St. Gallen – Fast achteinhalb Jahre sind ins Land gezogen seit dem Lehman-Debakel, dem grössten Finanzmarktcrash der Nachkriegszeit. Nach der initialen Schockstarre waren die Rufe nach deutlich strengeren Vorschriften für Banken unüberhörbar, umso mehr als etliche Bankinstitute mit Steuermitteln gerettet werden mussten. Als geschichtliches Novum herrschte rund um den Globus Einigkeit, dass den Banken nun enge Fesseln angelegt werden müssen. Denn der Sturm der Entrüstung war gross, als Präsident Bush zusammen mit dem demokratischen Kongress das hunderte Milliarden US-Dollar schwere Rettungsprogramm TARP initiierte. Konsequent machte Bushs Nachfolger Obama die Bankenregulierung zu einer Priorität seiner ersten Amtszeit. Sein damaliger Stabschef Emanuel Rahm drohte, man solle eine Krise nie ungenutzt verstreichen lassen, um die Dinge zu tun, die vorher nicht möglich waren, womit er wohl Recht hatte. Die Folge war schlussendlich der Dodd-Frank-Act, eine der umfassendsten aber auch kontroversesten Gesetzesänderungen in den USA seit Jahrzehnten. Kernpfeiler des komplexen Gesetzes sind Verschärfungen der Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen sowie die Unterbindung des Eigenhandels.
Riskante Rettung
Auch hierzulande spielte sich ähnliches ab. Die drohende Pleite der UBS konnte nur dank enormen staatlichen Summen abgewendet werden. SNB und Bund scheuten im Oktober 2008 keine Mühen und Kosten, um die kriselnde UBS vor dem Zusammenbruch zu retten und so den befürchteten Kollaps des Schweizer Finanzplatzes abzuwenden. Insgesamt steuerte die Nationalbank knapp 30 Milliarden Franken zum damaligen Stabilisierungsfonds bei, einem Abwicklungsvehikel für die sogenannten Ramschpapiere der UBS. Der Bund beteiligte sich in Form eines Darlehens, sprich einer Wandelanleihe von 6 Milliarden CHF. Was viele vergessen haben: das Massnahmenpaket kostete die Schweiz satte 5% des Bruttoinlandprodukts, in den USA waren es «lediglich» 2.5% (TARP 427 Mia. USD). Auch wenn die Rettungsübung schlussendlich sogar mit einem positiven Saldo schloss, herrschte unisono Einigkeit: das darf nie wieder passieren. Denn es hätte auch anders kommen können. Man denke an den Europäischen Bankensektor, der noch immer angeschlagen und längst noch nicht über den Berg ist.
Musterknabe Schweiz
Die Schweiz mit ihrem schwergewichtigen Finanzplatz nahm in der Folge bei der Bankenregulierung international eine Vorreiterrolle ein, auch bei der Too-Big-To-Fail Regulierung (TBTF). Ab Mitte 2016 gelten für Schweizer Grossbanken strengere Vorschriften für die Leverage Ratio, die vereinfacht gesagt das Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme festlegt. Die neuen Eigenmittelvorschriften, so der Plan, müssen nach einer Übergangsphase Ende 2019 endgültig eingehalten werden. Laut der SNB liegen die Leverage Ratios der beiden Schweizer Grossbanken derzeit unter dem globalen Durchschnitt, die neue Regulierung soll aber dafür sorgen, dass die UBS und Credit Suisse bezüglich ihrer Eigenkapitalausstattung in Zukunft weltweit führend sind. Die drei inlandorientierten systemrelevanten Banken, ZKB, Postfinance und Raiffeisen sind nicht von der Verschärfung betroffen – zumindest bis auf weiteres. Alle zwei Jahre nimmt der Bundesrat eine diesbezügliche Überprüfung vor, die noch diesen Februar ansteht. Mit dieser beabsichtigten Regelung ist die Schweiz führend. Einmal mehr hat unser Land seine Hausaufgaben gemacht. Anders im Ausland. In Europa sind viele Finanzinstitute noch immer oder bereits wieder dermassen angeschlagen, dass sie kaum in der Lage sein dürften, solche Auflagen zu erfüllen. Und in den USA droht der gute Willen gar zu erlahmen.
Trump spült Regulierung weich
Per Präsidialdekret hat Trump eine Lockerung der bei den US-Banken unbeliebten Dodd-Frank Vorschriften angeordnet. Um Dodd-Frank sofort zu kippen, benötigt die US-Regierung allerdings auch die Stimmen von acht demokratischen Senatoren, was schwierig werden dürfte. Aber der Paradigmenwechsel der Bankenregulierung wird in den USA dennoch vollzogen, denn mit seinen Dekreten sowie wichtigen anstehenden Personalentscheiden – unter anderem in der amerikanischen Zentralbank – kann Donald Trump das Gesetz in den kommenden Monaten sehr wahrscheinlich entscheidend abschwächen. Der Richtungswechsel in den USA passiert just in dem Moment, wo die Abschlussverhandlungen zum Basel III Regelwerk festgefahren scheinen. Ausstehend ist noch die Frage, wie genau die Risikogewichtung der Aktiven berechnet werden soll. Die amerikanische Seite forderte hier bisher strengere Vorschriften, während die deutlich schlechter kapitalisierten europäischen Banken darauf pochten, keine zusätzlichen Kapitalauflagen erfüllen zu müssen. Nach Trumps Wahlsieg ist es noch unwahrscheinlicher geworden, dass die Europäer nachgeben. Die Bankregulierung ist zudem auch in Grossbritannien aus der Mode gekommen, seitdem der Londoner Finanzplatz wegen des Brexits unter Druck geraten ist.
«America first» schafft Regulierungsdilemma
Der bisherige globale Konsens, die Bankenregulierung zu verschärfen, erfährt so nicht nur einen Dämpfer, sondern fängt sogar an zu bröckeln, wenn Amerika nun den Takt der Regulierung allein vorgibt und diese wieder entschärft. Denn der Bankensektor mit seinen ultraschnell reagierenden grenzüberschreitenden Kapitalströmen ist die globale Branche schlechthin. Und wenn die Amerikaner die Spielregeln ändern, wirkt sich dies unmittelbar auch auf ausländische Finanzplätze aus. Macht Trump seine Ankündigungen wahr, werden die US-Banken zunächst wettbewerbsfähiger, wenn auch nicht unbedingt sicherer. Der Margendruck bei den Konkurrenten steigt damit. Es bleibt abzuwarten, wie die EU aber auch die Schweiz darauf reagieren. Denn hier kündigt sich ein Dilemma an. Die noch bis vor kurzem unumstrittene erhöhte Sicherheit des Finanzsektors könnte zu Lasten von dessen Wettbewerbsfähigkeit gehen. Und wenn die Zügel für die amerikanischen Banken tatsächlich wieder gelockert werden sollten, dürften die im globalen Rennen wieder den Takt vorgeben und EZB und SNB in Zugzwang bringen. Trump scheint dies wenig zu kümmern. Auch hier gilt offenbar «America first», was eine erneute Blase im Finanzsektor nach sich ziehen könnte. Die Bankaktien in den USA haben bereits zu neuen Höhenflügen angesetzt. Das Dumme daran: geht das in Amerika wieder schief, müssen alle bluten. Wie schon nach dem Subprime-Debakel, als amerikanische Kreditpapiere in sämtlichen europäischen Bankbilanzen dahin faulten. Daher muss man sich in Europa, insbesondere aber auch in unserem Land darauf vorbereiten, der beschlossenen Linie treu zu bleiben und nicht etwa in einen globalen Deregulierungswettlauf einzusteigen. Nur so gibt es ein „nie wieder“. (Raiffeisen/mc/ps)