Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Nervös

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Nervös
von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

Völlig ausgeschlossen ist es nicht, dass es zwischen dem Iran und den USA zu mehr als nur einem Säbelrasseln kommt. Da war zunächst der Auftritt des iranischen Aussenministers Mohammed Dschawad Sarif letzte Woche im US-Nachrichtensender CNN. Dort liess er das amerikanische Volk unmissverständlich wissen, dass man zwar keinen militärischen Konflikt wolle, aber Iran auch keinen Augenblick zögern würde, das eigene Land zu verteidigen.

Ein militärischer Schlag der USA, der gemäss Sarif auf einer Irreführung beruhe würde, Iran bestreitet vehement jegliche Beteiligung an den Drohnenangriffen auf saudi-arabische Ölförderanlagen, würde zu einem „umfassenden Krieg“ mit vielen Opfern führen. Die andere Seite wiederum behauptet in der Person von USAussennminister Mike Pompeo, Iran sei direkt verantwortlich. Auch Deutschland, Grossbritannien und Frankreich halten neuerdings den Iran für den Schuldigen. Letztlich wird es aber nicht darum gehen, ob es die Huthi-Rebellen waren, die den Angriff für sich reklamieren, oder doch der Iran, sondern darum, was gerade im Kopf des US-Präsidenten Donald Trump vor sich geht.

Oder vielleicht auch in dem von Boris Johnson? Der hat nämlich am Rande der UNO-Vollversammlung ganz überraschend einen neuen Atomdeal ins Gespräch gebracht, verbunden mit dem Hinweis, wer einen solchen, natürlich besseren Deal mit dem Iran abschliessen könne. „President Trump is the «one guy» who can get a better agreement”, sagte Johnson Lester Holt von der NBC. Trump und Johnson, da haben sich zwei gefunden.

Zum Glück ist aus Trumps Munde nicht mehr – wie unmittelbar nach der Attacke – von Vergeltungsschlag die Rede und zum Glück hat er sich seit dem auch nicht zu einer unüberlegten spontanen Aktion hinreissen lassen. Das heisst aber noch lange nicht, dass der Rauch nun verzogen ist. Die USA beginnen jedenfalls schon mal die Saudis aufzurüsten. Der Iran zeigt sich zudem äusserst kämpferisch, denn dem Land setzen die schon bestehenden Wirtschaftssanktionen hart zu, die nach dem Wunsch Trumps jetzt auch noch verschärft werden sollen. Das wiederum provoziert fast automatisch eine verschärfte Gegenreaktion. So eine Konstellation kann sich schnell hochschaukeln, bis sie zur realen Bedrohung wird.

Natürlich will auch der französische Staatspräsident auf der grossen Weltbühne mitmischen. Frankreich möchte offiziell eine Vermittlerrolle spielen und der französische Aussenminister Jean-Yves le Drian soll gemäss Medienberichten bereits seinen iranischen Amtskollegen Mohammed Jawad Sarif in New York getroffen haben. Man darf gespannt sein, wer letztlich mit wem wann spricht. Nur eines sollte angesichts der heiklen Konstellation in den Hintergrund rücken: politisches Kapital schlagen zu wollen. Für einmal ist Angela Merkel nicht an vorderster Front dabei – aus zwei Gründen wohl. Erstens ist Deutschland traditionell bemüht Eskalationen zu vermeiden, um nicht dem Druck ausgesetzt zu werden, ein militärisches Eingreifen zu unterstützen. Der wichtigere, zweite Grund dürfte aber sein, dass Frau Merkel nicht mehr als Kanzlerin kandidiert und sich daher auch nicht mehr aus Wiederwahlmotiven in Szene setzen muss.

Wiederwahl um jeden Preis
Im Rahmen der Lehre der sogenannten, neuen politischen Ökonomie spricht man von politischen Konjunkturzyklen. Vereinfacht besagen sie, dass makroökonomische Grössen durch Regierungen sehr bewusst gesteuert werden. Das geht so weit, dass einem Wahlzeitpunkt ein generell staatsverschuldungserhöhender Effekt zugeschrieben wird. In etwas mehr als einem Jahr, am 3. November 2020, finden die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA statt. Präsident Trump hat eindeutig schon auf Wahlkampfmodus umgeschaltet. Und er ist beunruhigend nervös, weniger wegen dem Iran, aber wegen der US-Wirtschaft. Trump
glaubt an die simple Phrase, die da lautet: „It’s the economy, stupid“. Die Wahlkampstrategen Bill Clintons kreierten diesen Slogan vor gut 20 Jahren. Die Art und Weise, wie Trump seinen Notenbankchef Jerome Powell verunglimpft, lässt keinen anderen Schluss zu. Er will um jeden Preis verhindern, dass die US-Konjunktur abschwingt. Man kann angesichts der geopolitisch heiklen Situation nur hoffen, dass Trump das gelingt. Denn wenn nicht, wird er sich anderswo in Szene setzen müssen.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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