte und massregelte im Auftrag seines Herrn gegen die Europäer, wo immer es ging. Er schimpfte gegen die Deutschen, weil die am Bau der Gaspipeline Northstream 2 festhielten und forderte die Europäer auf, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen. Ausserdem rieb er Europa einmal mehr unter die Nase, dass die USA darauf bestehen werden, dass die Zweiprozentziele bezüglich Nato-Verteidigungsziele eingehalten werden. Man erwarte von jedem Nato-Mitglied einen glaubwürdigen Plan dafür. Und dann kam noch richtig starker Tobak am Wochenende. Trump appellierte an die Europäer, ausländische IS-Kämpfer wieder ins Land zurück zu nehmen. Genau gesagt appellierte er nicht, sondern erpresste förmlich, in dem er als Alternative deren Freilassung in den Raum stellte. Mit solchen Finten bauen die USA ganz gezielt Druck gegen Europa auf.
Macht ohne Stil
Dass gerade die Automobilindustrie im Fokus ist, hat seine Gründe. Die amerikanischen Drohungen würden zu fast zwei Dritteln Deutschland treffen und es ist wohl auch das Ziel der Übung, zunächst die wichtigste europäische Volkswirtschaft anzuzählen. Tatsächlich möchte Trump aber einen neuen Deal mit Europa und schärft im Vorfeld darauf jetzt die Verhandlungspositionen. Europa kommt nämlich in Bezug auf Sonderzöllen noch vergleichsweise glimpflich weg. Nur knapp drei Prozent der europäischen Exporte in die USA werden mit solchen Zollaufschlägen versehen. In Kanada sind es mit 9% dreimal mehr, in Russland (25%) und China (ca. 50%) ganz massiv mehr. Trump glaubt, dass die USA mittels Strafzöllen die eigene Wettbewerbsfähigkeit erhöhen könne. Obwohl genau das Gegenteil der Fall ist.
Abgeschottete und geschützte Volkswirtschaften waren noch nie sonderlich kompetitiv. Gewinner im globalen Wettbewerb sind weltoffene und liberale Wirtschaftssysteme. Unser Land ist ein gutes Beispiel dafür, nur nicht für den Unbelehrbaren im Weissen Haus. Der hat jetzt Deutschland förmlich auf dem Kieker und dass eben dieses Deutschland gerade auch noch einen Leistungsbilanzüberschuss von fast 300 Milliarden Dollar gemeldet hat, dürfte ihn darin bestätigen, am richtigen Hebel zu drehen. Angesichts dessen, dass ihm im eigenen Land das Wasser bis zum Hals steht, Stichwort Notstandsrecht und Sammelklagen, ist damit zu rechnen, dass er die nächsten Wochen weiter aufdreht. Damit steigt die Gefahr, dass es zu noch ärgeren Zerwürfnissen kommt. Der Mann ist jetzt erst richtig auf Kollisionskurs eingeschwenkt, nachdem er seine alles andere als salonfähige Art des Regierens schon so rücksichtslos etablieren konnte, während rund herum alle nur den Kopf schüttelten, aber immer mehr abstumpften und dachten, der Präsident sei nur eine Zeiterscheinung. Trump ist inhaltlich wirr, aber taktisch extrem fokussiert. Es geht ihm ausschliesslich um die Frage der Macht. Über Stilfragen reden die anderen.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen