Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Sie haben nichts gelernt. Obwohl längst absehbar, haben wieder alle so getan, als gehe sie das nichts an. Wie schon im letzten Jahr wird das Griechenlanddilemma möglichst lange vor sich hergeschoben – von der Politik in gewohnter Manier, aber auch von den Finanzmärkten. Wann endlich begreifen Merkel und Co, dass Griechenland höchstens noch ein Schuldenschnitt retten kann und die Hilfspakete nichts bewirken, ausser einen sehr maroden Bankensektor in einem wirtschaftlich schwachen Land knapp über Wasser zu halten?
Zwei Lösungswege stehen offen und beide sind schmerzhaft. Dafür aber ehrlich. Es gibt für Griechenland nur zwei wirklich glaubwürdige Auswege: Man erlässt dem Land einen grossen Teil seiner Schulden oder – besser wäre sogar und – gibt den Griechen eine schwache Währung (zurück). Da letzteres politisch bekanntlich keine Alternative ist, wird es spannend, ob das die Finanzmärkte auch so sehen. Von den beiden Hilfspaketen in Höhe von gut 250 Milliarden Euro (1. Hilfspaket 110 Milliarden) wurden 87 Milliarden an Schulden zurückgezahlt, über 50 Milliarden zur Tilgung von Schuldzinsen aufgebracht und 37 Milliarden für Zahlungsrückstände.
Geholfen wurde vornehmlich dem Finanzsektor
Fast 30 Milliarden dienten der Rekapitalisierung der Banken in Griechenland. «Nur» zehn Milliarden flossen offenbar dem griechischen Haushalt selbst zu. Wenn diese Zahlen stimmen und eine Studie, welche die Zahlungen genau analysierte, kommt offenbar zu dem Schluss, ist klar wem die Rettungspakete wirklich dienten. Vornehmlich wurde dem Finanzsektor geholfen und nicht etwa Griechenland. Die Banken Griechenlands sind aber bereits wieder angeschlagen, ihre Börsenkapitalisierung ist heute 90% tiefer als nach der Rekapitalisierung. Mit anderen Worten: man steht wieder da, wie vor einem Jahr, vor einem Trümmerhaufen. Die Schulden Griechenlands belaufen sich immer noch auf über 300 Milliarden Euro. Das entspricht 177% des BIP. Und die Rückkehr zu Wachstum wurde auf 2017 vertagt.
Gut möglich, dass sich die Finanzmärkte dieses Mal nicht mit weniger desselben zufrieden geben werden. Die Stundungen und Laufzeitenverlängerungen auf eine gefühlte Ewigkeit hinaus mögen sich letzten Juni «bewährt» haben. Obige Bilanz spricht allerdings eine andere Sprache und das wiederum gegen ein weiteres Durchwursteln. Aber wird sich Brüssel dazu durchringen können, und erst noch in nützlicher Frist? Es wäre wünschenswert.
Wenn die wichtigen Akteure in der griechischen Tragödie wieder auf Zeit spielen, werden wir schon innert Jahresfrist vor demselben Problem stehen und die EZB kann auf Dauer auch nicht als Erfüllungsgehilfe dieses Zeitspiels herhalten. Das wird den Finanzmärkten auch nicht sonderlich gut bekommen. Die sind zuletzt wahrscheinlich genau deshalb anfällig, weil sie auf mehr hoffen als die üblichen Gipfeltreffen mit aufgeriebenen Fronten und schalen Kompromissen, die nur der Symptombekämpfung dienen. Und dazu rückt die Brexit Abstimmung näher, die wohl auch erst noch verdaut werden muss – vor allem im Vorfeld, von den amerikanischen Wahlen ganz zu Schweigen. Viel Sprengstoff also und daher wird sich die Volatilität von den Märkten nicht so bald wieder verabschieden. Hoffnung besteht, dass sich der zarte Aufschwung in Europa beschleunigt und so auch die Gewinnfantasie an der Börse wieder etwas in Gang kommt. Das wäre mal etwas Handfestes für die Märkte, das mehr Halt verspricht als Hinhalten.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen