St. Gallen – Seit der Nacht auf den gestrigen Dienstag steht definitiv fest, dass Donald Trump am 20. Januar als 45. Präsident der USA sein Amt antreten wird. Damit haben sich die letzten verzweifelten Hoffnungen derer endgültig zerschlagen, die sich immer noch nicht damit abfinden wollten, dass ein Typ zum mächtigsten Mann der Welt erkoren wird, der noch vor wenigen Wochen als unwählbar galt. Ganz anders die Börse, die sich schon längst mit Trump arrangiert hat. Und da an der Börse bekanntlich die Zukunft gehandelt wird, kann so schlecht Trump ja gar nicht sein – oder eben doch?
2016 wird jedenfalls als ein Börsenjahr in die Geschichte eingehen, in dem sich – gemessen am Kursverlauf – sämtliche Befürchtungen vor potenziellen Rückschlägen nicht bewahrheiteten. Die Erdung der chinesischen Wirtschaft, der freie Fall des Ölpreises, der Brexit, das vom Volk verworfene Referendum in Italien und schliesslich die Wahl Trumps entpuppten sich in der Retroperspektive lediglich als kleine Betriebsunfälle an den Finanzmärkten. Nach dem Brexit gab der britische Leitindex immerhin noch deutlich nach, bevor eine Rallye einsetzte, die praktisch niemand auf der Agenda hatte. Heute notiert er 17% höher als nach der Brexitabstimmung.
Ähnliche Kursavancen verzeichnete der italienische Leitindex nach dem verlorenen Referendum Renzis Anfang Dezember. Mittlerweile liegt er gar 18% höher. Und die Wahl Trumps führte gerade mal am Tag nach der Wahl zu kleineren Irritationen. Seitdem klettern die amerikanischen Börsen von einem historischen Hoch zum anderen. Man weiss ja, dass es an den Finanzmärkten oft alles andere als normal läuft. Aber wie es zu solch raschen Meinungsumschwüngen kommen konnte, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar und alles andere als rational. Euphorie statt Crash, Plus statt Minus, böse wird plötzlich zu gut und keiner weiss warum.
«Die Märkte kommen plötzlich zum Schluss, dass Trump den Banken die Fesseln lockern wird, die Pharmaindustrie in Ruhe lässt, vor allem aber der Konjunktur in den USA Flügel verleihen wird.»
Vorschusslorbeeren
Mittlerweile gibt es wenigstens für die US-Wahl eine erste Erkenntnis, warum die Börsen kletterten statt abzusteigen. Es ist einzig die Fantasie der Marktteilnehmer, die den Kursen Auftrieb verlieh, denn sie hoffen auf kräftige Fiskalimpulse, wenn Trump sein Amt antritt. Das ist insofern paradox, als dieser Optimismus die noch vor Monatsfrist weitverbreitete Skepsis komplett eliminierte und die Erwartungen dessen, was in den USA in den kommenden Monaten passieren wird, von Weltuntergangsstimmung in Euphorie wandelte. Die Märkte kommen plötzlich zum Schluss, dass Trump den Banken die Fesseln lockern wird, die Pharmaindustrie in Ruhe lässt, vor allem aber der Konjunktur in den USA Flügel verleihen wird. All dies preisen die Investoren, vor allem aber die Händler nun mit gehörigen Vorschusslorbeeren ein.
Enorme Fallhöhe
Ein solch rascher Meinungsumschwung ist selbst für die wankelmütigen Märkte ungewöhnlich. Der Dow Jones hat nun die 20‘000-er Marke zielstrebig im Visier und dürfte diese sehr wahrscheinlich auch noch 2016 knacken. Doch damit steigt auch die Gefahr grösserer Rückschläge. Denn wenn Trump nur weiter labert ohne zu liefern, wird sich rasch einmal der Kater einfinden und die rosarote Brille, durch welche die Marktteilnehmer die kommenden Taten des zukünftigen US-Präsidenten heute noch betrachten, durch eine Klarsichtbrille ersetzt werden. Von daher ist niemand schlecht beraten, zum Jahresende Gewinne mitzunehmen.
«Das sprichwörtliche Januarloch könnte sich schon bald auftun, wenn die Realität die Märkte einholt.»
Das sprichwörtliche Januarloch könnte sich schon bald auftun, wenn die Realität die Märkte einholt. Diese Realität ist schliesslich immer noch dieselbe wie vor der Wahl Trumps. Weder in China noch in Europa hat sich wesentliches getan, dort verläuft der Wirtschaftsgang nach wie vor so zaghaft, dass auf die Schützenhilfe der Notenbanken nicht verzichtet werden kann. Die geopolitischen Risiken bergen Potenzial weiterer Eskalationen, insbesondere angesichts der Unberechenbarkeit der beiden Exzentriker Putin und Trump an den Schalthebeln der Macht.
Pump dank Trump?
Sollte darüber hinaus das Modell Trump tatsächlich die Renaissance der Fiskalpolitik einläuten und auch in Europa Schule machen, ist die nächste Schuldenkrise vorprogrammiert. Schon heute neigen die Peripheriestaaten Europas dazu, die Austeritätspolitik zu beenden, mit der unheilvollen Konsequenz, einen neuen Teufelskreis heraufzubeschwören. Wir erinnern uns: Noch vor nicht allzu langer Zeit übernahm die Geldpolitik das Zepter, nachdem die Staaten über ihre Verhältnisse gewirtschaftet hatten. Nun werden Stimmen laut, die genau dies wieder anfordern: Wachstum auf Pump. Das kann nicht gut gehen, das wissen auch die Märkte. Aber noch keimt die Hoffnung auf das Unmögliche. 2017 wird daher mindestens so spannend wie 2016, und alles anders als entspannend. Diese Prognose ist ausnahmsweise ziemlich sicher.
Ich bedanke mich für die treue Leserschaft und wünsche Ihnen frohe Festtage und einen guten Rutsch ins 2017.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen